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Asylsuchende in Deutschland: Herkunft, Anträge und Ablauf auf einen Blick

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Im europäischen Vergleich nimmt kein Land so viele Menschen auf wie Deutschland. Doch wie genau funktioniert das Asylsystem überhaupt? Ein Blick auf aktuellen Zahlen und Herausforderungen.

Hohe Asylzahlen, dadurch belastete Kommunen und Länder, dazu eine fehlende gerechte europäische Flüchtlingspolitik. Diese Punkte befeuern die teils hitzig geführte öffentliche Debatte um die deutsche Migrationspolitik. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen: Ein Überblick über den Grundsatz unseres Asylsystems und aktuelle Zahlen.

Geflüchtete in Deutschland: In diesen drei Phasen verläuft ein Asylverfahren

Artikel 16a des Grundgesetzes ist das einzige Recht, das in Deutschland nur Ausländern zusteht: Es regelt das Grundrecht auf Asyl. Erst einmal hat jeder Mensch, der politisch verfolgt wird, in Deutschland den Anspruch auf ein faires Asylverfahren. Ob das Recht auf Asyl tatsächlich besteht, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Das Asylverfahren verläuft in drei Phasen: Asylbewerber müssen sich registrieren und anschließend einen Asylantrag stellen. Das muss persönlich in einer Außenstelle des BAMF erfolgen, schriftliche Anträge sind nur in Ausnahmefällen möglich.

Daraufhin werden die Antragstellenden zu einer persönlichen Anhörung geladen, wobei sie die eigenen Fluchtgründe schildern müssen. Das BAMF entscheidet daraufhin, ob der Asylantrag angenommen oder abgelehnt wird. Wird er abgelehnt, gilt eine Ausreisefrist zwischen einer Woche und 30 Tagen. Ist eine Abschiebung nicht möglich, kommt es zu einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung: Die Personen sind ausreisepflichtig, aber geduldet. Sie dürfen das zuständige Bundesland nicht verlassen und haben frühestens nach drei Monaten die Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.

Asylantrag des Schutzsuchenden wird angenommen – und dann?

Wird der Asylantrag angenommen können vier verschiedene Schutzformen durch das BAMF erteilt werden: Die Person wird als Asylberechtigter anerkannt, ihr wird Flüchtlingsschutz gewährt, sie erhält subsidiären Schutz, oder es liegt ein Abschiebeverbot vor.

Diese verschiedenen Schutzformen unterscheiden sich im Detail, überschneiden sich aber auch in vielen Punkten. Ein Unterschied ist beispielsweise die Duldungsdauer, sie variiert je nach Schutzform zwischen einem und drei Jahren. 2023 betrug die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Asylantrags 6,8 Monate.

Wichtig hierbei ist: Die Anerkennung des Flüchtlingsstatus ist nicht dasselbe wie eine Aufenthaltserlaubnis. Der anerkannte Flüchtlingsstatus ist die Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Diese wird nicht durch das BAMF erteilt, sondern durch die zuständige Ausländerbehörde. Zwischen anerkanntem Flüchtlingsstatus und erteilter Aufenthaltserlaubnis können Wochen bis Monate liegen.

Zahlen von Asylsuchenden aus 2023: Globale Krisen und Konflikte als Hauptursachen

Im Jahr 2023 stellten in Deutschland 351 915 Menschen einen Asylantrag, im Vergleich zu 2022 ein Zuwachs von 44 Prozent. Die meisten Personen kamen aus Syrien, der Türkei, Afghanistan, dem Irak sowie dem Iran.

Menschen aus der Ukraine sind hiervon ausgenommen: Nach einem EU-Beschluss müssen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine keinen Asylantrag stellen, sondern können einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis stellen. Lukas Fuchs ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Er sieht für die hohen Asylzahlen 2023 verschiedene Gründe: "Man muss erst einmal klar sagen: Migration und Fluchtmigration sind globale Phänomene. Diese lassen sich, auch wenn viele politische Kräfte und Beobachter hierzulande das gerne so hätten, nicht immer mit Bezug auf Deutschland oder das Herkunftsland erklären." Man sehe im vergangenen Jahr viele gewalttätige Konflikte, neuauftretende oder sich intensivierende Kriege, wirtschaftliche Krisen sowie den Klimawandel.

Aber: "Die Proportion der Menschen, die innerhalb ihrer Herkunftsländer oder in direkte Nachbarstaaten flüchten, ist unverändert deutlich höher, als die derer, die nach Europa flüchten", so der Experte.

Sonderfall Türkei: Zunahme bei Antragszahlen um mehr als 100 Prozent

Im Vergleich zum Jahr 2022 suchten 2023 155,6 Prozent mehr Personen aus der Türkei Schutz in Deutschland. Diesen extremen Anstieg erklärt sich Lukas Fuchs so: Viele Faktoren in der Türkei hätten sich enorm verschlechtert. Dazu zählen eine sehr hohe Inflation, hohe Arbeitslosigkeit, aber auch die Folgen des Erdbebens im vergangenen Jahr. Weiter hätte die Wiederwahl von Präsident Erdogan vielen Oppositionellen den Glauben an Veränderung genommen. Das juristische System sei ausgehöhlt und politisch abhängig gemacht worden.

Die Schutzquote, das bedeutet der Anteil der angenommen Asylanträge, unterscheidet sich erheblich. Bei Syrern lag sie bei 88 Prozent, bei Afghanen bei 76,5 Prozent und bei Personen aus der Türkei lediglich bei 13 Prozent. "Bei einem Großteil der Asylanträge handelt es sich wohl um kurdische Türken", so Lukas Fuchs. Die Diskriminierung von Kurden werde vom BAMF aber nicht als Fluchtgrund anerkannt, nur die individuelle Verfolgung von beispielsweise Oppositionellen. "Das erklärt die niedrige Schutzquote." Insgesamt liegt die Schutzquote in Deutschland bei 51,7 Prozent.

In keinem europäischen Land werden so viele Asylanträge gestellt wie in der Bundesrepublik – woran liegt das? Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in der EU, auch seien die "Aufnahmebedingungen deutlich besser als in anderen Ländern Europas", so der Migrationsforscher. Hier gehe es um Rechtsstaatlichkeit und den Schutz von bedrohten Menschen.

Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem zweiten Sozialgesetzbuch

Die Leistungen, auf die Asylsuchende Anspruch haben, sind im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Grundleistungen werden für 18 Monate gewährt, die Höhe der Leistungen ist abhängig vom individuellen Fall. Alleinstehende haben beispielsweise Anspruch auf 460 Euro pro Monat, für Paare in einer Gemeinschaftsunterkunft sind es jeweils 413 Euro.

Ob die Leistungen in Geld- oder Sachleistungen erbracht werden, hängt ebenfalls von individuellen Faktoren ab, beispielsweise von der Art der Unterbringung. Geduldete Personen haben auf diese Unterstützung ebenfalls Anspruch. Menschen, deren Asylverfahren bereits abgeschlossen ist, haben keinen Anspruch mehr auf diese Leistungen.

Anerkannte Flüchtlinge sind deutschen Staatsbürgern sozialrechtlich weitestgehend gleichgestellt. Das bedeutet, sie haben Anspruch auf dieselben Sozialleistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II): Dazu zählen das Bürgergeld sowie die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Bundesagentur für Arbeit fasst Menschen aus sogenannten Asylherkunftsländern in eine Kategorie. Dazu zählen die Staaten Afghanistan, Syrien, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia. 46,9 Prozent der Personen aus Asylherkunftsländern bezogen 2022 Sozialleistungen nach SGB II. Zahlen zur Zuwanderung und zur Beschäftigung von Asylsuchenden im Raum Heilbronn finden Sie hier

Integration in den Arbeitsmarkt: Aufenthaltsdauer ist entscheidender Faktor

Ob Geflüchtete arbeiten dürfen, ist maßgeblich abhängig vom Asylstatus, aber auch von der Art der Unterbringung. In den ersten drei Monaten dürfen Geflüchtete grundsätzlich nicht arbeiten. Auch solange sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, ist es ihnen weder möglich zu arbeiten noch eine Ausbildung zu beginnen.

Nach drei Monaten können Flüchtlinge, die nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft leben und deren Asylverfahren abgeschlossen ist, grundsätzlich arbeiten. Das gilt auch für Asylbewerber mit laufendem Verfahren. Voraussetzung ist in allen Fällen eine vorliegende Arbeitserlaubnis. Diese wird von der Ausländerbehörde ausgestellt. Weitere Ausnahmen und Sonderfälle sind gesetzlich detailliert im Asylgesetz geregelt.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) führt jedes Jahr mit dem BAMF eine repräsentative Umfrage unter Flüchtlingen durch. Auf dieser Grundlage erklärt das IAB in einem Kurzbericht aus 2023: "54 Prozent der Geflüchteten mit einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren sind erwerbstätig. Davon arbeiten zwei Drittel in Vollzeit und 70 Prozent üben eine qualifizierte Berufstätigkeit aus." Die Arbeitsmarktintegration sei maßgeblich von der Länge der Aufenthaltsdauer abhängig.

Langsamere Integration in den Arbeitsmarkt hat Gründe

Ehsan Vallizadeh, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAB, erläutert: "Die Entwicklung verläuft langsamer im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen. Das ist nicht überraschend und ist durch verschiedene Faktoren erklärbar." Hierzu zähle, dass Geflüchtete nicht auf die Migration vorbereitet seien, was zu fehlenden Zertifikaten, Papieren, nicht ausreichenden Qualifikationen und Sprachkenntnissen führe. Lukas Fuchs hält es für verkürzt, dass sich die Debatte auf die wahrgenommenen Startschwierigkeiten nach der Ankunft fokussiere. "Es bedient auch Stereotype."

Es bringe nichts, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu zwingen, nur damit sie dann in völlig unterqualifizierten Funktionen arbeiten, wofür der deutsche Arbeitsmarkt gar keinen großen Bedarf habe.

Migration in Zukunft: Darauf wird es ankommen

Für die Zukunft hält Migrationsforscher Lukas Fuchs vor allem eines für wichtig: "Es braucht den politischen Willen und Mut anzuerkennen, dass die Welt insgesamt mobiler wird." Migration dürfe nicht vorrangig als Problem wahrgenommen werden. Doch dieser Wille fehle. "Und dementsprechend sind verkürzte und abwehrende Reaktionen die Folge: Grenzen sicherer zu machen, weniger Menschen durchzulassen, mehr abzuschieben", so der Experte. Das werde nichts daran ändern, wie viele Menschen letztendlich nach Europa kommen werden.

Was Deutschland brauche: Eine europäische Einigung für flächendeckend bessere Aufnahmebedingungen und eine bessere Verteilung. "Sodass Menschen nicht aus Angst vor Gewalt und Diskriminierung aus den Grenzländern nach Deutschland weiterziehen."

 

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