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Regeln des Grundgesetzes
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Folgen des Ampel-Aus: Misstrauensvotum oder Vertrauensfrage? So könnte es weitergehen

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Die Ampel-Koalition ist geplatzt. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz auszutauschen, ist gar nicht so einfach. Bisher kam es nur wenige Male zu einem Regierungswechsel mitten in der Legislaturperiode.


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Die Ampel ist aus. Während sich die drei ehemaligen Regierungsparteien gegenseitig die Schuld zuschieben, zeigt ein Blick ins Grundgesetz: Mitten in der Legislaturperiode die Regierung auszutauschen, ist nicht so ohne Weiteres möglich. Denn die Väter des Grundgesetzes wollten Verhältnisse wie in der Weimarer Republik vermeiden und eine plötzliche Umbildung möglichst ausschließen. Nur zwei Optionen gibt es überhaupt.

Konstruktives Misstrauensvotum nach Ampel-Aus? So könnte Olaf Scholz ersetzt werden

Ein sofortiger Wechsel von einem Kanzler zu einem anderen ist eigentlich nur mit Hilfe des konstruktiven Misstrauensvotums nach Artikel 67 Grundgesetz möglich. Wie der Name schon sagt, muss dazu ein anderer Kandidat bereitstehen mit der Aussicht, die Mehrheit der Stimmen im Bundestag auf sich zu vereinen. Sprich: Mindestens eine Koalitionspartei müsste sich mit der Opposition verbünden und einen neuen Kanzler aus Reihen der neuen Verbündeten wählen, der mehr als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten hinter sich vereinen muss. 

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter schloss das am Mittwochabend in einem Interview mit dem Deutschlandfunk nicht aus. Er könne sich vorstellen, solch ein konstruktives Misstrauensvotum zusammen mit FDP und Grünen zusammenzustellen, um Friedrich Merz zum Kanzler zu wählen.

Der Haken bei der Sache: Dann müssten ausgerechnet jene beiden Parteien weiter zusammenarbeiten, an deren Konflikten die Ampel letztendlich gescheitert ist. Andererseits bedeutet ein konstruktives Misstrauensvotum nicht, dass die Wähler des neuen Kanzlers automatisch die neue Regierungskoalition bilden. Möglich wäre also auch eine Minderheitsregierung, zum Beispiel aus CDU und FDP.

Voraussetzungen für konstruktives Misstrauensvotum: Rainer Barzel scheiterte 1972 

Versucht wurde dies bislang nur zweimal: 1972 scheiterte Rainer Barzel (CDU) gegen Willy Brandt (SPD), obwohl in den Vorwochen mehrere Abgeordnete der FDP aus Protest vor allem gegen die Ostpolitik des Bundeskanzlers die Koalition verlassen hatten. Dass Barzel dennoch hauchdünn die nötige Mehrheit verfehlte, lag offensichtlich, wie Forschungen in SED- und Stasi-Archiven nach der Wende 1989 ergaben, auch an der Bestechung einzelner Abgeordneter durch die DDR, für Brandt zu stimmen - Codename war "Unternehmen Brandtschutz". Denn der Wahlgang war geheim, von den verbliebenen SPD- und FDP-Koalitionären beteiligten sich nur die Minister an der Abstimmung.

Erfolgreich war hingegen das Misstrauensvotum im Oktober 1982 gegen Helmut Schmidt. Die FDP hatte Mitte September die Koalition mit der SPD aufgekündigt und sich mit den Unionsparteien zusammengetan. Gemeinsam erreichten sie die Mehrheit, um Helmut Kohl zum Bundeskanzler zu wählen.

Vertrauensfrage nach Ampel-Aus: Wann wären Neuwahlen möglich?

Neuwahlen vor dem regulären Wahltermin sind die zweite Möglichkeit. Dazu muss der Bundeskanzler die Vertrauensfrage im Parlament gemäß Artikel 68 Grundgesetz stellen. Verliert er sie, weil ihm nicht die Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen ausspricht, kann der Bundespräsident innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen und Neuwahlen anordnen. Helmut Kohl wollte sich 1982 auf diesem Weg die Zustimmung der Wähler zum Regierungswechsel sichern, weshalb er im Dezember eine Vertrauensfrage ansetzte und - verabredungsgemäß - verlor. Die Neuwahlen 1983 gingen klar zugunsten von Schwarz-Gelb aus.

Ebenso verfuhr Willy Brandt 1972, um seinen Kurs der Ostpolitik durch eine Neuwahl des Bundestags bestätigen zu lassen. Auch sie ging mit einer Bestätigung der amtierenden Regierung aus. Gerhard Schröder stellte die Vertrauensfrage nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, einer bis dahin sicheren SPD-Hochburg, 2005. Er verlor sie. Die daraufhin angesetzten Neuwahlen führten zur ersten Kanzlerschaft von Angela Merkel.

Vertrauensfragen wurden aber noch häufiger gestellt und auch mit Sachfragen verknüpft, etwa 2001 zum Kriegseinsatz in Afghanistan und im Frühjahr 1982 während der aufziehenden Krise der sozialliberalen Koalition. Sie dienen dann vor allem der Disziplinierung der Koalition. In der deutschen Geschichte wurde die Vertrauensfrage also bislang insgesamt fünf Mal gestellt - 1972, zweimal 1982, 2001 und 2005.

Folgen des Ampel-Aus: Minderheitsregierung für Bundeskanzler Olaf Scholz

Das faktische Ausscheiden der FDP aus der Ampel-Koalition hat demnach erst einmal keine Neuwahl des Bundestags zur Folge. SPD und Grüne könnten nun als Minderheitsregierung bis zum regulären Wahltermin im September nächsten Jahres weiterregieren. Die bislang von der FDP besetzten Ministerien werden unter den beiden Parteien aufgeteilt.

So geschah es auch schon im September 1982, nachdem die FDP die sozialliberale Koalition verlassen hatte - die Minister waren die wenigen Wochen bis zum konstruktiven Misstrauensvotum im Amt. Bundeskanzler Scholz plant derzeit, im Januar die Vertrauensfrage zu stellen und planmäßig zu verlieren - er würde sie aber wohl auch nicht gewinnen, selbst wenn die SPD- und Grünen-Abgeordneten ihm das Vertrauen aussprechen.

Bis dahin müssen die FDP-Ministerien Finanzen, Justiz und Bildung neu verteilt werden. Mit ersten Entscheidungen wird im Laufe des Tages gerechnet. Eine ist schon gefallen: Verkehrsminister Volker Wissing ist heute Morgen aus der FDP ausgetreten und bleibt im Amt

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