Am Neckarsulmer ASG: Beim Mathetest auf die KI zurückgreifen
Normalerweise geht es bei einem Test um alles: Was man bis dahin nicht gelernt hat, führt zum Punktabzug. Am Neckarsulmer Albert-Schweitzer-Gynmasium durften Schüler nun jedoch bei ihrem Mathetest spicken.

Es steht ein Mathetest an und trotzdem sind an diesem Dienstag alle Schüler der Jahrgangsstufe 11 des Albert-Schweitzer-Gymnasiums (ASG) in Neckarsulm anwesend. "Wir waren selbst ganz schön geflasht", sagt Schulleiter Marco Haaf und lacht.
Es liegt daran, dass die Schüler sich bei diesem Mathetest von Künstlicher Intelligenz (KI) helfen lassen dürfen. Auf einem Tablet können sie während des Tests Fragen zu ihren Rechenaufgaben stellen und bekommen von der KI als Hilfestellung ein passendes Video des Mathematik-Youtubers Daniel Jung präsentiert. Und nicht nur das: Wer die KI fragt, wie man Nullstellen bei gebrochen-rationalen Funktionen findet, bekommt nicht nur das entsprechende Video zum Thema präsentiert, sondern genau die Stelle in dem Video, die bei der Lösung weiterhilft.
"Es kommt nicht die Lösung, sondern die Antwort, wie man die Aufgabe löst", erklärt Sven Körner. Er ist Geschäftsführer des Karlsruher Start-ups Thingsthinking, das die KI beigesteuert hat. Die Technik könne genauso in jedem anderen Fach als Lernassistent funktionieren. "Mathe hat aber den Vorteil, dass die Ergebnisse messbar sind", erklärt Körner. Wie gut oder schlecht die Schüler abgeschnitten haben, sei eindeutiger, als bei Deutschaufsätzen. Außerdem gebe es eben die tausenden Videos von Daniel Jung, in denen er binomische Formeln, Logarithmen und Integralrechnung erklärt.
Künstliche Intelligenz findet genau die Stelle im Video, die Schülern weiterhilft
Semantha, so der Name der KI von Thingsthinking, hat sich die Aussagen aus allen 3066 Videos gemerkt. Sie hat abstrahiert, was die einzelnen Sätze und Wörter, die Daniel Jung sagt, bedeuten. Für eine Software ist das keine einfache Aufgabe. Sie muss erst lernen, dass "Bruchrechnen" und "Rechnen mit Brüchen" dasselbe bedeuten. Fragt ein Schüler nun die KI, wie man einen Bruch auflöst, findet die Software alle Stellen in den Videos, in denen es darum geht. Das passiert in wenigen Sekunden, wie ein Blick auf Körners Live-Statistiken während des Tests zeigt. "Alle elf Sekunden bekommen die Schüler eine Antwort vom System."
Das Projekt ist eine Zusammenarbeit des ASG, Thingsthinking, Daniel Jung und der Hochschule der Medien in Stuttgart. Der Test soll zeigen, ob Schüler mit KI besser lernen. Erste Ergebnisse gibt es im Sommer, im Herbst soll die Studie fertig sein. "Das war erst mal eine blöde Idee bei einem Kaffee in Heilbronn bei den Campusfounders", erzählt Körner. Noch am selben Tag basteln Team Jung und die KI-Experten an der Idee, mit Erfolg.
Schüler und Lehrer entwerfen Matheklausur mit ChatGPT
Mit dem ASG war schnell eine Schule gefunden, die das Experiment wagen wollte. "Es wird bei KI ganz viel darüber diskutiert, was man wollen würde. Aber es wird einfach zu wenig gemacht", sagt Haaf. Der beste Weg, um KI-Systeme zu testen, sei vor Ort in der Schule und im Unterricht. "Das ist eine Riesenchance, weil Schüler Bock darauf haben und wieder Dinge mit ihren Lehrern zusammen angehen."
Gemeinsam haben Lehrer und Schüler am ASG etwa die Software ChatGPT genutzt und ihr Oberstufenklausuren zum Lösen gegeben. Anschließend durfte die KI selbst eine Klausur entwerfen. "Die Befürchtungen, dass jede Hausarbeit nun gefakt werden würde, das ist quatsch!", findet Haaf. Vielmehr müssten Lehrkräfte endlich wieder darüber nachdenken, welche Aufgaben sie ihren Schülern stellen.
KI soll Lehrkräfte nicht ersetzen, sondern unterstützen
Die Grenzen der KI sind mit dem Test nicht ausgereizt. Einige Funktionen haben die Entwickler sogar wieder ausgebaut. So könnte die KI auch Diskussionen aus dem dazugehörigen Forum Mathefragen.de ausspucken und alles auslesen, was Jung in seinen Videos an die Tafel schreibt. Wären diese Funktionen aktiviert, könne die KI zu Hause beim Lernen helfen, etwa wenn Eltern überfordert sind, erklärt Dominique Steppeler von Thingsthinking. Im Unterricht könne die KI Schülern, die Grundlagenwissen wiederholen müssen, andere Aufgaben stellen als fortgeschritteneren Schülern.
Das Ziel sei jedoch nicht, Lehrer zu ersetzen, betont Christian Strack vom Team Daniel Jung. Ohne Lehrkräfte, die den Unterricht gestalten, gehe es nicht. "Wir müssen aber schauen, wie wir Lehrkräfte bestmöglich unterstützen."
Dem stimmt Schulleiter Haaf zu. Der Lehrermangel sei ein drängendes Problem. Effektiv unterrichten sei nicht das Problem, sondern viele Schüler und wenige Lehrer. "Man braucht Werkzeuge, um mit wenigen Lehrern sehr viele Schüler zu unterrichten." Dabei könne KI eine große Hilfe sein.
Die Schulen bekommen die KI kostenlos - das Land müsste die Serverkosten bezahlen
Und wie finanziert sich das Ganze? "Es darf kein Geld kosten", antwortet Sven Körner. Deshalb arbeitet das Start-up kostenlos mit den Schulen zusammen. "Unser Ansatz ist, erst mal zu zeigen, was alles geht. Das lässt sich querfinanzieren." Auch das Land könne die KI kostenlos nutzen, die Serverkosten müssten dann jedoch bezahlt werden.
Das Geld sei da, betont Marco Haaf. "Ich gebe jedes Jahr 75.000 Euro für Schulbücher aus." Wichtig sei, dass Technik in Schulen eingesetzt wird, die funktioniert und vor Ort erprobt wurde, anders als die Bildungsplattform des Landes. "Wir haben hier ein fertiges Werkzeug, entwickelt von Profis, die es können. So muss es laufen." Dafür müsse die Politik irgendwann Geld bezahlen.