Stimmungslage in Deutschland: Keine Panik, aber Sorge geht um
Die Preise für Lebensmittel und Energie steigen und steigen - wie geht das Leben in der Region in den kommenden Monaten weiter? Ein Meinungsforscher erklärt die Stimmungslage in Deutschland. Eine aktuelle Untersuchung des Allensbach-Instituts zeigt auf, was die Menschen in der Krise beschäftigt.

Dr. Thomas Petersen ist Projektleiter am Institut für Demoskopie Allensbach (IfD). Er hat im Auftrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor vier Wochen eine Umfrage mit dem Schwerpunkt Inflation vorgenommen. Befragt wurden 1038 Menschen ab 16 Jahren. "Inflation ist das beherrschende Thema", sagt der 54-Jährige. Das gaben 83 Prozent der Umfrageteilnehmer an. Zur Auswahl standen 19 Antwortmöglichkeiten. "Die Preissteigerung bereitet den Menschen ein erhebliches Maß an Sorge." Knapp dahinter rangiert der Krieg in der Ukraine. 69 Prozent der Menschen machen sich um die Energieversorgung diesen Winter Gedanken.
Die Menschen wollen sparen
Die Situation derzeit sei nicht vergleichbar mit der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. "Jetzt ist es so, dass es die Menschen deutlich spüren", sagt Petersen. Das Institut am Bodensee hat die Teilnehmer gefragt, ob sie deshalb auch bereit seien, mehr zu sparen. 70 Prozent gaben demnach an, sparsamer leben zu wollen. "Vor zwei Jahren waren es noch 51 Prozent. Das hat spürbar zugenommen. Von der Inflation sind die Menschen persönlich betroffen." Diese bereite den Leuten immer Sorge. Auch in Zeiten, in denen es keine oder nur eine geringe Inflation gebe. "Das ist eine Grundhaltung." Einen Hinweis auf eine Panik unter den Menschen sehe er noch nicht. Es sei aber mehr als abstrakte Sorgen.
Ganz konkret trifft es bereits die Krankenhäuser im Land. Die Steigerungen der Energiekosten infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine spüren sie deutlich. 60 Prozent schreiben dieses Jahr vermutlich rote Zahlen, heißt es von der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Das Defizit im Land betrage etwa 640 Millionen Euro. Der Grund seien gestiegene Energie- und Sachkostenpreise. Die Krankenhäuser hoffen auf Hilfe. Sollte die nicht schnell erfolgen, drohe eine Reihe von Klinik-Insolvenzen im Land, heißt es von der BWKG.
Auf Preise achten
Die Bevölkerung hat sich derweil selbst einen Sparkurs verordnet. Um den Geldbeutel zu schonen, möchte etwas mehr als die Hälfte der befragten Menschen beim Einkauf mehr auf den Preis achten, geht aus der Allensbach-Studie weiter hervor. Knapp die Hälfte gibt an, sich generell mehr einzuschränken. 37 Prozent wollen weniger Auto fahren. Die Angaben sind Petersen zufolge vom Frühjahr dieses Jahres. Möglich, dass sich die Werte bei einer aktuellen Umfrage etwas ändern könnten. "Die Zahlen erscheinen groß. Doch solche Aussagen sind oft leicht dahergesagt." In der Praxis zeige sich, dass die Menschen dann doch öfter Auto fahren, als sie in der Umfrage angegeben hatten.
Projektleiter Petersen verweist auf die kommenden Wochen. "Jetzt kommen die Abschlagszahlungen, Benzin ist teuer - der Winter wird spannend. Die Menschen gehen ihm mit zusammengebissenen Zähnen entgegen." Die Frage, die sich der Meinungsforscher stellt: Spitzt sich die Situation noch einmal zu oder tritt eine leichte Entspannung ein?
Arbeitszeiten werden verkürzt
Von einer Entspannung sind viele Betriebe in der Gastronomie, in der Lebensmittelbranche oder im Handwerk weit entfernt: In der Region geht die Sorge wegen der stark gestiegenen Energiepreise um. 60 Prozent der Handwerksbetriebe in Baden-Württemberg melden jüngst Umsatzausfälle, fast jeder fünfte Handwerker berichtet von Liquiditätsschwierigkeiten. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Baden-Württembergischen Handwerkstags hervor. Heizölpreise seien um das Dreifache gestiegen, von Preissteigerungen bei Rohstoffen zwischen 40 und 80 Prozent berichten Bäcker in der Region. Die Folge: Betriebe verkürzen ihre Arbeitszeit oder erhöhen die Preise ihrer Backwaren. Ungewiss ist auch die Zukunft einiger Gastronomen. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Baden-Württemberg geht davon aus, dass die Energiekrise für mehr als ein Drittel der Betriebe existenzbedrohend sei.
Bei all den Problemen, die die Menschen äußern, möchte Petersen den Durchhaltewillen der Umfrageteilnehmer hervorheben: "Was man sehen kann: Trotz der Sorgen, die die Bevölkerung hat, ist sie bereit, die Sanktionen gegen Russland durchzuhalten." Die Folgen der Sanktionen bekommen die Menschen zwar im Alltag zu spüren. "Sie sind deshalb aber nicht am Hohldrehen."
Eine Prognose, wie sich die Bevölkerung in den kommenden Wochen verhält und ob sie weiterhin bereit ist zu sparen, lässt sich nach Angaben von Meinungsforscher Petersen schwer treffen. "Man geht oft davon aus, dass wir Forscher Propheten seien." Es lasse sich aus Umfrageergebnissen erkennen, wie die Lage derzeit ist. "Ich sehe bei der Bevölkerung echte Sorgen, was nicht heißt, dass sie in Panik verfällt."