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Demokratie in Deutschland 
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Was gegen Extremisten hilft

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Bei einer Tagung im bayerischen Tutzing geht es um die Frage, mit welchen Mitteln die Demokratie gegen ihre Feinde geschützt werden kann.

Dunkle Wolken über dem Dom in Erfurt: Nicht erst seit den Landtagswahlen, bei denen die AfD stärkste Kraft wurde, schaut die Republik nach Thüringen. Hier sind die Rechtsextremen um ihre Frontfigur Björn Höcke seit Jahren stark.
Dunkle Wolken über dem Dom in Erfurt: Nicht erst seit den Landtagswahlen, bei denen die AfD stärkste Kraft wurde, schaut die Republik nach Thüringen. Hier sind die Rechtsextremen um ihre Frontfigur Björn Höcke seit Jahren stark.  Foto: dpa

Wie wehrhaft ist unsere Demokratie angesichts der zahlreichen Bedrohungen, vor allem vom rechten Rand? Woher kommt die Unzufriedenheit mit dem Staat und wie stärkt man den demokratischen Staat? Es waren keine leicht zu beantwortenden Fragen, denen sich Juristen, Meinungsforscher und Praktiker verschiedener Institutionen auf Einladung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing widmeten. Der breite Konsens trotz der teils sehr gegensätzlichen Ansichten: Wir müssen wieder mehr miteinander reden in unserer Gesellschaft und kontroverse Meinungen aushalten.

Die AfD ist dort stark, wo die Bevölkerung zurückgeht

Rechtsextreme Parteien wie die AfD werden seit Jahren immer stärker in Deutschland, das sei ein "europaweites Phänomen", sagt Roland Abold vom Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap. Es gehe weit über das hinaus, was in der Vergangenheit seit Gründung der Bundesrepublik an Rechtspopulismus und Rechtsextremismus beobachtet wurde. Dabei sei das Phänomen nicht auf Ostdeutschland beschränkt. "Es gibt einen eindeutigen Trend zur Rechtsverschiebung in Deutschland."

Ein Indikator für die Stärke der AfD sei die Abwanderung aus dem ländlichen Raum, so Abold: "Dort, wo die Bevölkerung abnimmt, ist die AfD stärker." Bei vielen sei es auch keine "Protestwahl" mehr, sondern eine tiefe Unzufriedenheit mit der bundesdeutschen demokratischen Praxis gepaart mit der Sorge vor wirtschaftlichem Abstieg und Überfremdung. "Zu starke Zuwanderung und Veränderungen des Landes sind der Kern, der den Zuspruch erklärt." Dabei sei es für viele AfD-Wähler keinesfalls abschreckend, dass die Partei als rechtsextremer Verdachtsfall und in Teilen als gesichert rechtsextremistisch gilt: "Das ist viel eher ein Qualitätssiegel."

Unterschiede zwischen West und Ost

Zwischen der alten Bundesrepublik und den Bundesländern im Osten macht Abold einen wesentlichen Unterschied aus: Während im Westen ein großes Interesse daran herrsche, dass die Prozesse des Rechtsstaates eingehalten werden, sei vielen Wähler im Osten dieses oft mühsame demokratische Aushandeln fremd. "Sie haben bestimmte Bedürfnisse und die müssen erfüllt werden." So handle der AfD-Wähler aus seiner Sicht aus einer Art "Notsituation", um die etablierten Partei dazu zu bewegen, seine Bedürfnisse zu erfüllen.

Was nutzt ein AfD-Verbotsverfahren?

Ein Szenario, über das seit Monaten heftig gestritten wird, ist ein AfD-Verbotsverfahren. Die Meinungen, ob ein solches sinnvoll wäre, gingen weit auseinander. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mahnte eindringlich zu einer schnelleren Verfahrensdauer, sollte es überhaupt zu einem Verbotsverfahren kommen. "Ein Verfahren, das sich über Jahre hinzieht, ist mit den politischen Realitäten überhaupt nicht vereinbar und den Menschen nicht vermittelbar."

Anderer Meinung ist der bekannte Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, der auf YouTube Videos zu aktuellen rechtlichen Themen produziert. Seine Haltung: "Ich glaube, dass wir schon profitieren würden von einem Verfahren selbst." Dann müsse sich die AfD laut Jun genau überlegen, ob sie sich von extrem rechten Positionen und Personal distanziert und es schafft "ein bisschen demokratischer zu werden" oder eben höchstrichterlich verboten wird.

Die sozialen Medien nicht den Rechtsextremen überlassen 

Juns Forderung außerdem: Die demokratischen Parteien und Institutionen wie zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung dürften die Sozialen Medien nicht länger den Rechtsextremen überlassen. "Es ist nicht mehr lustig, wenn erwachsene Menschen sagen, sie wissen nicht, was auf Tiktok passiert." Viele verstünden überhaupt nicht, wie Meinungsbildung funktioniert.

Wenn man junge Menschen ernsthaft erreichen wolle, müsse man deren Stilmittel übernehmen, statt für sehr viel Geld in den Sozialen Medien Inhalte zu produzieren, die von Bürokraten ersonnen seien. Es sei kein Zufall, dass die Rechtsextremen auf Kanälen wie Tiktok so erfolgreich seien, dahinter stecke sorgfältige Analyse und Planung.  

Demokratie ist eine Aufgabe der Bürger 

"Wir brauchen die Begeisterung der Menschen für dieses Land und für unseren Rechtsstaat", so Joachim Herrmann. Demokratische Verfahren könnten nur Erfolg haben, wenn sie von einer Mehrheit der Bürger getragen und respektiert werden. In diesem Sinne seien auch "wir alle Hüter unserer Verfassung. Wenn wir wollen, dass diese Demokratie Fortbestand hat, dann müssen wir uns alle darum kümmern".

Doch wie stärkt man das Vertrauen in den Rechtsstaat, das offenbar bei so vielen Menschen erschüttert ist? Die Probleme würden mit der Verdrossenheit der Menschen über Regierungshandeln beginnen, damit, dass sie sich unverstanden und nicht von ihren gewählten Vertretern repräsentiert fühlten, sagte Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung. Sie fragte: "Wann verstehen Regierende, dass die Menschen einen großen Unmut verspüren?" Und was nützen "die ganzen wunderbaren Demokratie-Förderprogramme", wenn diese Einsicht bei den Verursachern des Problems fehle? 

Elisabeth Niejahr von der Hertie-Stiftung sagte, es sei nötig, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sich nicht ohnehin schon für Demokratie einsetzen. Dafür geht die Stiftung zum Beispiel in Betriebe, "weil wir denken, dass dort Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Denkweisen zusammenkommen".

Niejahr räumte ein, dass ein Dilemma besteht: "Schlechte Politik hat die Probleme verursacht, wie können wir das durch politische Bildung auffangen?" Andererseits mahnte sie auch dazu, notorischen Nörglern argumentativ entgegenzutreten, schließlich sei Deutschland immer noch ein sehr lebenswertes Land: "Manchmal darf man Menschen, die immer Katastrophe schreien, auch in den Arm fallen."

Themen wie Migration besser aufgreifen im politischen Prozess

So brachte Hans-Jürgen Papier, früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts, einen Grundkonsens der Tagung auf den Punkt: "Die Repräsentanten müssen die Nöte und Bedürfnisse der Bürger aufnehmen", sagte er. Wenn das ausbleibe, drohe der Verfall der repräsentativen Demokratie. Dass Themen wie Migration unzureichend aufgegriffen würden bereite "den Nährboden für Extremismus" und führe letztlich zu einem Niedergang der großen Volksparteien. Papiers Plädoyer: "Der repräsentative Gedanke muss wieder mit Leben gefüllt werden. So können wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen." 

Die Tagung zum Thema "Wehrhafte Demokratie" im bayerischen Tutzing wurde veranstaltet von der Akademie für Politische Bildung und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts a.D., Hans-Jürgen Papier.

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