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Joschka Fischer mit Demokratiepreis "Württemberger Köpfe" ausgezeichnet

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Früherer grüner Außenminister wird von der Württemberger Gesellschaft in Heilbronn für seine Verdienste für die Demokratie ausgezeichnet. Jean Asselborn hält die Laudatio.

Joschka Fischer (Mitte) bei der Preisverleihung der "Württemberger Köpfe" in der Heilbronner Harmonie.
Joschka Fischer (Mitte) bei der Preisverleihung der "Württemberger Köpfe" in der Heilbronner Harmonie.  Foto: Kunz, Christiana

Als Joschka Fischer um 21.42 Uhr am Mittwochabend seine bemerkenswerte Rede beendet, stehen fast alle der rund 900 Gäste in der Heilbronner Harmonie auf, um dem diesjährigen Preisträger "Württemberger Köpfe" zu applaudieren. Dabei kann der "tief bewegte" frühere Außenminister und Vizekanzler nach eigenem Bekunden gar nicht gut mit Lob umgehen. "Mit Tadeln kann ich sehr gut umgehen, mit Lob nicht", so Fischer.

An diesem Abend kann der gebürtige Gerabronner der Anerkennung freilich nicht ausweichen, die ihm langjährige Weggefährten zukommen lassen.


Allzu unangenehm dürfte das nicht sein, schließlich wird mit den "Württemberger Köpfen" "die Demokratie und ihre Leistungsträger gefeiert", wie es Andreas Fischer ausdrückt. Er hat den mit 100.000 Euro dotierten Demokratiepreis 2019 mit der Württemberger Gesellschaft ins Leben gerufen, um von Heilbronn aus ein Signal gegen Extremismus, Hass und Gewalt zu setzen. Das Preisgeld wird über den von Fischer gegründeten Verein Miteinander an soziale Projekte für Kinder und Jugendliche gespendet.

Ehrung für Joschka Fischer: Viel grüne Parteiprominenz in der Harmonie

Viel grüne Parteiprominenz hat sich in der Harmonie versammelt, um die Preisverleihung an Joschka Fischer zu verfolgen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist ebenso da, wie Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der Kretschmann in die Staatskanzlei nachfolgen möchte. Auch Rezzo Schlauch, wie Fischer in Gerabronn geboren, ist gekommen. Und für die Moderation ist der frühere FDP-Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg Walter Döring zuständig, der mit sarkastischen Bemerkungen über den Zustand seiner Partei immer wieder für Lacher sorgt.


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Dabei gibt es angesichts der aktuellen Weltlage wenig zu lachen, das machen alle Redner des Abends deutlich. Cem Özdemir lobt Joschka Fischers Einsatz für die Aufnahme Polens in die Europäische Union im Jahr 2004, die sich heute angesichts der russischen Bedrohung als extrem wichtig erweise. "Ich wünschte, allen in Deutschland wäre diese Gefahr bewusst", sagt Özdemir und fügt selbstkritisch hinzu: "Wir haben bewusst die Augen verschlossen vor den Absichten Putins."

Joschka Fischer hingegen habe immer vor Putin gewarnt und um die Bedeutung der östlichen EU-Mitglieder gewusst. "Wenn die Demokratien in Osteuropa bedroht sind, dann sind wir das auf Dauer auch", sagte der designierte Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl 2026. Den überzeugten Europäer Fischer charakterisierte Özdemir als "blitzgescheit, beharrlich, aber niemals borniert".

Wie Joschka Fischer die europäische Außenpolitik geprägt hat

Einen wahren Parforceritt durch Fischers außenpolitische Karriere macht der frühere luxemburgische Außenminister und leidenschaftliche Europäer Jean Asselborn. Mit seiner unkonventionellen Art, seiner Geradlinigkeit, seinem Durchsetzungsvermögen und seiner für Deutsche untypischen Lässigkeit habe Joschka Fischer von 1998 bis 2005 die europäische Außenpolitik entscheidend geprägt. Obgleich Pazifist sei der Grüne nicht blind gewesen, spielt Asselborn auf den ersten deutschen Militäreinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg im Kosovo im Jahr 1999 an, den Fischer maßgeblich forciert hatte.

Der Luxemburger lobt Joschka Fischers Verdienste für die Osterweiterung der EU und seinen Einsatz für Frieden im Nahen Osten. Asselborn bekommt viel Applaus, als er sagt, die Gewalt im Nahen Osten müsse gestoppt werden, weil sie ins Nichts führe. "Israel gewinnt Schlachten, aber es muss auch den Frieden gewinnen." Auch der Ukraine-Krieg müsse gestoppt werden, fordert Asselborn. Ein von Russland diktierter Zwangsfrieden komme jedoch nicht in Frage sagt der Luxemburger und betont: "Jeder in Europa sollte wissen, wer der Angreifer ist und wer das Opfer ist."

Joschka Fischer fragt sich, was mit unserem Land los ist

Joschka Fischer geht in seiner Ansprache auf die Kriege in der Welt nicht ein, über die er an diesem Tag in Heilbronn schon mehrfach gesprochen hat.  Was ihn gerade besonders umtreibt: "Was ist mit unserem Land los?" Der 76-Jährige zeigt sich fassungslos und auch ein bisschen ratlos darüber, dass Rechtsextremismus in Deutschland in Teilen der Gesellschaft wieder hoffähig geworden ist.

"Heute werden Leute wie Höcke gewählt", sagt Fischer und warnt: "Keiner darf kommen und sagen: Wir wussten es nicht." Wenn über Remigration oder die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten wie Ruanda, die laut Fischer gegen das Grundgesetz verstoßen würden, diskutiert werde, könne er sich nur fragen: "Wo sind wir eigentlich gelandet?"

Fischer sieht das Projekt Europa bedroht

Der Grüne sieht nicht nur die Demokratie in Deutschland bedroht, sondern in ganz Europa. Mit großer Sorge blickt Fischer nach Frankreich und nach Italien, wo die Rechtsextremisten immer stärker werden. "Ich sehe ein echtes Risiko für die Zukunft der EU", sagt Fischer. Und schiebt nach: "Wenn Europa verloren geht, dann geht die Seele der deutschen Demokratie verloren." Deshalb brauche es den gemeinsamen Kampf der demokratische Mitte gegen Extremismus jeder Art. "Darauf kommt es an." Der Saal applaudiert, die Demokratie hat zumindest in Heilbronn noch viele Fans.

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