Stimme+
Neckarsulm
Lesezeichen setzen Merken

Nachts um 4 Uhr im Seniorenzentrum St. Vinzenz 

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Während die meisten Neckarsulmer schlafen, wacht Irina Scherbakova über 90 der ältesten Bürger der Stadt. 

   | 
Lesezeit  3 Min
Seit 30 Jahren arbeitet Irina Scherbakova im Seniorenheim St. Vinzenz in Neckarsulm. "Ich bin hier glücklich", sagt sie.
Seit 30 Jahren arbeitet Irina Scherbakova im Seniorenheim St. Vinzenz in Neckarsulm. "Ich bin hier glücklich", sagt sie.  Foto: Blass, Valerie

Irina Scherbakova öffnet sanft die Tür und ein regelmäßiges leises Schnarchen ist zu hören, der Bewohner schläft ruhig. Aus einem Zimmer ein paar Meter den Gang hinunter dringen dagegen Schreie. "Die Bewohnerin schreit immer, wenn sie wach ist", sagt Irina Scherbakowa, bei Menschen mit Demenz sei das eben manchmal so, auch wenn sie sehr gut umsorgt werden. Nächte im Seniorenheim wie dem St. Vinzenz in Neckarsulm können für die Angestellten sehr anstrengend sein, erzählt die 61-Jährige. Denn unter den hochbetagten Bewohner ist nachts viel Unruhe, ruhiger Schlaf kommt in den letzten Lebensphasen nicht mehr selbstverständlich.

Manche der 90 Bewohner im Pflegebereich des Heims stehen auf, wenn sie wach werden und haben Hunger, andere bleiben still in ihrem Zimmer und sehen fern, das sind "die Orientierten", wie Scherbakova sie nennt. Menschen mit Demenz oder anderen Alterserkrankungen hingegen brauchen besonders viel Sorge - sie nässen sich nachts ein, schreien oder irren umher und versuchen wegzulaufen. In manchen Nächten sterben Bewohner. 

Die Aufenthaltsbereiche in dem neu gebauten Heim sind liebevoll eingerichtet, überall sind Bilder von bekannten Orten in Neckarsulm, wie der Kirche St. Dionysius.
Die Aufenthaltsbereiche in dem neu gebauten Heim sind liebevoll eingerichtet, überall sind Bilder von bekannten Orten in Neckarsulm, wie der Kirche St. Dionysius.  Foto: Blass, Valerie

Zwei Nachtwachen für drei Stationen 

"Als Pfleger muss man immer mit allen Sinnen arbeiten", erklärt die erfahrene Nachtwache. Es gilt, ungewöhnliche Geräusche wahrzunehmen oder zu bemerken, wenn ein Bewohner in seinem Zimmer Probleme hat, zum Beispiel, weil er gestürzt ist. Mindestens dreimal pro Nacht schauen Scherbakova und ihre Kolleginnen - jede Nacht sind es zwei Nachtwachen für drei Stationen - in den Zimmern nach dem Rechten. Dazwischen reagieren sie auf das Klingeln der Bewohner, gehen mit ihnen zur Toilette, betten sie um, wechseln die Unterlage und die Wäsche, wenn das Bett nass geworden ist. 

Nachts gibt es meistens einiges zu tun, viele der Bewohner sind unruhig.
Nachts gibt es meistens einiges zu tun, viele der Bewohner sind unruhig.  Foto: Blass, Valerie

An diesem frühen Morgen ist es zwischen 4 und 5 Uhr ungewöhnlich ruhig. "Das muss daran liegen, dass die Zeitung da ist", witzelt Scherbakova und lacht ihr ansteckendes Lachen. Von der Frau, die seit 30 Jahren im St. Vinzenz arbeitet, geht viel Warmherzigkeit und gute Laune aus. "Ich bin glücklich hier", sagt sie auf die Frage, wie sie ihre Arbeit findet, und man glaubt ihr das sofort. Das St. Vinzenz sei "wie meine zweite Ehe".

Nur einmal hat die Frau aus Bad Friedrichshall zur Probe in einem anderen, näher an ihrem Wohnort gelegenen Heim geschnuppert, weil sie mit dem Rad zur Arbeit fahren wollte, "aber ich bin erwischt worden und habe mich so ertappt gefühlt als sei ich fremdgegangen", sagt sie. Danach habe sie nie wieder etwas anderes probiert, das St. Vinzenz und ihre Kolleginnen seien ihre Familie.  

Der erste Bewohner ist um kurz vor 5 Uhr wach und will aufstehen

Eine aus dieser "Familie" kommt jetzt vorbei, Nachtwache Angelika. Ein Bewohner braucht neue Wäsche. Die 11-Stunden-Schichten von 20 Uhr abends bis 7 Uhr morgens vergingen so meist wie im Flug, sagen beide. Gegen 3  Uhr sei die Müdigkeit bei ihr selbst manchmal schon groß, erzählt Angelika. In anderen Nächten "wird ständig geklingelt, da laufe ich die ganze Zeit die Treppe hoch und runter, da habe ich sehr viel Adrenalin".

Es ist 5 Uhr inzwischen, Zeit für den ersten Bewohner aufzustehen. Er wache immer so früh auf und wolle sich dann sofort anziehen, sagt Irina Scherbakova, also geht die Kollegin in das Zimmer und hilft bei der Morgentoilette und dem Ankleiden, während es draußen langsam hell wird. 

Jede Etage ist liebevoll eingerichtet. Persönliche Gegenstände hängen an vielen Türen.
Jede Etage ist liebevoll eingerichtet. Persönliche Gegenstände hängen an vielen Türen.  Foto: Blass, Valerie

Nachtschicht endet gegen 7 Uhr 

Gegen 7 Uhr gibt es Frühstück, dann endet die Nachtschicht mit der Übergabe an die Kolleginnen. Irina Scherbakova fährt heim und geht direkt ins Bett. "Ich brauche dann erstmal nichts mehr, lege mich direkt hin und schlafe bis 3 oder 4 Uhr, manchmal auch bis 5 am Nachmittag sagt sie. "Es ist wichtig, lebendig und gut ausgeschlafen zu sein." In den Nachtwache-Wochen lebe sie im und für die Bewohner im Heim, in den Wochen dazwischen für ihre Familie.

Was denkt die Frau, die 1990 aus dem Kaukasus nach Deutschland gekommen ist über das Altwerden? "Hier in Deutschland braucht sich darum wirklich niemand Sorgen machen", sagt sie. Alte Menschen seien gut behütet, der Staat kümmere sich. Mit der Geburt sei bereits klar: "Wir werden sterben." Und wer ins St. Vinzenz komme, tue das meistens schon mit dem Gedanken, irgendwann gehen zu dürfen. Aber bis es soweit ist, werde bei ihnen gelebt, sagt Irina Scherbakova und lacht ihr ansteckendes Lachen.

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben