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Klimaschutz-Sofortprogramm: Was die Bundesregierung für das Klimaziel 2030 beschließen müsste

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Die Bundesregierung muss im neuen Jahr ein Programm für den Klimaschutz vorlegen. Dieses soll sicherstellen, dass das Klimaziel 2030 eingehalten wird. Ein Positionspapier des Umweltbundesamts zeigt: Es bräuchte eine radikale politische Kehrtwende.

Am Heilbronner Steinkohlekraftwerk (Archivfoto) läuft der Umbau, damit dort künftig Strom aus Gas erzeugt werden kann. Das Umweltbundesamt empfiehlt in einem neuen Papier, den Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorzuziehen.
Am Heilbronner Steinkohlekraftwerk (Archivfoto) läuft der Umbau, damit dort künftig Strom aus Gas erzeugt werden kann. Das Umweltbundesamt empfiehlt in einem neuen Papier, den Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorzuziehen.  Foto: Archiv/Veigel

Die Bundesregierung will ihr Programm für den Klimaschutz im neuen Jahr vorlegen. Es soll sicherstellen, dass Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2030 erreichen kann. Wie anspruchsvoll das ist und was alles unternommen werden muss, zeigt ein aktuelles Positionspapier des Umweltbundesamts. Wir haben Fragen und Antworten zum Thema gesammelt.

Warum plant die Bundesregierung ein Klimaschutz-Programm?

Das Klimaschutz-Programm muss vorgelegt werden, weil es das Klimaschutzgesetz so vorsieht. Demnach muss jede neue Regierung innerhalb eines Jahres einen solchen Klimaschutzplan schmieden. Für Schwarz-Rot läuft diese Frist im März 2026 ab. Eigentlich wollte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) den Plan bis Jahresende vorstellen, wegen der aktuellen Klima-Beschlüsse auf EU-Ebene will er die Frist nun aber ausreizen.

Wo steht Deutschland beim Klimaziel 2030?

Das Ziel dürfte verfehlt werden. Seit 1990 hat Deutschland seine Emissionen um 48 Prozent gesenkt, bis 2030 müssen 65 Prozent erreicht werden. Der Klima-Expertenrat ging im Frühjahr zwar davon aus, dass diese Marke knapp erreicht wird – allerdings nur, weil die deutschen CO₂-Emissionen zwischen 2021 und 2024 wegen Corona und der schwachen Wirtschaft niedrig waren.

Spätestens nach 2030 drohe Deutschland eine „deutliche und im Zeitverlauf zunehmende Zielverfehlung“, so der Expertenrat. Dabei drängt die Zeit: Bis 2040 stehen 88 Prozent weniger CO₂ im Klimaschutzgesetz, fünf Jahre später soll der Ausstoß auf null sinken.

Was müsste passieren, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht?

Das Umweltbundesamt hat sich diese Frage gestellt und dazu vor wenigen Tagen ein Positionspapier geschrieben. Auffallend ist, dass die darin geforderten Maßnahmen sich deutlich von dem unterscheiden, was Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben und klimapolitisch gerade umsetzen.

Die Autoren betonen jedoch: Deutschland müsse jetzt die Weichen für das Ziel der Klimaneutralität 2045 stellen. „Emissionsminderungen im kommenden Jahrzehnt müssen bereits heute angegangen werden.“ Denn die nötigen Umstellungen sind in vielen Bereichen so groß, dass sonst nicht mehr genug Zeit bleibt. Generell sei ein klimaneutrales Deutschland nur möglich, „wenn alle Sektoren ihren größtmöglichen Beitrag leisten“.

Welche Vorschläge für den Klimaschutz werden gemacht?

Zu Beginn notieren die Autoren grundsätzliche Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreifen sollte. So müsse der Umstieg auf E-Autos und Wärmepumpen für Haushalte mit geringem Einkommen gefördert werden, damit sie vom CO₂-Preis entlastet werden.

Der europäische Emissionshandel ETS2 für Verkehr und Gebäude, der gerade von 2027 auf 2028 verschoben wurde, sei ein „klimapolitischer Meilenstein und ein wesentliches Instrument“. Ihn zu verschieben oder zu entschärfen, gefährde die Klimaziele.

Gleichzeitig brauche es einen wirksamen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus. Dieser „CO₂-Zoll“ soll sicherstellen, dass europäische Hersteller von Stahl, Zement und Dünger gegenüber klimaschädlicheren Importen nicht benachteiligt werden. Die EU hat den CO₂-Zoll allerdings gerade entschärft, sodass er für 90 Prozent der betroffenen Unternehmen nicht mehr gilt.

Was wird für die Energiewirtschaft vorgeschlagen?

Für den Energiesektor empfiehlt das Umweltbundesamt in den nächsten fünf Jahren einen ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien, der Wasserstoffinfrastruktur inklusive Speichern sowie den Ausbau und die stärkere Digitalisierung der Strom- und Wärmenetze. Der Kohleausstieg sei nicht erst 2038, sondern bereits 2030 „anzustreben“. Gleichzeitig brauche es Investitionen in die Energieeffizienz, der Endenergieverbrauch soll bis dahin um ein Viertel sinken.

Derzeit setzt die Bundesregierung auf den Bau zusätzlicher Gaskraftwerke. Das Umweltbundesamt stellt jedoch klar: Nach 2030 müsse der Ausbau der Erneuerbaren und der Energieinfrastruktur weitergehen, gleichzeitig brauche es einen Erdgas-Ausstieg und stattdessen wasserstofffähige Kraftwerke samt des nötigen Wasserstoff-Netzes.

Was muss die Industrie unternehmen?

Auf den Industriesektor wirkt sich der Umbau des Strom- und Wärmesystems ebenfalls emissionsmindernd aus. Produktionsprozesse müssten schrittweise elektrifiziert und dekarbonisiert werden, dafür brauche es Förderprogramme und ein funktionierendes Wasserstoffnetz. Bis 2040 müsste eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft geschaffen und ein CO₂-Fußabdruck für Produkte eingeführt werden.

Der wichtigste Faktor für die Industrie sei Planungssicherheit, so die Autoren, „die nur durch verlässliche und über Legislaturperioden sowie Parteigrenzen hinweg stabile Rahmenbedingungen in Form von verbindlichen Gesetzen und Zielen geschaffen werden kann“. 

Welche Vorschläge gibt es für den Verkehrssektor?

Für den Verkehrssektor sind die Vorschläge innerhalb weniger Tage von der Aktualität überholt worden. Die Autoren fordern nämlich: „Am vereinbarten Ausstieg aus dem Verbrenner-Pkw 2035 sollte [...] festgehalten werden.“

Grundsätzlich brauche es für einen klimaneutralen Verkehrssektor viele verschiedene Maßnahmen bis 2030: höhere Kfz-Steuer für Spritschlucker, Tempolimit auf Autobahnen, Ausbau von Bus und Bahn sowie der Ladeinfrastruktur, einen deutlich höheren CO₂-Preis und die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen. Dazu zählt das Umweltbundesamt neben dem Steuerrabatt auf Diesel auch Zuschüsse für Regionalflughäfen. Nach 2030 empfiehlt das Papier eine Pkw-Maut auf allen Straßen und das Ausweiten der Lkw-Maut.

Wie soll der CO₂-Ausstoß von Gebäuden reduziert werden?

„Die schnellstwirksame Maßnahme, um die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor zu reduzieren, ist für die kurze noch verbleibende Zeit bis 2030, Heizungen auf erneuerbare Wärmeenergie umzustellen“, heißt es in dem Papier. Das Gebäudeenergiegesetz und seine Vorgabe, dass neue Heizungen mindestens 65 Prozent erneuerbare Energie nutzen müssen, müsse bleiben. Die Bundesregierung will das Gesetz dagegen umbenennen und abändern, wie genau, ist noch unklar.

Am sinnvollsten wäre es aus Sicht der Autoren, sich gleich auf Wärmepumpen und Wärmenetze zu konzentrieren. Hauseigentümer dürften sich nur noch in Ausnahme- und Härtefällen für eine Brennstoff-Heizung entscheiden. Der Umstieg müsse durch einkommensabhängige Förderungen vom Staat ermöglicht werden. Ebenso schlagen die Autoren eine Strompreisbremse für Wärmepumpen vor. Energetische Sanierungen sollen deutlich hochgefahren werden, inklusive einer Sanierungspflicht für die ineffizientesten Gebäude. 

Wie sollen die übrigen Emissionen gesenkt werden?

In der Landwirtschaft soll der CO₂-Ausstoß durch den Umstieg auf eine pflanzenbetonte Ernährung sinken, so die Empfehlung des Umweltbundesamts. Die Zahl der Nutztiere zu senken, sei aber nur sinnvoll, wenn der Fleischkonsum tatsächlich sinkt. „Ansonsten droht eine Verlagerung der Tierproduktion und der damit verbundenen Treibhausgasemissionen ins Ausland.“ Ebenfalls empfehlen die Autoren, die Mehrwertsteuer für pflanzliche Produkte zu senken und für Fleisch zu erhöhen, beides lehnt CSU-Landwirtschaftsminister Alois Rainer ab.

Eine ebenfalls altbekannte Forderung: Die Agrar-Subventionen der EU sollen nicht mehr nach Fläche ausgezahlt werden, sondern sich an ökologischen Kriterien orientieren. In der Vergangenheit konnten sich die EU-Staaten nicht auf eine solche grundsätzliche Reform der Agrar-Förderung einigen.

Für den Sektor Abfall- und Abwasserwirtschaft empfehlen die Autoren technische Erneuerungen alter Anlagen, im Bereich Landnutzung (LULUCF) soll durch Aufforstung, Wiedervernässung von Mooren und ein Ende der Torfnutzung dafür gesorgt werden, dass Wälder und Moore deutlich mehr CO₂ aufnehmen als heute. Durch solche sogenannten Senken können Emissionen ausgeglichen werden, die sich nicht vermeiden lassen.

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