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Trumpf-Chefin über Judenfeindlichkeit: "Ein bisschen Antisemitismus ist auch bei linken Intellektuellen schick"

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An diesem Mittwoch wird Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller mit dem Preis "Württemberger Köpfe" ausgezeichnet. Im Interview mit unserer Zeitung spricht sie über den latenten Antisemitismus, was sie geprägt hat und ihre Pläne für die Nachfolge.

Gesellschaftlich engagiert und meinungsstark: Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller findet in Interviews regelmäßig deutliche Worte.
Gesellschaftlich engagiert und meinungsstark: Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller findet in Interviews regelmäßig deutliche Worte.  Foto: Trumpf

Sie ist eine der einflussreichsten Managerinnen Deutschlands: Nicola Leibinger-Kammüller. Die Vorstandschefin des Laserspezialisten Trumpf in Ditzingen wird an diesem Mittwoch in Heilbronn für ihr "vorbildhaftes Handeln um unsere Gesellschaft und unser demokratisches System" mit dem Preis "Württemberger Köpfe" ausgezeichnet. Im Interview mit unserer Zeitung verrät sie, was sie geprägt hat.

 

Frau Leibinger-Kammüller, Sie werden ausgezeichnet als ein Württemberger Kopf. Könnte es sein, dass da auch gewürdigt wird, dass Sie immer ihren eigenen Kopf haben?

Nicola Leibinger-Kammüller: Das hoffe ich doch! (lacht) Eigentlich ein schöner, fast altmodischer Gedanke: sich nicht dem Mainstream anzupassen, seiner Linie treuzubleiben und das auch kundzutun - das passt ganz gut, glaube ich.

 

Wann hat das bei Ihnen angefangen, mit dem eigenen Kopf?

Leibinger-Kammüller: Recht früh. Wenn Sie in einem Elternhaus aufwachsen, in dem der Diskurs so sehr gepflegt wurde wie im unseren, hat man Gelegenheit, sich zu üben im Denken und im Formulieren. Sonntagmorgens nach der Kirche, nach dem zweiten Frühstück, bei jeder Gelegenheit. Ich hatte starke Eltern, starke Persönlichkeiten, stark in ihren Meinungen. Da beginnt man auch beizeiten, sich abzugrenzen oder eigene Ideen zu entwickeln. Wobei ich heute mit 63 sagen muss, dass mein Vater und ich uns im Alter durchaus ähnlich werden.

 

Was politische Aussagen angeht, halten sich Unternehmenschefs häufig zurück. Sie nicht. Haben Sie keine Angst vor dem Glatteis, auf das man sich da begibt?

Leibinger-Kammüller: Angst nicht, aber man muss darauf gefasst sein, dass man auch Gegenwind bekommt. Als Eigentümer-Unternehmerin kann ich mir manche Aussage eher leisten als der Chef eines Dax-Unternehmens. Der muss stärker auf Befindlichkeiten der diversen Shareholder Rücksicht nehmen.

 

Jedenfalls sind Sie sehr offen. Sind Ihnen Unternehmen im Allgemeinen zu zurückhaltend, wenn es darum geht, für Haltungen einzustehen?

Leibinger-Kammüller: Ich finde schon. Auch im Kreis der Familienunternehmen höre ich oft, was alles gesagt werden müsste. Dann heißt es aber schnell: "Ich habe einmal ein großes Interview gegeben, da war alles falsch dargestellt. Ich sage nichts mehr." Das ist schade. Wir müssen mehr werden, uns als Unternehmer mehr aus der Deckung trauen. Dann hätten wir mehr Gewicht.

 

Gerade haben Sie in der "Jüdischen Allgemeinen" von der Wirtschaft auch mehr Haltung in Bezug auf Israel gefordert. Wie erleben Sie die Diskussion in Deutschland derzeit?

Leibinger-Kammüller: Ich spreche jetzt nicht von der Wirtschaft, da sich mittlerweile viele Unternehmen geäußert haben. Aber ich vermisse die Lichterketten von Stuttgart bis Mannheim, ich sehe nicht Zigtausende auf die Straßen gehen – das ist doch alles sehr verhalten.


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Hat es vielleicht auch damit zu tun, dass Israel sofort massiv zurückgeschlagen hat?

Leibinger-Kammüller: Ich bin keine Soziologin, aber ich glaube eher, dass es mit einer gewissen kritischen Grundhaltung Israel gegenüber zu tun hat, die latent seit Jahrzehnten besteht. Und zwar keineswegs nur bei Muslimen. Das geht bis ins gehobene Bürgertum – oder das Bürgertum, das sich für gehoben hält. Ein kleines bisschen Antisemitismus ist auch bei linken Intellektuellen schick, und dann heißt es schnell: "Man wird doch noch mal die israelische Regierung kritisieren dürfen." Natürlich darf man die kritisieren. Aber nicht das Judentum an sich. Das ist der entscheidende Unterschied. Genau das passiert derzeit ständig, überall auf der Welt.

 

Welche Beziehung haben Sie eigentlich zum Judentum und zu Israel?

Leibinger-Kammüller: Wir haben keine jüdischen Familienangehörigen. Aber wir sind von Kindesbeinen an mit diesen Themen vertraut gemacht worden. Vor allem meine Mutter hat sich fürs Judentum interessiert. Die Stiftungen meiner Eltern, vor allem die Berthold-Leibinger-Stiftung, engagiert sich für viele jüdische Themen. Gerade haben wir auch die Ausstellung "Sechzehn Objekte – Siebzig Jahre Yad Vashem" im Bundestag unterstützt.

 

Die Württemberger Gesellschaft bezeichnet ihren Preis als Demokratiepreis. Wie steht es um die Demokratie in Deutschland?

Leibinger-Kammüller: Sie kommt in Bedrängnis. Aber wir haben eine stabile Demokratie mit einem stabilen Fundament.

 

Ein Blick in die USA zeigt, wie schnell das kippen kann.

Leibinger-Kammüller: Ganz offensichtlich. Es ist sehr gefährlich, und man kann nur hoffen und beten, dass die Amerikaner vernünftig sind bei der nächsten Wahl. Für uns ist es eine Mahnung, wachsam zu sein.

 

Ausgezeichnet werden Sie auch für das soziale Engagement der Familie Leibinger. Erzählen Sie doch mal.

Leibinger-Kammüller: Es ist kein Geheimnis, wir sind gläubige Protestanten. Mit dem Glauben verbunden ist die Überzeugung, dass man anderen helfen sollte, wenn man die Möglichkeiten dazu hat – die menschlichen und die finanziellen Möglichkeiten. Meine Eltern haben das vorgelebt, auch im Alltag, in ganz profanen Situationen.

 

Erinnern Sie sich an Begebenheiten aus Ihrer Kindheit?

Leibinger-Kammüller: Ich erinnere mich zum Beispiel, wie meine Mutter mich zu kranken Nachbarn mit einem Körbchen oder einem Stück Kuchen geschickt hat. Oder wie sie sich um einen Herrn Nowak kümmerte, der uns immer die Getränke lieferte. Er hatte sich süßen Sprudel über die Hose gekippt, worauf meine Mutter ihm eine Hose von meinem Vater holte. Das war mitfühlend, fand ich, und so etwas prägt. Sie wusste, dass Herr Nowak andernfalls einen Mordsärger daheim bekommen hätte.

 

Die Berthold-Leibinger-Stiftung hat bereits mehr als 31 Millionen Euro an Fördermitteln ausgeschüttet. Welche Projekte gibt es da?

Leibinger-Kammüller: Die Stiftung meines Vaters kümmert sich um Wissenschaft und kulturelle Projekte. Die Doris-Leibinger-Stiftung meiner Mutter tut viel für Kinder und im sozialen Bereich, für ein Kinderhospiz etwa oder im Bereich der Taubstummen-Arbeit. Wir fördern auch seit Jahren Reintegrationsprogramme für Häftlinge, kümmern uns um Menschen, die psychische Probleme haben. Die nächste Generation in der Familie ist bei Unicef aktiv. Meine Geschwister und ich stimmen unser weiteres Engagement ab.

 

Die ersten Württemberger Köpfe waren Günther Oettinger und Heinrich Bedford-Strohm – man könnte glauben, diese Auszeichnung gibt's für ein Lebenswerk. Dazwischen war immerhin auch noch Pur-Sänger Hartmut Engler. Was haben Sie noch vor?

Leibinger-Kammüller: Jetzt müssen wir erstmal die Firma gut durch die konjunkturelle Krise führen. Als Nächstes steht die Suche nach dem richtigen Nachfolger, der richtigen Nachfolgerin an. Das wird eine nicht minder große Aufgabe.

 

Sie hatten kürzlich doch verraten, dass Ihr Nachfolger schon feststeht?

Leibinger-Kammüller: Ich habe gesagt, er ist schon im Haus. Ich habe nicht gesagt, dass er oder sie feststeht. Wir haben mehrere Optionen. Sicher ist nur, dass wir niemanden neu auf die Position einstellen.

 

Spielt ein Leibinger oder eine Leibinger der nächsten Generation mit dem Gedanken, operativ einzusteigen?

Leibinger-Kammüller: Die Kinder meiner Geschwister und unsere eigenen beschäftigen sich sehr intensiv mit der Firma. Das müssen sie, weil sie ja auch Gesellschafter sind. Aber sie sind entweder noch in der Ausbildung oder gerade am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn. Es bräuchte auf jeden Fall noch Zeit. Aber auch über den Aufsichtsrat hat man Einflussmöglichkeiten.

 

Wenn dann der Nachfolger gefunden ist: Können Sie loslassen? Haben Sie das schon mal irgendwo geübt?

Leibinger-Kammüller: Ich habe schon Aufsichtsratsmandate abgegeben, die ich gerne weitergemacht hätte. Drücken wir es so aus: Ich habe jedenfalls gute Vorsätze. Und es gäbe auch anschließend noch viel, wofür ich mich interessiere.

 

Sie sind jetzt 18 Jahre auf dem Chefsessel bei Trumpf. Wie war ihr Start?

Leibinger-Kammüller: Ich wurde anfangs schon beäugt als Philologin. Aber das hat sich gelegt. Dazu hat, denke ich, mein Führungsstil beigetragen. Und vielleicht, dass ich beweisen konnte, dass ich keine "geistig unbedrohte Natur" bin, wie es bei Thomas Mann heißt.

 

Zur Person

Die Auszeichnung "Württemberger Köpfe" ist nicht der erste Preis für Nicola Leibinger-Kammüller. Die 63-Jährige ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik oder des Hanns-Martin-Schleyer-Preises. Sie führt seit 2005 das Familienunternehmen Trumpf in Ditzingen mit 17 000 Mitarbeitern. Zum Erfolg geführt wurde der Maschinenbauer bereits durch ihren Vater Berthold Leibinger, der den Chefsessel – überraschend für viele – für seine Tochter räumte. Sie besaß keine technische Ausbildung, sondern hatte Anglistik, Germanistik und Japanologie studiert. In den vergangenen 18 Jahren entwickelte sie nun den Konzern konsequent weiter in Richtung Hightech, unter ihrer Verantwortung verdreifachten sich Umsatz und Mitarbeiterzahl.

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