Blick nach Bayern: Das Dorf Wildpoldsried ist Vorreiter bei der Energiewende
Seit über 20 Jahren bauen Bürger und Verwaltung in Wildpoldsried im Allgäu gemeinsam die Erneuerbaren Energien aus. Ökologie ist dort aber nicht alles. Auch ökonomisch muss es passen. Das Geheimnis der Gemeinde: Alle ziehen an einem Strang.

Bayern und Windräder? Schwer vorstellbar, hat sich doch Ministerpräsident Markus Söder lange gegen den Ausbau gesträubt. Unter ihm wurde die umstrittene 10H-Regel verabschiedet: Der Abstand eines Windrads zu einem Wohnhaus muss zehnmal so groß sein wie das Windrad hoch ist. Doch in Wildpoldsried, wenige Kilometer von Kempten im Allgäu entfernt, sieht man das bereits seit über zwei Jahrzehnten ganz anders. Dort ragen insgesamt neun Anlagen unterschiedlicher Höhe in den Himmel. Pro Jahr produziert die 2600-Seelen-Gemeinde damit 33.000 Megawatt Strom. Viel mehr, als die Bewohner verbrauchen. Dazu kommen noch Photovoltaik-Anlagen, Biomasse und ein kleiner Teil Wasserkraft.
Am Anfang gab es durchaus Kritik
Wildpoldsried erzeugt fast achtmal so viel Energie, wie die Kommune im Oberallgäu benötigt. Und hat damit das erreicht, was sich zum Beispiel Heilbronn bis 2050 zum Ziel gesetzt hat. Günter Mögele stand dem Bau des ersten Windrads damals, im Jahr 2000, kritisch gegenüber: "Man wächst da aber rein", erzählt der langjährige Gemeinderat der Freien Wähler und stellvertretende Bürgermeister. Das wichtigste Zahnrad bei der Entwicklung: die Zustimmung der Bürger. Wenn die etwas gegen ein Projekt haben, wird es nicht umgesetzt.
Gleichzeitig gehören die Anlagen zum Großteil den Wildpoldsriedern selbst. Laut Günter Mögele liegen die Investitionen bei 70 Millionen Euro. "Bei uns investierten nur Einheimische, keine Personen oder Firmen von Außerhalb", sagt er. "Das ist der Grund, warum es so gut funktioniert. Denn die Bürgerinnen und Bürger erhalten regelmäßig Ausschüttungen. Damit wird eine weitere Vorgabe des langjährigen Bürgermeisters Arno Zengerle (CSU) umgesetzt: Es geht in Wildpoldsried nicht nur um Ökologie, sondern vor allem auch um Ökonomie. "Wichtig ist, dass wir wirtschaftlich immer handlungsfähig sind", sagt Mögele.
Investoren gründen für jedes Projekt eine GmbH
Natürlich seien die Menschen zu Beginn skeptisch gewesen und hätten abgewartet. Mit der Zeit - und mit der Erkenntnis, dass die Umsetzung funktioniert - wollten immer mehr Personen ihr Geld investieren. Mittlerweile müssen die Einlagen gedeckelt werden - zu viele Menschen möchten mitmachen. Bis die 10H-Regel vor fast acht Jahren in Kraft trat, wurden meistens zwei Windräder auf einmal gebaut. Dafür gründeten die Investoren jeweils eine GmbH inklusive eines Geschäftsführers. Die Biogasanlagen im Ort sind Genossenschaften. "Wir als Gemeinde sind nicht daran beteiligt, aber wir beraten", sagt Günter Mögele.
1999, also noch vor dem Bau der ersten Windkraftanlage, wurde ein Leitbild mit drei Säulen entwickelt. Darin wurde festgelegt, dass die Kommune überall, wo es geht, Energie einsparen soll. "Das optimieren wir nach wie vor", sagt der pensionierte Lehrer. Außerdem sollte Holz als ökologischer Baustoff zum Einsatz kommen.

Holz ist das Element der Wahl beim Neubau
Das sieht man bei einem Rundgang durch den Ort: Krippe und Kindergarten wurden aus dem Material gebaut, das Dorfgemeinschaftshaus ebenfalls. Sogar ein Holzparkhaus gibt es. Auch die Sporthalle wurde fast komplett mit einheimischen Holz errichtet. Auf eine Förderung hat die Gemeinde verzichtet: "Die Auflagen wären zu hoch gewesen", sagt Günter Mögele. Stattdessen wurden die Kosten von 1,2 Millionen Euro durch ein zinsgünstiges Darlehen gestemmt. Auf dem Dach sind Solarmodule installiert. Der dadurch gewonnene Strom wird dort genutzt, der Überschuss geht 1:1 als Spende an den Sportverein, der keine finanzielle Unterstützung erhält.
Als dritte Säule wurde der Gewässerschutz ausgerufen. Das Abwasser wird ökologisch gereinigt, der Schlamm veredelt und nach sieben Jahren als Humus wiederverwendet. Doch auch Wildpoldsried kämpft mit den Auflagen der Landesregierung. Seit einigen Jahren wurde kein neues Windrad mehr gebaut, die Pflanzenkläranlage wird wohl nicht erneuert. "Das ist für eine kleine Gemeinde nicht mehr machbar", bedauert Günter Mögele.
Möglichkeiten, die im Ort erzeugte Energie - pro Jahr über 49.000 Megawattstunden - über einen längeren Zeitraum und in großen Mengen zu speichern, gibt es trotz Bemühungen noch keine. Der Strom wird über einen Energieanbieter unter anderem in die Schweiz exportiert. Selbst will die Gemeinde das nicht übernehmen. Dafür sei das Risiko wegen der Gewährleistungspflicht zu groß, sagt Mögele. Die Bürger zahlen nach wie vor für die verbrauchte Energie. Autark ist man aber trotzdem, zumindest auf dem Papier. Die positive Bilanz zählt.
Die Windräder drehen sich fast immer
"Windenergie ist für mich die effektivste Art, Strom zu erzeugen", erklärt der Gemeinderat. Der Flächenverbrauch sei niedrig, Wind wehe fast immer, die Sonne scheine nur einige Stunden am Tag. 7000 von 8760 Stunden pro Jahr produzieren die Räder Strom. "Es ist durch die Schwankungen nicht einfach, den Bedarf komplett über Erneuerbare Energien zu decken", sagt Günter Mögele. "Aber es ist machbar."