Die Radwege entlang der Strecke sind überwiegend gut, auf der polnischen Seite ist der Radweg durch Pomorze Zachodnie, wie Vorpommern auf polnisch heißt, außergewöhnlich gut ausgebaut, sogar besser als die direkt daneben verlaufende Autostraße. Ein Problem in Deutschland sind die Wege aus DDR-Lochplatten, über die das Rad regelrecht hoppelt. Noch schwieriger zu befahren, vor allem mit Gepäck, ist das historische Pflaster in einigen kleinen Dörfern in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.Hoteltipps entlang der Strecke: Das Hotel Anklamer Hof in Anklam mit großem Wellnessbereich, Fahrradschuppen und super Frühstück bietet ein top Preis-Leistungs-Verhältnis. Einzigartig sind Ambiente und Essen im historischen Denkmal Landresort Gut Leben in Bernau.
Über 500 Kilometer mit dem Rad: Von Bernau bei Berlin bis nach Polen
503 Kilometer durch Deutschlands Nordosten und Teile Polens: Die Strecke hält für unsere Autorin einige Überraschungen bereit. Der letzte Abschnitt mit der Bahn ist eine Nervenprobe.

Von Berlin bis zur Ostsee und zurück – mit dem Auto wäre die Strecke an einem Tag zu bewältigen. Doch wir haben für unseren Sommerurlaub andere Pläne, wollen Abenteuer statt Planbarkeit: Die gut 580 Kilometer weite Strecke möchten wir in mehreren Tagesetappen auf dem Rad zurücklegen, dabei Land und Leute kennenlernen und anhalten, wenn uns etwas interessant erscheint. Wie gut wird uns das in neun Tagen, die uns für die Tour sowie An- und Abreise zur Verfügung stehen, gelingen? Was erwartet uns auf der polnischen Seite des Stettiner Haffs? Das Land und die Sprache sind uns fremd. Wir starten den Selbstversuch mit zwei Fahrrädern, einigem Gepäck und viel Bereitschaft zur Spontaneität.
Nordöstlich von Berlin ein Hotel zu finden ist die erste Herausforderung
Nordwestlich von Berlin soll die Reise beginnen. Wir brauchen also für die erste Nacht eine Unterkunft, in der wir unsere Räder sicher unterstellen können und die Möglichkeit, das Auto während unserer Abwesenheit zu parken. Schon diese beiden Bedingungen erweisen sich als nicht einfach zu erfüllen, die Auswahl an Unterkünften außerhalb der Stadtgrenzen von Berlin in nordwestliche Richtung ist gering. Schließlich finden wir das Landresort Gut leben in Birkholz bei Bernau. Die Unterkunft mit ihrem weitläufigen Garten, dem Streichelzoo und dem Essensangebot, das zum Teil aus eigener landwirtschaftlicher Produktion stammt, ist ein Volltreffer. Das Resort ist untergebracht in einem denkmalgeschützten Vierseitenhof und mit viel Liebe zum Detail saniert, die Räder parken direkt vor unserem Zimmer, hinter dem großen Hoftor. Am Morgen stellen wir das Auto an der Dorfstraße ab und fahren mit gutem Gefühl los.
Nazi-Villa und FDJ-Schulungsstätte: Hinter Bernau geht es durch historisch belastetes Gebiet
Der erste Tag führt uns über 80 Kilometer durch das Biosphärenreservat Schorfheide bis nach Angermünde. Es geht vorbei am Bogensee, wo die einstige Villa von Nazi-Propagandaminister Josef Goebbels bis heute steht und verfällt. In der DDR nutzte die FDJ das weitläufige Areal im Wald als Schulungsstätte und errichtete darauf die Jugendhochschule Wilhelm Pieck. Sie galt als Kaderschmiede für Nachwuchskräfte des sozialistischen Staates. Rad- und Wanderwege führen durch das verlassene Gelände. Abseits der Wege gilt: Betreten strengstens verboten!
Regen auf freier Strecke und kein Unterstand in Sicht
Tag zwei beginnt kühl und Regen ist angesagt, der uns zur Mittagszeit einholt. Wir befinden uns auf freier Strecke, Unterstellmöglichkeiten gibt es nicht, die hastig übergezogene Regenkleidung dient als einziger Schutz. Mir machen besonders die kalten Finger Probleme, denn die Fahrradhandschuhe sind in Sekunden durchweicht. Etappenziel am Abend ist nach rund 83 Kilometern und mehreren Stopps an Bushaltestellen, wo wir die schlimmsten Regengüsse aussitzen, ein weiteres historisches Gebäude: die Villa Knobbelsdorf in Pasewalk. Sie diente im 19. und 20. Jahrhundert den Standortältesten des sogenannten Kürassier-Regiments „Königin“ als Wohnsitz. Die Kürassiere waren ein Kavallerieverband der preußischen Armee, das seinen Hauptstandort in Schwerin, heute Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, hatte.

Die Gegend ist dünn besiedelt, in den Seebädern wird es dafür voll
Tag drei bringt uns über 70 Kilometer unserem ersten Etappenziel, der Insel Usedom, nahe: Wir erreichen am Samstagnachmittag Anklam, vorher müssen wir kräftig strampeln, denn der Wind bläst uns frontal ins Gesicht und macht die letzten Kilometer zu einer Kraftprobe. Dafür wird es am Ortseingang spannend, als wir ein stillgelegtes, aber gut erhaltenes Hallenbad entdecken. Die Volksschwimmhalle aus dem Jahr 1968 war die erste ihrer Art in der DDR und diente später als Prototyp für Schwimmhallenbauten in anderen Städten, informiert eine Stele. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Ansonsten sind die Häuser im 12 000-Einwohner-Städtchen Anklam zwar hübsch herausgeputzt, an diesem Sonntag wirkt der Ort jedoch ausgestorben. Ein Eindruck, den der Landstrich abseits der touristischen Routen generell vermittelt.
Das Kontrastprogramm erleben wir am nächsten Tag, als wir nach weiteren 70 Kilometern die bekannten Seebäder Heringsdorf und Ahlbeck auf Usedom erreichen. Die Promenaden sind voll flanierender oder radfahrender Urlauber, wahrscheinlich auch, weil das Wetter zu schlecht ist, um am Strand zu liegen. Das Umfahren der vielen Menschen stresst uns, wir wollen schnell weiter Richtung Polen.
In Polen gibt es zunächst kaum Möglichkeiten, sich zu verpflegen
Zwischen dem Seebad Ahlbeck und Swinemünde, polnisch Swinoujscie, verläuft die Oder-Neiße-Grenze. Sie wird markiert von einer Betonstele auf der Meerseite und einem grünen Streifen, der den Verlauf der Grenze auf der Landseite zwischen den einstigen Bruderstaaten DDR und Polen nachzeichnet. Heute gehören beide Länder zum geeinten Europa. Ziel für diese Nacht: Ein kleines Hotel direkt am Fährhafen, der Swinemünde mit Trelleborg in Schweden verbindet.
Auf der kostenlosen Stadtfähre, die das Zentrum von Swinoujscie mit dem Hafengebiet verbindet, treffen wir Paul, einen polnischen Radfahrer um die 60, der erzählt, er sei seit drei Monaten mit dem Rad unterwegs gewesen – erst in Italien, dann in den baltischen Staaten. Geschlafen hat er auf seinen Reisen unter einer Plane, wie er auf Englisch sagt, nun ist er auf der Heimreise. Paul wird vorläufig der einzige Pole bleiben, mit dem wir uns verständigen können. Zwar werden wir immer wieder auf Polnisch angesprochen, aber Englisch oder Deutsch spricht so gut wie niemand, auch nicht in unserem ersten Hotel, wo die Verständigung mit viel gutem Willen des Hotelbesitzers und einer Übersetzungs-App funktioniert.

Von der Hafenstadt Stettin sind wir enttäuscht
Eine weitere lehrreiche Erfahrung machen wir am nächsten Tag: Der Abschnitt zwischen Swinemünde und unserem nächsten Etappenziel Goleniów ist beinahe menschenleer. Infrastruktur entlang der Strecke, Cafés, Supermärkte oder auch nur eine Tankstelle, um die Wasservorräte aufzufüllen, gibt es über weite Teile nicht. Erst kurz vor Goleniów, nach beinahe 89 Kilometern, gelingt es uns, bei einem Supermarkt etwas zu essen und zu trinken zu kaufen. Wir sind erleichtert und nehmen uns vor, künftig mehr Proviant einzupacken.Der nächste Tag bringt uns auf der mit 42 Kilometern kürzesten Etappe nach Stettin. Nach den Strapazen des Vortrags sind meine Beine so schwer, dass mir selbst diese kurze Distanz zu schaffen macht. Ich bin heilfroh, als wir unser Hotel in der Innenstadt erreichen. Von der Stadt selbst, die wir am Nachmittag besichtigen, sind wir enttäuscht. Von wenigen Highlights wie der preisgekrönten Philharmonie abgesehen, ist sie laut, schmutzig und vom Autoverkehr geprägt. Wir beschließen, am nächsten Tag weiterzufahren Richtung Deutschland.

Bahnfahren mit dem Rad bedeutet Stress pur
Das Wetter macht uns an den letzten beiden Tagen einen Strich durch die Rechnung. Statt wie geplant mit Zwischenstopp über Schwedt/Oder zurück nach Bernau zu fahren, verkürzen wir und fahren zurück über die Grenze und bis Prenzlau. Dort wollen wir einen Regionalzug Richtung Süden erreichen. Zu diesem Zeitpunkt regnet es in Strömen, die vielen Radfahrer am Bahnsteig in Prenzlau lassen unseren Mut sinken. Als der Regionalzug rappelvoll mit Radfahrern und ihren Rädern einfährt, quetschen wir uns noch hinein – und sind froh darüber, dass wir die sieben Stationen bis Bernau im Gang stehen dürfen, statt vom Schaffner des Zuges verwiesen zu werden. Unser Fazit auch diesmal: Der Transport mit der Bahn bleibt ein Glücksspiel. 503 Kilometer, die wir selbst geplant und uns erstrampelt haben, verliefen dagegen reibungslos und ohne Pannen.