Was nach den Landtagswahlen im Osten passieren sollte
Die rechtsextreme AfD könnte bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stark abschneiden. Wie können sich die demokratischen Parteien, die Verwaltung und die Zivilgesellschaft gegen die Partei wehren? Experten haben dazu mehrere Empfehlungen.

Dass die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag (01.09.) ein hohes Ergebnis einfahren wird, ist sehr wahrscheinlich. Für Experten stellt sich seit Monaten die Frage, wie hoch genau die Rechtsextremen abschneiden werden. Denn davon hängt ab, wie sie die Landespolitik lähmen können.
Das Wichtigste sei, sich vorzubereiten, sagt Friedrich Zillessen. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs, für das sich Juristen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen haben, um auszuloten, wie die AfD die Demokratie in dem Bundesland beschädigen könnte.
Der Knackpunkt: Wenn die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im Erfurter Landtag holt, verfügt sie über eine sogenannte Sperrminorität. Alle Entscheidungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht wird, sind dann nicht mehr möglich - oder vom Segen der AfD abhängig. "Sie kann diesen Hebel nutzen, um in anderen Entscheidungen Zustimmung für sich zu erpressen", sagt Zillessen.
Wahlen im Osten: Erreicht die AfD ein Drittel der Sitze, kann sie vieles blockieren
Probleme drohen etwa in der Thüringer Justiz: Mehr als die Hälfte der Richter geht in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Neue Richter können nur auf Lebenszeit verpflichtet werden, wenn der Richterwahlausschuss zustimmt. Seine Mitglieder müssen jedoch mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag bestimmt werden. "Der Ausschuss ist entscheidend, um den Nachwuchs in der Thüringer Justiz zu organisieren", sagt Zillessen.
In Sachsen könnte eine Sperrminorität der AfD ebenfalls für Probleme sorgen. Dort ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, um den Landtag aufzulösen, Verfassungsrichter zu ernennen oder Anklagen gegen Landtagsabgeordnete zu erheben. Diese Spielregeln, festgehalten in der Geschäftsordnung, können ebenfalls nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden.
Höcke könnte "aus Versehen" zum Ministerpräsidenten gewählt werden
Die AfD braucht aber keine Sperrminorität, um den Politikbetrieb zu stören. Es sei etwa möglich, dass CDU-Kandidat Mario Voigt mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wird, wie es beim Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) passiert ist. "Allein das verursacht wieder einen Legitimationsbruch und Vertrauensverlust."
Außerdem befürchten die Autoren des Thüringen-Projekts, dass Höcke "aus Versehen" zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte. Die thüringische Verfassung schreibt nämlich vor, dass der Ministerpräsident nach zwei gescheiterten Versuchen im dritten Wahlgang gewählt ist, wenn er "die meisten" Stimmen auf sich vereint. Eine vage Formulierung, die aus Sicht der Juristen bedeuten kann: Höcke könnten die Stimmen seiner AfD-Fraktion reichen. Die anderen Fraktionen müssten sich vorher auf einen gemeinsamen Kandidaten für diesen Fall einigen.
CDU-Abgeordnete wollen Fragen zur Zusammenarbeit mit AfD nicht beantworten
Für Arne Semsrott, Leiter des Projekts "Frag den Staat", ist noch nicht völlig ausgeschlossen, dass die Rechtsextremen über eine Koalition doch an der Regierung beteiligt werden könnten. Der Grund: Frag den Staat hat alle CDU-Abgeordneten in Thüringen und Sachsen gefragt, ob sie sich eine Koalition mit der AfD vorstellen können - oder alternativ eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung. Zwar fielen 95 Prozent der Antworten klar gegen eine Zusammenarbeit mit oder Duldung von der AfD aus. Allerdings wollten 40 Prozent der CDU-Politiker in Sachsen und 36 Prozent in Thüringen die Fragen nicht beantworten.
Semsrott kann sich deshalb vorstellen, dass es eine "chaotische Wahlnacht" gibt, in der Hinterbänkler womöglich doch vorschlagen, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Die AfD könne etwa nur bestimmte, vermeintlich unwichtige Ministerien zugesprochen bekommen. "Das wäre ein Fall der Brandmauer", sagt Semsrott. "Durch den Zugriff auf Ministerien hätte die AfD eine enorme Machtfülle."
Beamten sollen den Widerstand proben und Gesetze verzögern
Aus seiner Sicht könne die "autoritäre Wende" trotzdem aufgehalten werden. "Selbst wenn es zu spät ist, ist es nicht zu spät. Es kann immer was getan werden." In der Justiz werde es darauf ankommen, dass Gesetze und Vorhaben genau geprüft werden, wenn Thüringen oder Sachsen sich nicht an geltendes Recht halten sollten. "Es wird stark darauf ankommen, dass die Entscheidungen der Gerichte tatsächlich umgesetzt werden."
Den Beamten im Land empfiehlt er, im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Widerstand zu proben. "Dass die Beamtenschaft nicht die erste Gruppe ist, an die man für einen revolutionären Widerstand denkt, ist klar." Aber es gelte die sogenannte Remonstrationspflicht: "Das bedeutet, dass rechts- und verfassungswidrige Weisungen gar nicht umgesetzt werden dürfen." Die Vorgabe aus dem Beamtenstatusgesetz gilt selbst dann, wenn nur der Verdacht besteht, dass eine Weisung rechtswidrig ist. Kritische Gesetze und Vorhaben müssten verzögert und verlangsamt werden, die Verwaltungen sich zusammenschließen.
Demokratiefördergesetz ist seit 527 Tagen im Ausschuss
Darüber hinaus müsse die Zivilgesellschaft in Deutschland gestärkt werden. "Nur leider ist die Demokratiearbeit in Deutschland so wahnsinnig schlecht finanziert." Gemeint sind damit etwa Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus oder Antisemitismus. Die Förderungen laufen oft im Oktober aus, weil mit Jahresverträgen gearbeitet wird. "Es braucht deshalb endlich ein Demokratiefördergesetz, das eine langfristige und strukturelle Finanzierung sicherstellt." Bisher steckt das Gesetz seit anderthalb Jahren in der Ausschussberatung fest, Kritik hat die FDP angemeldet. "Kein anderes Gesetz wurde so lange beraten und nicht umgesetzt."
Außerdem plädiert Semsrott dafür, dass ein AfD-Verbotsverfahren gestartet wird. "Man würde sich in einer Demokratie wünschen, dass es nicht nötig wäre, Parteien zu verbieten", sagt er. Und es gebe aus gutem Grund hohe Hürden und ein aufwendiges Verfahren dafür, es sei aber wichtig, diesen Schritt zu gehen. Die AfD erzeuge mit Staatsgeldern eine Stimmung, in der "gehetzt und gemordet" wird.
Sozialarbeiterin aus Erfurt: Menschen wollen Thüringen nur noch verlassen
Einen Einblick, was Menschen in Thüringen schon heute erleben, gibt Josina Monteiro. Sie ist Sozialarbeiterin in Erfurt und Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. "Rassistische Aussagen sind im Alltag angekommen." Menschen, mit denen sie im Rahmen ihrer Arbeit spreche, würden auf der Straße angeschrien oder gewaltsam angegangen. Viele würden überlegen, wie sie Thüringen schnellstmöglich verlassen können. Geflüchtete hätten dieses Privileg nicht: "Sie entscheiden sich nicht, hier zu leben, sie müssen hier leben." Das gleiche gelte für Kinder und Jugendliche.
Monteiro fordert, genau darauf zu schauen, welche Aussagen nach der Wahl fallen, welche Gespräche geführt werden und was die nächste Landesregierung vereinbart. Auch wie rechtsoffen das BSW in der politischen Praxis ist und ob es den Minderheitenschutz gewährleistet, müsse sich erst zeigen.
Ein Wahlergebnis, bei dem Monteiro vorsichtig aufatmen würde, wäre eines, bei dem die AfD an dritter Stelle steht. "Es wäre ein heftiges Signal, wenn so eine Partei die meisten Stimmen bekommt." Allerdings würde sich für die Betroffenen von Rassismus und Diskriminierung wenig ändern. "Die Büchse der Pandora ist geöffnet."