Stimme+
Hamburg
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Recycling: Start-up erfindet globalen Marktplatz für Plastikmüll

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Das Start-up Cirplus will mit seinem Marktplatz für recycelte Kunsstoffe dabei helfen, die Plastik-Flut einzudämmen. Ziel ist eine Art Amazon für Rezyklate zu werden.

Damit Cirplus also kein virtueller Marktplatz wird, auf dem ein babylonisches Sprachgewirr herrscht, war ein Unternehmensziel des Start-ups die Einführung einer DIN-Norm für Kunststoff-Rezyklate.
Damit Cirplus also kein virtueller Marktplatz wird, auf dem ein babylonisches Sprachgewirr herrscht, war ein Unternehmensziel des Start-ups die Einführung einer DIN-Norm für Kunststoff-Rezyklate.  Foto: master1305/stock.adobe.com

Wenn Geologen dereinst das Sedimentgestein unserer Zeit untersuchen, werden sie eines ganz sicher in rauen Mengen finden: Kunststoff. "Es gibt schon heute mehr Plastik als Tier auf der Erde", schrieb der "Spiegel" kürzlich (9/2022).

Sein persönliches Plastik-Erweckungserlebnis hatte Christian Schiller im Jahr 2018 vor der Küste Kolumbiens. Bei einem Segeltörn verfing sich das Ruder des Boots in einem hunderte Meter großen Teppich aus Plastikmüll. Für den Unternehmer aus Hamburg stellten sich zwei Fragen: Warum landen gebrauchte Kunststoffe im Meer, und wie lässt sich das verhindern?

Die Idee eines globalen Markplatzes

Seine Idee: einen globalen Marktplatz schaffen, auf dem Kunststoffabfälle und Rezyklate gehandelt werden. Daraus entstand 2019 die Online-Plattform Cirplus. Hier finden Kunststoffverarbeiter und Entsorgungsfirmen zueinander. Also eine Art Tinder für Plastik? Dem widerspricht Schiller "sofort und vehement". Dem 37-Jährigen geht es nicht nur um die Beziehungsanbahnung, sondern um das "gesamte Beziehungsmanagement", sozusagen vom ersten Flirt bis zu einer möglichst langjährigen fruchtbaren Geschäftsbeziehung.

Bisher war die Partnerfindung in diesem Geschäftsfeld sehr schwierig

Denn bisher war es in dem kleinteiligen, unübersichtlichen Markt schwierig, den richtigen Partner zu finden, obwohl allein in Europa 1000 Unternehmen Rezyklate anbieten und noch sehr viele mehr Gebrauchtkunststoff kaufen wollen. Dafür sind sie sogar bereit, deutlich mehr zu bezahlen als für Neuware. Natürlich nicht allein aus gutem Willen, sondern weil es einerseits gut fürs Image ist und sich damit werben lässt, andererseits weil es immer striktere, gesetzliche Vorgaben gibt.


Mehr zum Thema

Handtaschen hängen an Ständern vor einem geöffneten Geschäft in der Hauptstraße, der wichtigsten Einkaufsstraße der Stadt. Heidelberg kann als erste Stadt im Südwesten die Bundesnotbremse lockern. In fast allen Land- und Stadtkreisen Baden-Württemberg gelten derzeit noch die verschärften Regelungen des Bundes. +++ dpa-Bildfunk +++
Stimme+
Heilbronn
Lesezeichen setzen

Fast-Fashion und Umweltverschmutzung - Tipps für nachhaltige Mode


In der EU müssen ab 2025 PET-Flaschen mindestens zu einem Viertel aus Recyclingplastik bestehen. Noch strikter ist die britische Plastiksteuer, die ab 1. April dieses Jahres erhoben wird: Pro Tonne Kunststoffverpackung, die weniger als 30 Prozent Rezyklat enthält, werden umgerechnet rund 250 Euro fällig. Klingt im ersten Moment wenig, doch Schiller betont: "Das ist die weltweit erste richtig scharfe Quote in diesem Bereich." Und gerade bei den großen Herstellern und Importeuren kommen da schnell hohe Summen zusammen. Kein Wunder also, dass Nestlé, Unilever, Coca-Cola und Co. allesamt mit Verve auf den Recycling-Zug aufgesprungen sind.

Durch die gestiegene Nachfrage wird recyceltes Plastik zu einem immer wertvolleren Produkt. Allerdings gab es bis vergangenes Jahr ein großes Hemmnis für den Handel damit. Es fehlte eine Standardisierung. Schiller erklärt das Problem anhand eines Beispiels: "Ein VW Touran oder ein Mercedes SLK sind standardisierte Produkte, die daher problemlos auf Gebrauchtwagen-Plattformen gehandelt werden können. Bei Rezyklaten fehlte eine einheitliche Klassifizierung und damit oft das Vertrauen des Käufers in die angebotene Ware."

Durch die DIN-Norm wird ein Qualitäts-Standard etabliert

Damit Cirplus also kein virtueller Marktplatz wird, auf dem ein babylonisches Sprachgewirr herrscht, war ein Unternehmensziel des Start-ups die Einführung einer DIN-Norm für Kunststoff-Rezyklate. Dies wurde mit der Veröffentlichung der DIN SPEC 91446 im November 2021 erreicht.

Diese Standardisierung ist noch aus einem anderen Grund von großer Bedeutung. Vielfach wurden Rezyklate bisher für simple Produkte wie etwa Blumentöpfe eingesetzt. "Dafür lässt sich praktisch jedes Material nutzen", sagt Schiller. Es hat also kein Re- sondern lediglich ein Downcycling stattgefunden. Wenn aus der Shampooflasche aber wieder eine Shampooflasche werden, aus der Getränkeflasche wieder eine Getränkeflasche oder der recycelte Kunststoff etwa im Maschinenbau eingesetzt werden soll, dann gelten viel höhere Qualitätsansprüche. "Dann muss ich genau wissen, was kann dieser Kunststoff, um zu entscheiden, ob ich ihn für mein Produkt gebrauchen kann", erklärt Schiller.

Ziel ist ein kompletter Wertstoff-Kreislauf wie beim Einwegpfand

Das Fernziel ist ein Stoff-Kreislauf, wie es ihn etwa beim 25-Cent-Einwegpfand gibt. Diese Flaschen und Dosen werden zu 98 Prozent wieder eingesammelt und zu mehr als 75 Prozent wiederverwertet. Zum Vergleich: Nur aus rund sieben Prozent der Kunststoffabfälle aus privaten Haushalten, also dem Gelben Sack, werden hierzulande wieder einsatzfähige Rezyklate. Hier ist in der gesamten Wertstoffkette, vom Hersteller über den Verbraucher und Entsorger bis zum Wiederaufbereiter noch sehr viel Luft nach oben. Cirplus möchte in diesem Geschäftsfeld zu einer Art grünem Amazon für recycelte Kunststoffe aufsteigen: "Wir wollen der europäische Marktführer sein", sagt Schiller. Am Ende soll Altplastik viel zu wertvoll sein, um es ins Meer zu werfen. Gold schwimmt da ja auch nicht einfach rum.

Nach oben  Nach oben