Zur Person: Dr. Rüdiger Maas ist Diplom-Psychologe und erforscht die jungen Generationen Z und Alpha. Gemeinsam mit seinem Bruder hat er das Institut für Generationenforschung in Augsburg gegründet, das sie gemeinsam leiten. Den Konflikt der Generationen Boomer, Gen X, Millenials und Gen Z beschreibt Maas auch in seinem gleichnamigen Buch, das im November erschienen ist. Die „Trendstudie 2025“ haben die Brüder Maas am Mittwoch (08.01.) vorgestellt.
Trendforscher Rüdiger Maas: „Man wird nicht mehr wissen, was stimmt und was nicht“
Erst war Dubai-Schokolade in aller Munde, bald wird sie vergessen sein. Das meint der Trendforscher Rüdiger Maas und erklärt im Interview, warum Social-Media-Trends heutzutage so schnelllebig sind.

Herr Maas, Sie haben erforscht, wie schnelllebig Trends sind, am Beispiel Dubai-Schokolade. Was haben Sie herausgefunden?
Rüdiger Maas: Anfangs war die Dubai-Schokolade nur ein Hype unter Influencern. Dubai steht für Luxus, deshalb war die Schokolade auch so teuer. Sie war aber gerade so teuer, dass sie sich trotzdem viele noch zum Probieren leisten konnte. Die meisten Menschen haben Dubai-Schokolade aber nur einmal probiert, danach ist der Trend schnell verpufft.Warum?Maas: Heutzutage können sich viele Menschen solche Sachen leisten. Dadurch werden sie aber schnell uninteressant. Die meisten haben die Schokolade gekauft, getestet und das wars. Dubai-Schokolade wird 2025 kein Thema mehr sein. Das zeigt: Trends werden durch Social Media immer schneller und kurzlebiger. Schon jetzt jagt ein Trend den nächsten. Noch schneller, geht das denn?Maas: Klar, vor allem der TikTok-Shop wird uns stark beschäftigen. In anderen Ländern gibt es das längst: Man kauft direkt auf der Plattform ein, ohne die App zu verlassen. Durch die kurzen Videos steht man unter Stress, da werden viele unüberlegt den Kaufen-Button drücken. Ich gehe davon aus, dass TikTok den Shop dieses Jahr auch in Europa und Deutschland etablieren wird.
Birgt das nicht die Gefahr, dass Internet-Trends wie die Dubai-Schokolade noch stärker von Unternehmen befeuert werden, um schnell Produkte zu verkaufen?
Maas: Auf jeden Fall. Wenn Influencer Produkte gegenüber jungen Menschen bewerben, hat das eine Wucht. Die Videos können weltweit angeschaut werden, da kommen schnell ein paar hundert Millionen Zuschauer zusammen.
Und damit problematischer Überkonsum von Produkten, die kurze Zeit später auf dem Müll landen...
Maas: Da gibt es einfach große Widersprüche. Der Nachhaltigkeits-Hype ist für die allermeisten durch, es spielt keine Rolle mehr. Das wird auch kein Wahlthema mehr sein. Das zeigt, dass es bei vielen nie eine wirkliche intrinsische Motivation zu mehr Klimaschutz gab.

Gibt es noch weitere Beispiele?Maas: Ja, der Film „Creed III“ Anfang 2023. Da haben junge Leute ganze Kinosäle verwüstet. Dieser TikTok-Trend kam aus Frankreich und war innerhalb von zwei Wochen bei uns. Da sich jeder selbst filmen und das Video verbreiten kann, entsteht eine enorme Dynamik.
Gleichwohl tummeln sich vor allem junge Menschen auf TikTok, der Rest bekommt doch kaum mit, was auf der Plattform abgeht, oder?Maas: Ursprünglich war TikTok mal für Kinder gemacht, zwischen 14 und 15 Jahren. Jetzt entdecken immer mehr Erwachsene die Plattform, das Durchschnittsalter liegt inzwischen bei 22 Jahren. Das heißt also, dass immer mehr Erwachsene in diese Jugendräume eindringen. Deswegen werden immer mehr Trends, die von Kindern kommen, von Erwachsenen übernommen. Früher war es genau andersrum, man denke nur an die Kaugummizigaretten, die Kinder nutzen, um Erwachsene nachzuahmen.
Welche Plattformen spielen außer TikTok eine Rolle?Maas: Es sind vor allem TikTok und Youtube. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen informiert sich ausschließlich in Social Media, zum Beispiel über Politik. Natürlich werden dabei Daten ausgetauscht: Wenn ich etwas auf TikTok schaue, bekomme ich zu diesem Thema auch Videos auf YouTube. ChatGPT spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, dort wird von jedem Fünften der Generation Z eher nachgeschaut statt zu googlen.Mit allen Problemen, die es bringt: Herbeifantasierte Informationen, unseriöse Quellen... Maas: Das ist eine Flut von Fake News, die auf junge Menschen einprasselt. In dieser Masse lassen sich Informationen gar nicht mehr verifizieren, das ist unmöglich.
Werden Trends künftig häufiger von Extremisten orchestriert, um junge Menschen zu beeinflussen?Maas: Diese Gefahr ist groß und das passiert zum Teil längst. Elon Musk zeigt das gerade, indem er mit keiner transparenten bzw. nachvollziehbaren Logik Parteien unterstützt und seine Plattform nutzt, um bestimmte Themen zu pushen. Welche Agenda dahinter steckt, kann man nur schwer sagen, genauso wenig aber, ob das tatsächlich Wahlen beeinflusst.
Die EU und die Bundesregierung haben vieles versucht, um die Plattformen zur Verantwortung zu ziehen. Hat das etwas gebracht?Maas: Es muss am Ende bei den Leuten ankommen. Wenn jemand glaubt, die öffentlich-rechtlichen Medien lügen, nutzt es nichts, wenn man den Nutzern Informationen dieser Medien in den Feed spült.Hilft es, wenn TikTok und Co. ihren Algorithmus offenlegen müssen, wie es die KI-Verordnung der EU vorschreibt?Maas: Diese Vorstellung, dass wir das alles nachvollziehen könnten, ist unrealistisch. Google kann wahrscheinlich seit zehn Jahren schon nicht mehr sagen, wie seine Algorithmen genau funktionieren. So einfach ist das auch nicht. Und wo ziehen wir die Grenze? Man müsste inzwischen in jedem Hollywood-Film kennzeichnen, dass KI verwendet wurde.
Was kann man also selbst tun?Maas: Man muss heutzutage unbedingt verschiedene Medien nutzen. Außerdem braucht es mehr Dialog in alle Richtungen. Wir müssen wieder miteinander sprechen und einander zuhören. Dazu gehört, das eigene Weltbild bewusst und öfter zu hinterfragen.
Welche Trends erwarten Sie für 2025?Maas: Wenn ich das sagen könnte, wäre das ein tolles Geschäftsmodell (lacht). Im Ernst: Trends passieren plötzlich und unerwartet. Was wir sehen werden, ist, dass alles schnelllebiger wird und sich die Digitalisierung immer mehr verselbstständigt. Dadurch erhöht sich der Druck zwischen den Generationen.
Warum?Maas: Eltern werden manche Dinge nicht mehr nachvollziehen können. Die Jüngeren wachsen auf und kennen gar keine analoge Welt mehr. Wer heute geboren wird, wird eine Welt erleben, in der Daten nicht mehr nachvollziehbar sind. Man wird nicht mehr wissen, was stimmt und was nicht. In der Gesamtschau werden sehr viele Menschen künftig alt sein, die das Handeln der Jungen bestimmen, aber dennoch werden die Jungen immer mehr im Fokus sein, ohne wirkliche Lobby. Dadurch entsteht ein Druck auf die Jungen, für den sie gar nichts können.
Das klingt dystopisch, als ob die unterschiedlichen Generationen in ihrer eigenen Parallelwelt leben!
Maas: Aber wir wollen es doch so! Gerade teilen wir Tablets in Grundschulen aus, weil die Politik irgendeinen Digitalpakt durchdrücken will. Aber niemand ist mal auf die Idee gekommen, vorher die Lehrer dafür auszubilden. Wir machen es genau falsch herum!
Und trotzdem gibt es genug Menschen, die mit TikTok und Co. nichts zu tun haben wollen und nicht verstehen, was auf diesen Plattformen passiert. Kann man sich das heutzutage noch leisten?
Maas: Auf jeden Fall, das muss möglich sein. Die älteren Menschen dürfen das alles kindisch finden. Wichtig ist, dass Ältere nicht zu sehr von Informationen abgeschnitten werden und quasi einen „sozialen Tod“ sterben. Sie sollen trotzdem teilhaben können, ohne Anbietern in den USA und China all ihre Daten übergeben zu müssen.
Allerdings wird über eine europäische Social-Media-Plattform seit Jahren diskutiert, ohne Ergebnis.
Maas: Da gebe ich Ihnen recht, da sind wir noch meilenweit entfernt. In der Corona-Pandemie hatte jedes Land seine eigene App, ein Wahnsinn! Zusammenarbeit, dort wo es Sinn macht, über Ländergrenzen hinweg, das wäre dringend nötig.

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