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Schutzbedürftige sollten Impfstatus von Pflegekräften erfragen dürfen

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Nach den Todesfällen in einem Pflegeheim in Brandenburg betont Ethikrat-Mitglied Wolfram Henn: „In sensiblen Bereichen ist eine Impfpflicht vor allem für medizinisches und Pflegepersonal unverzichtbar.“

von Hans-Jürgen Deglow
Schorfheide, Landkreis Barnim: An einem Eingang zu einem Seniorenheim wird auf das momentane Besuchsverbot nach einem Corona-Ausbruch verwiesen. Foto: dpa
Schorfheide, Landkreis Barnim: An einem Eingang zu einem Seniorenheim wird auf das momentane Besuchsverbot nach einem Corona-Ausbruch verwiesen. Foto: dpa

Professor Wolfram Henn, Mitglied der Deutschen Ethikrates, mahnt als Konsequenz aus den Todesfällen in einem Pflegeheim im Landkreis Barnim (Brandenburg) einen Rechtsanspruch für Schutzbedürftige an, den Impfzustand einer Pflegekraft erfragen zu dürfen. Henn sagte unserer Redaktion, eine Auskunftspflicht Beschäftigter gegenüber dem Arbeitgeber reiche nicht: „In bestimmten Bereichen, wohl am kritischsten in der ambulanten Pflege, brauchen auch die zu schützenden Menschen einen Rechtsanspruch darauf zu erfahren, ob die ins Haus kommende Pflegeperson geimpft ist oder nicht. Gerade hier können die oft schwerkranken und hochbetagten Pflegebedürftigen auch durch deren eigene Impfung nicht komplett geschützt werden, daher ist in sensiblen Bereichen eine Impfpflicht vor allem für medizinisches und Pflegepersonal unverzichtbar.“

Nur etwa 50 Prozent der Mitarbeitern geimpft

Die Zahl der Toten nach einem Corona-Ausbruch in einem Seniorenheim in Brandenburg beläuft sich auf bisher elf. Zudem seien 44 Bewohner und 15 Mitarbeitende der Einrichtung in Schorfheide (Landkreis Barnim) an Covid-19 erkrankt. Wie es heißt, habe der Leiter der Einrichtung nach einem positiven Testergebnis das Heim nochmals betreten. Gegen ihn läuft ein Bußgeldverfahren. Nach Angaben der Amtsärztin des Landkreises, Heike Zander, liegt die Impfquote der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einrichtung bei lediglich etwa 50 Prozent. „Es ist eine sehr ungünstige Situation in diesem Heim, weil zwar die Bewohner recht gut geimpft sind, aber die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine relativ geringe Impfquote haben“, sagte Zander dem Sender rbb. 

 


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Ein individueller Fall für die Strafjustiz 

Der Mediziner und Humanethiker Henn hat hierzu eine klare Haltung: „Wenn ein Heimleiter im Wissen, selbst infiziert zu sein, bewusst die ihm anvertrauten Menschen in Gefahr bringt, ist das aus meiner Sicht ein individueller Fall für die Strafjustiz.” Zum Thema Impfpflicht sagte Henn: „Wie erschreckend niedrig die Impfrate im dortigen Personal war, bestärkt mich in meiner ja schon mehrfach geäußerten Forderung nach einer Impfpflicht spezifisch für solche Personen, die sich in ihrer freien Berufswahl dafür entschieden haben, besondere Verantwortung für ihnen anvertraute vulnerable Menschen auf dich zu nehmen.”

Henn: Gesundheitsschutz geht hier vor Datenschutz

Henn, Leiter der Genetischen Beratungsstelle der Universität des Saarlandes und Vize-Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, erläutert: „Bei der Gestaltung einer solchen berufsbezogenen Impfpflicht könne man in vielen Bereichen durchaus diffenzierter vorgehen als nach dem simplen Motto »Geimpft oder gefeuert«. Es wäre schon viel gewonnen, wenn generell Arbeitgeber Personal, das ohne medizinischen Grund noch ungeimpft ist, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten dort einsetzen könnte und müsste, wo es mit vulnerablen Personen nicht in Kontakt kommt. Das geht natürlich nicht ohne eine Auskunftspflicht Beschäftigter gegenüber dem Arbeitgeber über ihren Impfstatus. Diese brauchen wir; Gesundheitsschutz geht hier vor Datenschutz.”


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Im Infektionsschutzgesetz ist schon länger geregelt, dass etwa die Betreiber von Krankenhäusern oder ambulanten Pflegediensten ihre Angestellten nach dem Impfstatus fragen dürfen. Das Fragerecht gilt aber auch nur, solange der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite” festgestellt hat. Diese könnte Ende November auslaufen. 

Debatte über Booster-Impfungen

Medizinprofessor Wolfram Henn. Foto: Deutscher Ethikrat/R. Zensen

In Anbetracht des Falles Barnim wird auch die Debatte über Booster-Impfungen lauter. Nach Ansicht des Chefs der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, müssen bis Ende Dezember 15 Millionen Menschen in Deutschland eine Booster-Impfung verabreicht bekommen. „Das ist machbar“, sagt Gassen in Berlin. Die Arztpraxen in Deutschland seien dazu in der Lage. Allerdings: "Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen." Es sei nicht hilfreich, wenn diese durch die Politik alle paar Wochen geändert würden. Die betreffenden Personen müssten in einem geordneten Verfahren angeschrieben

Auch der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dringt weiter auf Auffrischungsimpfungen auf möglichst breiter Front zum Schutz vor dem Coronavirus im Winter. Darüber sollten die Länder nun alle Über-60-Jährigen informieren, heißt es in einem Beschlussentwurf des Bundes für die Gesundheitsministerkonferenz mit den Ländern Ende der Woche. Ergänzend könnten Auffrischungsimpfungen auch „grundsätzlich allen Personen angeboten werden, die diese nach Ablauf von sechs Monaten nach Abschluss der ersten Impfserie wünschen“. 

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt solche Verstärker („Booster“) für länger zurückliegende Impfungen vorerst in engerem Rahmen - unter anderem für Menschen ab 70 und Risikogruppen. Spahn bekräftigt laut den Beschlussvorschlägen nun außerdem, dass auch die Länder ihre regionalen Impfzentren aus dem Stand-by-Modus „wieder aktivieren und dort Auffrischungsimpfungen anbieten“ sollen.

 


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Testkonzepte für Pflegeeinrichtungen eingefordert

Pflegeeinrichtungen sollen zudem nach den Vorschlägen des Bundes zu Testkonzepten für den Herbst und Winter verpflichtet werden. Diese sollten „unabhängig vom Impfstatus mindestens zweimal wöchentlich obligatorische Tests für das Personal vorsehen“, heißt es in dem Entwurf, über den die Deutschen Presse-Agentur berichtet. Alle Besucher von Pflegeheimen sollten ebenfalls ein frisches negatives Testergebnis vorweisen müssen - alternativ sollen die Einrichtungen Schnelltests anbieten müssen. Die Länder könnten für Besucher auch Zugang nur für Geimpfte oder Genesene (2G) vorsehen.

Christine S. Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) Foto: privat
Christine S. Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) Foto: privat

Christine S. Falk, Professorin an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI), mahnt unterdessen, die Angebote für Auffrischungs- bzw.  Booster-Impfungen auch wahrzunehmen: „Wir brauchen Auffrischungsimpfungen für Menschen ab 70 Jahren sowie Risikogruppen, deren Immunsystem geschwächt ist. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir in diesem Winter eine vierte Welle nicht verhindern können, zumal die Impfquote in einigen Bundesländern erschreckend niedrig ist. Impfquoten von weniger als 60 Prozent in Sachsen oder rund 60 Prozent in einigen anderen Bundesländern werden uns nicht wirklich helfen im Kampf gegen die Pandemie - und sie sind im Übrigen auch eine Herausforderung für Geimpfte.”

Mindestziel muss Impfquote muss 75 Prozent plus X sein

Zur Debatte über ein mögliches Ende der Epidemischen Lage erklärte Falk: „Es wäre kontraproduktiv, wenn eine Aufhebung der Epidemischen Lage von nationaler Tragweite als Signal verstanden würde, dass die Pandemie vorbei sei. Einige Menschen handeln offenkundig jetzt schon so, als sei nichts mehr zu befürchten, wenn ich auf die kaum noch steigende Impfquote schaue.” Wenn man sich die Infektionszahlen anschaue, dann würden diese eine eindeutige Sprache sprechen: „Wir laufen in eine Situation mit exponentiell steigenden Zahlen hinein, die das RKI für den Fall zu niedriger Impfquoten schon im Juli in einer Analyse vorhergesagt hat. Unser Mindestziel muss eine Impfquote von 75 Prozent plus X sein.” Diesen Wert hat bislang aber laut RKI-Statistik nur Bremen geschafft. Alles, was unter der Ziellinie von 75 Prozent für vollständige Impfungen liege, so Falk, „bringt uns in eine gefährliche Lage, weil im Herbst der Virusausbreitung damit Raum gegeben wird”.  Denn: „Wer bisher ungeimpft ist, geht tatsächlich ein großes Risiko ein, sich in den nächsten Monaten mit Corona zu infizieren.”

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