Radikalisiert sich die Klimabewegung?
Die Aktionen von Klimaaktivisten lösen Diskussionen aus. Experten aus der Klimaforschung üben Kritik an der medialen Berichterstattung. Sie warnen auch vor unverhältnismäßigen Maßnahmen, die zu einem abnehmenden Vertrauen in die Demokratie führen könnten.

Nach dem Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin während einer Straßenblockade der Klimaprotest-Organisation Letzte Generation ist viel diskutiert worden. Darüber, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Tod und der Protestaktion gab. Inzwischen steht fest: Den gab es nicht. Dennoch bleibt die Frage: Hat sich die Klimabewegung radikalisiert? Experten aus der Klimaforschung beziehen Stellung.
Warum sind Experten unzufrieden mit der medialen Berichterstattung über sich vermeintlich radikalisierende Klimaproteste?
Laut Michael Brüggemann, Professor für Klimakommunikation der Uni Hamburg, fokussiere sich die Berichterstattung auf die Frage, ob man Kunstwerke beschmutzen oder den Verkehr aufhalten dürfe, nicht aber auf die eigentlichen Anliegen der Protestierenden. Er sagt: „Damit lenkt man davon ab, über das Versagen von Politik und Gesellschaft beim Klimaschutz zu diskutieren. Aufgabe des Journalismus wäre es aber, auf diese rhetorischen Strategien nicht einzugehen und stattdessen zu diskutieren, warum es dazu kommt, dass sich einzelne Protestierende nicht anders zu helfen wissen, als Kunstwerke mit Essen zu bewerfen.“
Für die Protestierenden bedeute das: Protestformen müssten Aufmerksamkeit erregen, aber auch nah am eigentlichen Anliegen bleiben. Sonst würden sie vom legitimen Anliegen der Klimabewegung ablenken. „Die Wut der Klimaschützer wird nachvollziehbar, wenn sich der Protest gegen die Verantwortlichen und Verursacher des Problems richtet, also gegen Verkehrspolitiker oder Manager von großen Unternehmen, die weiterhin ungebremst Treibhausgase ausstoßen“, sagt Brüggemann.
Warum lässt sich nicht von einer Radikalisierung der Klimabewegung sprechen?
Zum einen gebe es keine generelle Tendenz zu stärker konfrontativen Protestformen in der Klimabewegung, sagt Sebastian Haunss, Leiter der Arbeitsgruppe Soziale Konflikte der Uni Bremen. „Zum anderen sind die aktuellen Protestformen der Letzten Generation nur sehr begrenzte Regelüberschreitungen, bei denen es maximal zu Sachbeschädigungen kommt. Angriffe auf Personen finden nicht statt.“ Drittens sei auch bei den Forderungen keine Radikalisierung zu beobachten. Hier bestehe zwischen den Gruppen der Klimabewegung große Übereinstimmung: „Sie fordern vor allem die Einhaltung der Pariser Klimaziele – also die Einhaltung eines bereits beschlossenen internationalen Vertrages“, sagt Haunss.
Welche Gefahr besteht?
Laut Simon Teune, Gründungsmitglied des Instituts für Protestforschung, hätten sich die relevanten Akteure auf gewaltlose Formen des Protestes festgelegt. Umso erstaunlicher sei es, dass gerade der Eindruck vermittelt werde, die Bewegung wäre aus diesem Grund abzulehnen, mit höheren Strafen abzuschrecken oder durch den Verfassungsschutz zu beobachten. Teune warnt: „Hier werden Grenzen verwischt. Das kann gefährliche Folgen haben.“ Bislang zeichne sich die Klimabewegung durch ein hohes Vertrauen in die demokratischen Institutionen aus.
„Dieses Vertrauen droht durch unverhältnismäßige Maßnahmen zu bröckeln. Diese Erosion von demokratischer Substanz – also dass die Klimaaktivisten zunehmend in Frage stellen, ob die demokratischen Institutionen in der Lage sind, adäquat auf die Klimakrise zu reagieren – ist vielleicht eine zweite Dimension der Radikalisierung.“ Dass so viele empfindlich auf die Proteste reagieren würden, sage mehr über unser Verhältnis zur Klimakrise aus, als über das reale Geschehen auf der Straße. Teune kritisiert: „Viele ertragen wohl nicht die Kluft zwischen der drohenden Entwicklung des Weltklimas und den unzureichenden Maßnahmen dagegen. Die Überbringer der Botschaft werden deshalb attackiert.“
Wie geht es weiter?
Der Kampf gegen die Klimakrise sei ein Kampf gegen die Uhr, sagt Simon Teune. „Je länger eine wirksame Klimapolitik herausgezögert wird, desto kleiner werden die Spielräume demokratischer Gestaltung.“ Wenn skandalisiert werde, dass ein Teil der Klimabewegung durch Blockaden und die Besudelung von Kunst oder Parteizentralen auf die Notwendigkeit schneller und weitreichender Klimaschutzmaßnahmen hinwirken will, sei es wichtig, auf den größeren Kontext hinzuweisen.
Es sei absehbar, dass die Aktionen von heute historisch anders eingeordnet werden würden, weil als Folge der Klimakrise Konflikte in einem neuen historischen Ausmaß bevorstünden. Teune: „Die Verknappung von Wasser und Nahrungsmitteln sowie die zunehmenden Klimaextreme werden an vielen Orten der Welt gewaltsame Konflikte und Migrationsbewegungen auslösen.“