Skin-Picking-Störung: Wenn der Wunsch nach perfekter Haut krank macht
"Ich hatte das Gefühl, ich bin ein Monster, so wie ich aussehe" – Bei zwanghaftem Pickelausdrücken oder Haareausreißen leidet oft die Seele. Eine Betroffene erzählt von ihrem Leben mit der Skin-Picking-Störung, die in Deutschland noch wenig bekannt ist.

Ohne Make-up das Haus zu verlassen, war für Jacqueline Donat jahrelang undenkbar. Viel Zeit hat sie dafür verwendet, bis ihr Make-up sitzt, hat hochgeschlossene Klamotten getragen und sogar Verabredungen abgesagt, damit niemand sie so zu sehen bekommt, wie sie wirklich ist. Die heute 25-Jährige leidet an einer Skin-Picking-Störung, medizinisch auch Dermatillomanie genannt.
Betroffene sind besessen von ihrem Hautbild. Sie quetschen, drücken und kratzen an Pickeln und Unreinheiten, bis die Haut rot, geschwollen und manchmal blutig ist. Wie in einer Trance ist Jacqueline Donat, wenn sie das tut. Einfach aufhören kann sie nicht. Das Krankheitsbild ist hierzulande noch schlecht erforscht und in der Gesellschaft weitgehend unbekannt. "Viele leiden jahrelang, ohne zu wissen, was Skin Picking ist und woran sie leiden", sagt die Bremer Studentin.
Skin-Picking und ähnliche Störungen in der Medizin
In der Medizin spricht man von Body focused repetitive behaviors (Bfrbs). Der Überbegriff fasst auch andere Impulskontrollstörungen zusammen, etwa Nägelkauen, Wangenbeißen und Trichotillomanie, also das Ausreißen von Haaren und Wimpern. Solche Verhaltensweisen sind bei den Zwangsstörungen verortet.
Etwa 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung zeigen bestimmte Formen, kauen etwa an den Nägeln oder drücken Pickel aus, schätzt Sabine Hübsch. Sie ist Psychologin am Klinikum im Weissenhof in Weinsberg. Therapiebedürftig sei es zwar nur bei 1,4 bis 5 Prozent. "Aber man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer viel höher ist."
Skin-Picking wird oft von Stress hervorgerufen

Seit fast 14 Jahren lebt Jacqueline Donat mit ihrer Krankheit. In ihrem Umfeld erfährt sie Unterstützung, zunächst aber auch Unverständnis. Es fiel ihr selbst lange schwer zu begreifen, was mit ihr passiert und warum sie nicht einfach aufhören kann.
"Es ist eine Krankheit, bei der die Betroffenen einen unwiderstehlichen Drang verspüren", sagt Sabine Hübsch. "Es geht häufig einher mit hohem Schuld- und Schamgefühl, weil die Verletzungen offensichtlich sind und weil andere sagen, 'hör doch einfach auf damit, warum machst du das denn'?", erläutert Hübsch. Manche Betroffene nutzen auch Hilfsmittel wie Pinzetten, Nadeln oder spitze Gegenstände. Bei Hair Pulling reißen sich die Betroffenen Haare aus, bis ganze Stellen am Kopf kahl sind. Wenn eine betroffene Person eine "Episode" hat, wie Hübsch es nennt, dann verspürt sie temporär Erleichterung, denn sie kann dabei Stress abbauen. Das ist ein Verhalten, das man bereits aus dem Tierreich kennt, erklärt Hübsch. Tiere reagieren bei Stress mit vermehrter Körperpflege, rupfen sich etwa Federn aus.
Perfekte Haut haben: Darum entwickelt ein Mensch die Skin-Picking-Störung
Wenn ein Mensch eine Impulskontrollstörung entwickelt, sei das von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren abhängig. Jacqueline Donat führt ihre Krankheit auf traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit zurück, beispielsweise habe sie Mobbing erlebt. "Ich habe nie wirklich gelernt, mit Emotionen umzugehen", sagt sie.
Besonders betroffen sind Menschen mit dem Hang zum Perfektionismus. Frauen machen Studien zufolge etwa 60 Prozent aus. Hübsch vermutet, diese Zahl komme daher, dass Frauen sich eher Hilfe suchen als Männer. Außerdem sei der Druck, optisch perfekt auszusehen, bei Frauen oft größer. Das Bedürfnis nach makelloser Haut lässt Betroffene ihre Unreinheiten bearbeiten, wodurch sich das Hautbild weiter verschlechtert. Ein Teufelskreis.
Wann braucht ein Betroffener eine Therapie?

Aber wann ist es nur eine schlechte Angewohnheit und wann braucht man eine Therapie? Dafür ausschlaggebend sei das subjektive Leiden der Person, sagt Sabine Hübsch. Etwa, wenn die Person Scham verspürt und viel Zeit darauf verwendet, ihre Krankheit zu verstecken. Jacqueline Donat möchte künftig gerne eine Therapie machen. Eine ärztliche Diagnose hat sie nicht. Letztlich sei das für sie aber nur eine Formsache. Auf ihrem Blog beschreibt sie ihr Leben mit der Krankheit und teilt Tipps. Auch auf Instagram ist sie aktiv. Von anderen Betroffenen erhält sie viele positive Rückmeldungen, erzählt sie.
Früher sei sie nach einer Episode in ein großes Loch gefallen, habe "totale Überforderung, Hilflosigkeit und Verzweiflung" verspürt. "Ich hatte das Gefühl ich bin schuld, ich bin ein Monster, so wie ich aussehe", erinnert sich Jacqueline Donat. Heute könne sie damit besser umgehen. "Dann habe ich irgendwann angefangen, auch dieses Versteckspiel zu beenden", erzählt sie. Schrittweise traute sie sich, öfter ohne Make-up in die Öffentlichkeit zu gehen. Heute bewältigt sie ihren Alltag meistens ungeschminkt. Seither fühlt sie sich viel freier als vorher.



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