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"Es wird schwierig, die umfassende medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten"

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Die beiden Kassenärzte-Vorsitzenden Norbert Metke und Johannes Fechner gehen nach zwölf Jahren in den Ruhestand. Im Interview sprechen Sie über medizinische Versorgung, Gesundheitsminister und Ärztemangel.

Die Kassenärzte-Chefs Norbert Metke (links) und Johannes Fechner sind bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Die Kassenärzte-Chefs Norbert Metke (links) und Johannes Fechner sind bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.  Foto: KVBW

Zwölf Jahre lang waren Norbert Metke und Johannes Fechner Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Ein mächtiger Posten, denn die Ärzte sind selbst zuständig für die Organisation der medizinische Versorgung und für die Verteilung der Honorare untereinander. Zum Jahreswechsel gehen die beiden in den Ruhestand.

 

Sie beide haben sich in den vergangenen zwölf Jahren nahezu täglich gesehen. Werden Sie einander vermissen?

Johannes Fechner: Auf jeden Fall. Wir haben charakterlich und familiär viele Gemeinsamkeiten, zum Beispiel schon früh Kinder bekommen. Und der Metke ist zwar CDU-Mitglied, aber eigentlich ist er ein Linker, sein Denken ist maximal sozial. (Norbert Metke schnauft hörbar)

Norbert Metke: Also ich bin ein Fan des Adenauer-Programms der CDU von 1948 mit der Kernaussage "Wohlstand verpflichtet". Das heißt vereinfacht: Unsere Gesellschaft wird nur dann funktionieren, wenn alle gesellschaftlich teilhaben.

Und Sie, Herr Fechner?

Fechner: Ich unterstütze die SPD, aber muss nicht alles gut finden, was von dort kommt, zum Beispiel unseren Gesundheitsminister.

Was haben Sie an Karl Lauterbach auszusetzen?

Fechner: Eigentlich waren wir auf wenige Gesundheitsminister oder gar keinen gut zu sprechen, bei Seehofer angefangen, der hat die Budgetierung eingeführt. Die Minister waren immer die begrenzenden Elemente. Jens Spahn hat zu viele Gesetze gemacht und sein großes Projekt, die Digitalisierung, ist nach wie vor eine Farce. Unter dem System kann man nicht digitalisieren, da sind hunderte Hersteller und Firmen involviert. Eigentlich müsste man das ausschreiben und dann eine einzige Firma beauftragen.

Metke: Wir sind im Gesundheitswesen in einem riesigen Spannungsfeld. Die Ansprüche der Versicherten sind grenzenlos, besonders in Richtung Wellness. Die Ärzte wollen ein wenig Einschränkung. Der jeweilige Minister muss das Große Ganze sehen und die Kosten im Rahmen halten. Deshalb müssen Begrenzungen sein. Alle Maßnahmen seit 30 Jahren sind Begrenzungen gewesen. Ausnahme war nur FDP-Minister Philipp Rösler, der hat die Praxisgebühr abgeschafft.

Fechner: Was wir aber eigentlich auch nicht wollten, denn wir wollen ja bessere Steuerung im System.

Wie soll die aussehen?

Metke: Das Versorgungniveau in Deutschland ist exzellent, aber wir haben eine übermäßige Inanspruchnahme von Leistungen. In Baden-Württemberg kommen auf neun Millionen Versicherte 65 Millionen GKV-Fälle pro Jahr, dazu noch 1,2 Millionen Notfälle in den 120 Notfallpraxen und etwa eine Million OPs bei Fachärzten. Jeder Patienten kann hingehen, wo er will, nachdem er selbst entschieden hat, was ihm fehlt. Wir kämen mit den finanziellen Mitteln und dem Personal besser hin, wenn wir eine gesteuerte Versorgung hätten.

Wäre eine bessere Steuerung nicht auch im Sinne der Patienten?

Fechner: Unbedingt, viele Patienten sind überfordert mit der Entscheidung, wohin sie gehen sollen. Es war ja eigentlich auch der politische Ansatz, dass der Hausarzt der erste Ansprechpartner sein soll, aber das hat man mit der Praxisgebühr wieder zurückgenommen.

Metke: Das System kann nur dann qualitativ und quantitativ erhalten bleiben, wenn wir weniger direkten Zugang für die Patienten und mehr Steuerung haben. Zusätzlich muss man gewährleisten, dass man den hausärztlichen Bereich so attraktiv gestaltet, dass es genügend Steuerleute, also Hausärzte, gibt.

Klingt logisch. Woran scheitert es?

Fechner: Die Politiker wollen den Leuten offenbar nicht vorschreiben, wo sie hingehen sollen. Zum Teil waren es auch die Fachärzte, die nicht wollten, dass der Hausarzt die Patientenströme steuert.

Metke: Dabei sind die Erfahrungen aus sogenannten Selektivverträgen positiv. Man hat gesehen, dass die Steuerung durch den Hausarzt den Fachärzten eine vorsortierte Patientenklientel bringt, so dass fachärztliche Kompetenz effektiver für komplexe Fälle eingesetzt werden kann. Zusätzlich bekommen diejenigen, die wirklich einen Facharzt brauchen, schneller einen Termin. Diese Erfahrungen mahnen wir zur Umsetzung im gesamten System an. Dabei muss Steuerung ja nicht nur Steuerung durch den Hausarzt bedeuten. Aber es kann nicht sein, dass jeder Patient zu fünf Ärzten der gleichen Fachgruppe geht.

Kann mehr Effizienz eine Lösung für den Ärztemangel sein?

Metke: Der Arzt muss künftig mehr Manager der Versorgung werden und delegieren. Sie müssen als Orthopäde nicht jeden Gips machen, aber Sie müssen sagen, ob der Patienten einen Gips braucht. In diese Rolle als Steuermann muss der Arzt besser hineinfinden. Die jüngere Generation tut sich damit schon leichter als wir, auch der Teamgedanke ist da ausgeprägter.

Wird der Umgang mit dem Ärztemangel die große Herausforderung für Ihre Nachfolger sein?

Fechner: Nicht nur der Ärztemangel wird immer größer, alle Weißkittelberufe brechen weg. Insofern wird die Diskrepanz zwischen denen, die versorgt werden müssen und denen, die versorgen, immer größer.

Metke: Wir werden Probleme bei der Sicherstellung der Versorgung bekommen. Die Work-Life-Balance beim Nachwuchs ist nicht der Auslöser dafür, sie ist höchstens ein Aspekt. Wir haben zu wenige Studienplätze, das predigen wir seit 26 Jahren und trotzdem sind immer noch nicht genügend geschaffen worden, dafür ist die Politik verantwortlich. Bei den Pflegeberufen ist das ähnlich. Seit Jahren ist klar, dass Altenpfleger deutlich besser bezahlt werden müssen, aber es passiert nichts. So kommt es, dass Pflegekräfte nach durchschnittlich sieben Jahren ihren Beruf verlassen.

Worauf sind Sie beide stolz?

Fechner: Wir konnten die zu Beginn unserer Amtszeit vorhandenen Gräben in der Ärzteschaft beseitigen und mit den Krankenkassen genügend Mittel für die Patientenversorgung zur Verfügung stellen. Zudem ist es uns gelungen, mögliche Sanktionen gegen zu viel verschreibende Ärzte zu verhindern, wodurch ein angstfreies Arbeiten möglich ist. Vor allem aber haben wir den Notfalldienst neu organisiert mit 120 Notfallpraxen an Krankenhäusern und 180 Fahrzeugen für Hausbesuche.

Metke: Ich sage mal ganz unbescheiden: Wir hinterlassen ein exzellent aufgestelltes Haus in allen Bereichen. Wenn wir unseren Nachfolgern eines auf den Weg geben können, dann das: Ziele sind nur erreichbar durch umfassende Geschlossenheit in der Ärzteschaft. Es ist uns gelungen, das zu leben.

Was machen Sie ab 1. Januar?

Fechner: Wir werden selbstbestimmte Rentner und müssen nicht mehr liefern, dann gehts uns besser. Ich werde für meine Frau und die Familie da sein und versuchen, Wiedergutmachung für die vergangenen zwölf Jahre zu leisten, in denen ich ständig keine Zeit hatte.

Metke: Ich habe sechs Töchter und sieben Enkel mit steigender Tendenz und einen großen Garten. Versprechen können wir, dass wir berufspolitisch verschwinden und uns nicht einmischen werden.


Zu den Personen

Dr. Norbert Metke (72) ist für den Ärzteverbund Medi Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), Dr. Johannes Fechner (71) für den Hausärzteverband der Stellvertreter. Metke war zuvor Orthopäde mit eigener Praxis in Stuttgart, Fechner Hausarzt in Emmendingen. Am 16. November wählt die Vertreterversammlung das neue Führungsduo, das nach dem Jahreswechsel den Dienst antritt. 
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