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Streiktag: Apotheker spricht von "Kriegserklärung" Lauterbachs

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Apotheken hatten am Mittwochnachmittag zwischen 13 und 16 Uhr geschlossen. Es ist ein besonderer Streik, die Notversorgung sollte aber sichergestellt sein. Auch Pharmazeuten in der Region sind unzufrieden mit ihrer Lage.

von Simon Gajer und dpa
In Apotheken kommt es immer wieder zu Engpässen an wichtigen Medikamenten.
In Apotheken kommt es immer wieder zu Engpässen an wichtigen Medikamenten.  Foto: Bernd Wüstneck (dpa-Zentralbild)

Der Frust unter Apothekern ist groß, und ihrer Not wollen sie diesen Mittwoch (27. September) ab 13 Uhr besonderen Ausdruck verleihen: Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) rechnet damit, dass zahlreiche Apotheken bis 16 Uhr geschlossen bleiben. Den Apothekenteams solle damit die Möglichkeit gegeben werden, das Grußwort von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Apothekertages im Internet zu verfolgen. 

Die Albanus-Apotheke in Offenau hat mittwochs ohnehin geschlossen, sagt Apotheker Matthias Lingen. Doch ginge es nach ihm, bliebe seine Filiale die ganze nächste Woche geschlossen. Die Vorschläge von Lauterbach kämen einer "Kriegserklärung" an die Apotheken gleich, sagt Matthias Lingen und findet damit sehr deutliche Worte. Ihn stören jüngste Vorschläge aus dem Ministerium: Die Beratung durch approbierte Apothekerinnen und Apotheker solle zusammengestrichen werden, die Versorgung mit Rezepturen solle es ebenfalls nicht mehr geben. "Der macht die medizinische Versorgung kaputt", sagt Matthias Lingen. Mit Lauterbach als Minister kann der Offenauer nichts anfangen. "Der Mann muss weg." 

 


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Apotheker aus Offenau hat am Beruf schon lange keine Freude mehr

Für Matthias Lingen ist die Freude im Beruf schon lange dahin. Allein gelassen worden sei er schon vor wenigen Jahren, als einer der großen deutschen Rezeptabrechner in die Insolvenz gehen musste und Matthias Lingen finanziell in der Luft hing. Er fordert, dass dem System insgesamt mehr Geld zur Verfügung gestellt wird. Seit 20 Jahren blieben seiner Apotheke pro Packung sechs Euro übrig. Von dem Geld müsse er den laufenden Betrieb und seine Mitarbeiter bezahlen. Eine deutliche Anhebung sei nötig. Mittlerweile bekomme sein Team weniger Gehalt als Angestellte im Einzelhandel. Die Schuld sieht er nicht allein bei Lauterbach, schon zu Zeiten der großen Koalition habe sich nichts getan.

 

"Ich bin gern dabei, einen deutlichen Protest zu zeigen", sagt Bert Leisterer, der in Weinsberg die Falken-Apotheke führt. Drei Stunden den Betrieb zu schließen - das ist seiner Ansicht nach allerdings nicht zielführend. Ohnehin versteht er die Argumentation des Verbands nicht: In den drei Stunden könne man dem Gesundheitsminister zuhören. Wichtiger seien publikumswirksame Aktionen, findet Bert Leisterer. Ihn stören mehrere Punkte in der aktuellen Situation für die Apotheken: Man schaffe es nicht mehr, die Patienten richtig zu versorgen. Außerdem sei der Aufwand riesig, Medikamente zu erhalten. Die Apotheken bekämen nicht mehr genügend Geld: Experten gingen davon aus, dass 30 bis 40 Prozent der Apotheken finanziell nicht mehr zu halten seien, sagt er. Bert Leisterer blickt zugleich auf die Patienten: "Wichtig ist, dass sich für die Menschen etwas ändert."

Letzter Protest hat eine Wirkung gezeigt

Sabine Happe steht an einem Tisch mit Flyern und Postkarten vor ihrer Hof-Apotheke in Öhringen: Sie will mit Kunden und Fußgängern reden, die in der Zeit während des Protests zu ihrer Apotheke kommen und spricht mit ihnen über die Forderungen. Dass Lauterbach nur per Video beim Apothekertag auftritt, ist für sie ein Zeichen, "dass unser Beruf wohl nicht wichtig genug ist - der Tag ist nur einmal im Jahr".

"Die Lieferengpässe müssen aufhören" ist für Happe die wichtigste Forderung. Dem sei schon vor vielen Jahren der Weg geebnet worden, als die Pflicht kam, das günstigste Medikament zu verkaufen, wenn keine genaue Angabe vom Arzt gemacht wird. "Wir mussten im Winter Medikamente aus der Ukraine importieren."

Der Protesttag im Juni habe Wirkung gezeigt. "Wir bekommen jetzt eine Lieferengpass-Pauschale", so Happe: Wenn ein Medikament nicht lieferbar ist, hat die Apotheke großen bürokratischen Aufwand. Dafür gebe es nun 50 Cent pro Fall. "Das ist nicht das, was die Zeit eigentlich kostet, aber ein Schritt in die richtige Richtung."

Dass die Apotheken zu der Zeit schließen, sei eine symbolische Botschaft an den Gesundheitsminister. Sie laute: "wir hören zu!" Finanziell sei der Zeitraum zu vertreten: "Am Mittwoch haben viele Arztpraxen zu, der Nachmittag ist unser umsatzschwächste Zeit in der Woche."

 


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Mitarbeiter sollen sich über Lauterbach informieren können

Rouven Steeb betreibt mehrere Apotheken in Bad Rappenau, Gundelsheim und Möckmühl. Die Gundelsheimer ist mittwochs am Nachmittag ohnehin geschlossen, die beiden anderen bleiben diesen Mittwoch geschlossen, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Grund: Seine Mitarbeiter sollen sich anhören können, was Karl Lauterbach sagt. "Das Personal erwartet eine Erklärung." Den Kolleginnen und Kollegen nach Tarifverhandlungen ein höheres Gehalt bezahlen zu können, werde schwierig. "Sie sollen sehen, wie sich der Gesundheitsminister dazu äußert."

Für Rouven Steeb ist es wichtig, dass den Apotheken mehr Geld zur Verfügung gestellt werde. "Wir brauchen mehr Luft zum Atmen." Der Druck im Kessel sei hoch, die Wut unter Apothekern groß, sagt er. Mittlerweile müsse man jonglieren, um Medikamente zu erhalten. Für den zusätzlichen Aufwand bekämen Apotheker 60 Cent. Rouven Steeb gibt ein Beispiel: Wenn ein verschriebenes Medikament nicht zu haben sei, müsse er manchmal eine halbe Stunde telefonieren. Mit Ärzten halte er Rücksprache, die Patienten müsse er zur neuen Dosierung aufklären.

So ist die Lage der Betreiber

Bei dem Apothekertag in Düsseldorf kommen mehr als 300 Delegierte der Branche aus allen Teilen Deutschland zusammen. Die Stimmung in der Branche ist schlecht. Bei einer aktuellen, repräsentativen Abda-Umfrage gaben rund zwei Drittel (63,6 Prozent) der befragten Apothekenbetreiber an, sie befürchteten, dass sich die wirtschaftliche Lage ihrer eigenen Apotheke in den nächsten zwei bis drei Jahren verschlechtern werde.

Für die Branche sahen sogar über 80 Prozent der Befragten düstere Zukunftsperspektiven. Die Apothekerverbände fordern deshalb eine rasche Erhöhung der Apothekenvergütung um 2,7 Milliarden Euro pro Jahr sowie für die Zukunft eine automatisierte Kopplung des Honorars an die Kostenentwicklung. Der für die Apothekenhonorierung besonders wichtige Festzuschlag auf die per Rezept verordneten Medikamente sei zuletzt 2013 erhöht worden, begründet die Abda die Forderung.

 


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Das sind die Fragen an den Gesundheitsminister

Nach Informationen von der Heilbronner Stimme fordert Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening von Karl Lauterbach beim Deutschen Apothekertag in Düsseldorf klare Antworten. Unter anderem: Warum weigern Sie sich, die Honorierung der Apotheken nach mittlerweile elf Jahren Stillstand an die wirtschaftliche Gesamtentwicklung anzupassen, obwohl sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag die Stärkung der Apotheken vor Ort zum Ziel gesetzt haben? Wie will die Bundesregierung die Apotheken vor Ort dabei unterstützen, die flächendeckende Arzneimittelversorgung auch in ländlichen Regionen in Zukunft sicherzustellen?

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