Konkret haben die Unterhändler von EU-Parlament und Mitgliedsländern folgendes beschlossen: Die Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) treffen nun nur noch Unternehmen ab 1000 Mitarbeitern mit einem Nettojahresumsatz von 450 Millionen Euro. Außerdem wird die Pflicht auf das Geschäftsjahr 2027 verschoben. Das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) gilt nur noch für Großkonzerne ab 5000 Mitarbeiter und gleichzeitig einem Nettojahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro. Die vorgesehene Verpflichtung, Klimaschutzpläne vorzulegen, entfällt komplett. Ebenso müssen Unternehmen bei Verstößen nicht zivilrechtlich haften, stattdessen sollen Strafen bis zu einer Höhe von drei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden können. Auch das Lieferkettengesetz greift nun erst ab Mitte 2028. Der EU-Rat und EU-Parlament müssen formal noch zustimmen, das gilt jedoch als Formsache.
„Skandal“: Ex-EU-Abgeordnete aus Mulfingen kritisiert Lieferketten-Beschluss mit rechter Mehrheit
Auf EU-Ebene ist ein Streit um die Brandmauer entflammt. Denn die konservative EVP hat das EU-Lieferkettengesetz gemeinsam mit dem Rechtsaußen-Lager deutlich abgeschwächt. Woran sich die Kritik entzündet.

Fast 30 Jahre lang war Evelyne Gebhardt aus Mulfingen Abgeordnete im Europaparlament. In dieser Zeit hat die Sozialdemokratin zahlreiche wichtige Gesetze verhandelt, darunter die Dienstleistungsrichtlinie oder die Möglichkeit für Sammelklagen.
Was aber rund um das EU-Lieferkettengesetz gerade passiert, bringt die erfahrene Politikerin in Wallungen. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass die EVP und damit die CDU/CSU die Vereinbarung aufgekündigt hat, dass sie eine Brandmauer gegenüber den Rechtsextremen und den Fraktionen Rechtsaußen aufrechterhält“, sagt Gebhardt. „Das ist ein Skandal.“
Frühere SPD-Abgeordnete Gebhardt kritisiert Abstimmung mit rechtem Lager bei EU-Lieferkettengesetz
Hintergrund des Streits ist das sogenannte Omnibus-Paket, das die EU-Kommission nach Kritik aus der Wirtschaft geschnürt hat. Es soll zentrale Vorhaben für den Klimaschutz vereinfachen, Bürokratie abbauen und so zu mehr Wettbewerbsfähigkeit führen. Im ersten Schritt wurden das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) und die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen (CSRD) entschärft.
Der Streit entzündet sich daran, dass die konservative EVP-Fraktion um CDU und CSU im November die Abschwächung dieser EU-Gesetze mit Stimmen des rechten Lagers aus Patrioten, ESN und EKR möglich gemacht hat. Damals stimmte das EU-Parlament mit 382 Stimmen dafür und 249 Stimmen dagegen, 170 Stimmen kamen aus dem rechten Lager. SPD, FDP und Grüne hatten noch Gesprächsbedarf gesehen und überwiegend gegen die damalige Position gestimmt. Mit der abgestimmten Position geht das Parlament in Verhandlungen mit den EU-Ländern.
Wurde ein demokratischer Grundkonsens aufgekündigt?
„Es wäre durchaus möglich gewesen, diese Entscheidung aus der Mitte des Parlaments heraus zu treffen“, betont Gebhardt. Bei der Wahl Ursula von der Leyens habe die EVP noch versprochen, keine Mehrheiten mit den Rechtsextremen zu suchen. „Dieser Grundkonsens, den man in einer Demokratie haben sollte, gilt offenbar nicht mehr.“
Auch die Behauptung, es gehe nur um Bürokratieabbau, lässt Gebhardt nicht gelten. Dieser sei nötig und müsse angegangen werden. „Was hier aber passiert, ist, dass zentrale Arbeitnehmerrechte und Vorgaben zur Nachhaltigkeit und Verbesserung der Lebensqualität abgeschafft werden.“
SPD-Abgeordneter Rene Repasi aus Karlsruhe sieht „Dammbruch“
Auf Gebhardt folgte 2022 der Karlsruher René Repasi, inzwischen wiedergewählt und Vorsitzender der Sozialdemokraten im Europaparlament. Auch er geht mit den Christdemokraten hart ins Gericht und spricht von einem „Dammbruch“. „Ich persönlich bedauere sehr, dass es so weit gekommen ist.“
Denn eigentlich seien die Standpunkte der Fraktionen in den Verhandlungen nicht weit entfernt gewesen, meint Repasi. Doch dann sei „die politische Energie“ ausgegangen und die EVP habe eine Mehrheit gemeinsam mit dem rechten Lager gesucht. Das nicht aus Versehen passiert, sondern kalkuliert passiert. „Diese Erpressungstaktik war von Anfang an eine Strategie des EVP-Berichterstatters.“
Bürokratieabbau muss sein, betont Karlsruher SPD-Abgeordneter
Bürokratie abzubauen hält Repasi ebenfalls für richtig. Richtige Vorhaben wie das EU-Lieferkettengesetz dürften nicht zu unnötiger bürokratischer Belastung führen. „Aber wir verbessern nichts auf der Welt, indem wir noch mehr Hochglanzbroschüren produzieren“, sagt der Karlsruher. Bei der Entlastung sei man nun aber über das Ziel hinausgeschossen, indem dem Lieferkettengesetz „sämtliche Zähne gezogen wurden“.
Wichtig war den Sozialdemokraten, dass Firmen einen Plan entwerfen müssen, wie sie klimaneutral werden und zivilrechtlich haften, wenn sie Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette zu verantworten haben, wie etwa Kinderarbeit und Sklaverei. Beides ist nach den Trilog-Verhandlungen am Montagabend gestrichen.
Steht die Mehrheit für das abgeschwächte EU-Lieferkettengesetz?
Ob die Rechtsaußen-Fraktionen im EU-Parlament nun auch dem Kompromiss zustimmen werden, das will Repasi noch nicht voraussehen. „Ich halte es für wahrscheinlich, aber gesichert ist das nicht.“ Genauso könne es sein, dass Patrioten, ESN und EKR sich dazu entscheiden, weiterhin Fundamentalopposition zu spielen.
Er selbst sehe keinen Grund, warum die Sozialdemokraten den abgeschwächten Gesetzen zustimmen sollten. Die EVP müsse sich nun entscheiden, welchen Kurs sie einschlagen will. „Ich kenne viele CDU-Politiker, die nichts mit dem rechten Rand zu tun haben wollen“, sagt Repasi. „Denen müssen wir die Tür offenhalten.“
CDU-Abgeordnete Wechsler: Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit vereinen
Für das Omnibus-Paket und die abgeschwächten Vorgaben gestimmt hat Andrea Wechsler, CDU-Europaabgeordnete aus Ludwigsburg. Für sie ist es unabdingbar, dass die EU ihre Bürokratie abbaut. Die Last sei inzwischen so groß, dass sie sich wie ein innereuropäischer Zoll in Höhe von 45 Prozent auf Produkte auswirkt. „Unsere politische Priorität ist es jetzt, den Klimaschutz mit der gesunkenen Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen.“
Das Omnibus-Paket sei im zuständigen Ausschuss fertig ausgehandelt gewesen, betont Wechsler, und auch beim anschließenden Parlamentsbeschluss seien die Stimmen der AfD nicht ausschlaggebend gewesen. „Wir paktieren nicht mit den Rechtsextremen, die Brandmauer ist nicht eingerissen.“
„Wir glauben an den Klimaschutz und unterstützen ihn“, sagt Wechsler außerdem. Das Parlament habe mit breiter Mehrheit das Klimaziel 2040 beschlossen, neben dem Green Deal gebe es den Clean Industrial Deal. „Wir müssen aber das ein oder andere neu steuern und korrigieren, bei dem wir in der vergangenen Legislaturperiode eine Überbürokratisierung hatten.“ Es nutze niemandem, wenn Unternehmen immer mehr Mitarbeiter für Klimaschutz-Berichterstattung beschäftigen, statt in der Produktion. „Wir bleiben ganz klar dabei, dass wir weiter auf dem Klimaschutz-Pfad sind, diesen aber so gestalten, dass er für Unternehmen umsetzbar ist.“

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