EU-Gegner in den Mitgliedsstaaten: Besondere Herausforderungen für die Demokratie
Ungarns Präsident Victor Orban stellt sich fundamental gegen die EU. Italien unter der Rechten Giorgia Meloni agiert pragmatisch. Auch die Slowakei verstößt gegen EU-Regelungen. Wie sich EU-Gegner verhalten.

Wenn die Krise der EU ein Gesicht hätte, wäre es das des ungarischen Staatschefs Victor Orban. Mit strategischer Präzision hat der 60-Jährige die Demokratie in Ungarn schrittweise abgeschafft. Er hat die Verfassung zu seinen Gunsten geändert, um Opposition und Justiz zu beschneiden. Die Medien werden drangsaliert, Minderheiten verfolgt, Korruption grassiert.
Beschlüsse in der EU müssen meistens einstimmig gefasst werden – das kommt den Blockierern zugute
Die EU-Kommission sah dem Treiben lange zu, reagierte dann aber doch. Sie startete mehrere Vertragsverletzungsverfahren und hielt Hilfszahlungen in Milliardenhöhe zurück. Orban wusste das für sich zu nutzen und blockierte als Reaktion den EU-Haushalt sowie Finanzhilfen für die Ukraine.
Eine Regelung, die lange vor Ungarns EU-Beitritt erdacht wurde, kommt ihm dabei zugute: Die Mitgliedsländer können Beschlüsse im Rat zumeist nur einstimmig fassen. Blockiert einer, liegt das Vorhaben auf Eis. Nur über lange Verhandlungsrunden, Zugeständnisse und fragwürdige Umwege ist es den übrigen Staaten gelungen, den EU-Beitritt der Ukraine und Finanzhilfen zu beschließen – während der Abstimmung hatte Orban den Raum verlassen.
Ein Kurswechsel ist seitens Orban nicht in Sicht. Im März sprach er davon, dass Ungarn Brüssel einnehmen müsse, wenn es seine Freiheit wahren will. Es sei an der Zeit zu rebellieren, kündigte er an.
Auch die Slowakei verstößt gegen EU-Regelungen
Orbans Ungarn ist ein extremes Beispiel. Doch längst gibt es weitere Länder, die sich bei bestimmten Themen entschieden gegen die Union stellen. So hatte sich die Slowakei 2017 bei einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an die Seite Ungarns gestellt. Die Länder weigerten sich, über den Solidaritätsmechanismus Flüchtlinge aufzunehmen.
Die Regelung soll Länder an der EU-Außengrenze wie Griechenland und Italien entlasten, in dem die Ankommenden in der gesamten EU verteilt werden. Das höchste EU-Gericht wies die Klage ab. Die Slowakei wollte das nicht gelten lassen. Regierungschef Robert Fico erklärte, sein Land werde Pflicht-Quoten niemals akzeptieren.
Die Ultrarechten in Italien verwässern, statt zu blockieren
Und dann wäre da noch Italien. Das Land wird seit Herbst 2022 von Giorgia Meloni von der rechten Partei Fratelli d"Italia regiert. Die Sorge vieler Beobachter, dass Meloni es Orban mindestens gleichtun werde, hat sich nicht bestätigt. Stattdessen agiert Rom auf EU-Ebene fast überraschend pragmatisch. Die gerade beschlossene EU-Verpackungsverordnung, die Einwegplastik schrittweise verbannen soll, hat Italien mit zahlreichen Änderungsanträgen verwässert. Oder das Renaturierungsgesetz, mit dem auf einem Fünftel der EU-Fläche Ökosysteme wiederhergestellt werden sollten: Zwar hat Italien das Vorhaben nicht aktiv bekämpft, die Gegner aber unterstützt und letztlich dagegen gestimmt. Die Asylreform wiederum? Hier reklamiert Meloni die Verschärfungen maßgeblich für sich.
Polen als Gegenbeispiel: Neue Regierung ist pro-europäisch
Als Gegenbeispiel gilt Polen. Das Land wurde unter der konservativen PiS-Regierung zu den Sorgenkindern Europas. Die polnische Führung wollte nicht anerkennen, dass EU-Recht über nationalem Recht steht, hatte die Unabhängigkeit der Justiz torpediert und die Medienlandschaft umgebaut. Inzwischen ist unter Donald Tusk wieder eine pro-europäische Regierung im Amt, die versucht, die Schäden aus der PiS-Zeit rückgängig zu machen. Mit Erfolg: Anfang Mai hat die EU-Kommission angekündigt, sie werde die laufenden Verfahren gegen Polen beenden.


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