Die Anreise nach Andalusien und in die Region Jaén klappt am besten per Flug und Mietwagen. Von Stuttgart nach Madrid oder Malaga fliegen, dann weiter mit dem Auto. Ruhig und mit Ausblick am Morgen übernachtet man im Palacete Maria Rosa in Baños de la Encina. Wer mehr Trubel braucht, übernachtet im Hotel Alvar Fañez in Úbeda. Wer von Norden kommt, sollte im Mesón Despeñaperros speisen, abends lohnen sich die Alcazarejo Taberna und das Bury Restaurante - in letzterem trifft spanische auf maurische Küche. Sehenswert ist das Museum in La Carolina sowie die Stadt selbst, ebenso lohnt sich ein Besuch in Baeza und Úbeda. Wer gerne wandert, startet am besten von Aldeaquemada und sucht sich den Wasserfall La Cimbarra oder den Nationalpark Despeñaperros als Ziel aus. Weitere Infos unter www.jaenparaisointerior.es
Wo Spaniens Mayers und Schmidts wohnen
In Andalusiens Region Jaén trifft deutsche Kultur auf spanisches Lebensgefühl. Eine Reise zu auffälligen Namen, germanischen Kaffeestückchen und einer filmreifen Pilgergeschichte.

Schwungvoll kritzelt Agustín Camacho seine Initialen auf das Papier, dann ist es amtlich. Dem Ehepaar Neff gehört nun ein Grundstück im Örtchen Carboneros, samt 33 Hektar Land und Vieh. Sie sollen das Tal inmitten der Sierra Morena in der südspanischen Region Jaén bevölkern, so wie es König Karl III. wünscht. Die Verteilung des Glücks („Reparto de Suertes“) ist an diesem April-Tag zwar nur nachgespielt, doch es muss sich so ähnlich zugetragen haben.
Mit der Gründung der Neuen Siedlungen im Jahr 1767 wagt die spanische Krone ein einzigartiges Experiment in Andalusien. Siedler sollen einerseits die Handelsroute zwischen der Hafenstadt Cádiz und Madrid absichern, die bis dahin von Banditen beherrscht wird.

Andererseits sind die Neuen Siedlungen eine soziale Revolution: In dem Gebiet soll eine neue Gesellschaft entstehen, die den Idealen der Aufklärung folgt und weitgehende Freiheiten genießt. Die Krone beauftragt den Anwalt Pablo de Olavide damit, das Siedlungsprojekt zu leiten.
Neben Spaniern werden damals auch Ausländer gesucht, die das Niemandsland kolonisieren. Und es gelingt dem Werber Johann Kaspar Thürriegel in Süddeutschland, im Elsass und in Flandern um die 6000 Siedler anzuwerben. Sie machten sich zu Fuß auf den Weg über Lyon bis zum Hafen in Sète, wo das Schiff nach Spanien ablegte, geleitet von Thürriegels Versprechen eines Landes im ewigen Frühling.
Mit einem deutschstämmigen Namen fällt man in der Region Jaén auf
Einer, der von deutschen Siedlern abstammt, ist Francisco González Teclemayer. Sein ungewöhnlicher Nachname hat ihm den Spitznamen „Tecle“ eingebracht, dass dieser von seinen deutschen Vorfahren kommt, haben ihm seine Großeltern irgendwann erzählt. „Ich bin sehr stolz darauf“, sagt Teclemayer, der hinter dem Thresen seines Schreibwarengeschäfts in La Carolina steht. Viel weiß der 65-Jährige über die Teclemayers nicht, nur dass sie Bauern waren, liegt nahe. In der Schule sei ihm nichts über die Neuen Siedlungen beigebracht worden. „Ich habe mich gefreut, dass das jetzt aufgearbeitet wird.“

Einmal wollte er mit seiner Frau nach Deutschland reisen, um eine Puzzle-Messe zu besuchen, was dann doch nicht klappte. „Vielleicht schaffen wir das noch.“ Denn Teclemayer verkauft neben Schreibwaren im großen Stil Puzzles im Internet. Angefangen hat er während der Pandemie, heute ist seine Garage ein Lagerraum für Puzzles. „Mein Auto kann ich jetzt nicht mehr parken“, sagt Teclemayer und lacht.
11 600 Motive hat der 65-Jährige im Angebot, einige kommen von Ravensburger. Was er mit deutscher Kultur verbindet? „Ich bin ein Europäer“, antwortet Teclemayer. Nur, dass er noch lange nicht in Rente gehen möchte, verbinde ihn womöglich mit Deutschland. „Vielleicht liegt das in meinen Genen?“
Die Siedlerfamilien hörten auf Namen wie Schmitt, Neff, Erlinger, Rehinart und Fiscer
Teclemayer ist nicht der einzige Name, den die Deutschen mit nach Spanien gebracht haben. Das sehenswerte Museum in La Carolina listet ebenso Schmitt, Neff, Erlinger, Rehinart, Schefle und Fiscer. Vermutet wird, dass Schreibfehler passiert sind und manche Familiennamen deshalb sonderbar geschrieben sind, wie Stadtführer und Historiker Pedro Ramos Miguel erklärt.
Beim Rundgang zeigt er, wie die Neuen Siedlungen La Carolina als Hauptstadt des Projekts geprägt haben. So verlaufen die Straßen kerzengerade, denn die Parzellen und Häuser sollten für alle Siedler gleich groß sein. Heute sind einige der renovierten Siedlerhäuser rund um den Kirchplatz zu sehen.
Dabei hatten es die Siedler zu Beginn nicht einfach. Statt eines Paradieses fanden sie eine Wüste vor und viele der versprochenen Häuser waren noch nicht gebaut. Einige Siedler starben an Mangelernährung oder wollten zurück in ihre Heimat, solche Deserteure wurden verfolgt und zu Zwangsarbeit verdonnert.
Gleichzeitig bemühte sich Pablo de Olavide, vor Ort eine liberale Gesellschaft zu formen und diese von der Kirche zu entflechten. Letztlich wurde ihm das zum Verhängnis, die spanische Krone klagte ihn wegen Ketzerei an und sperrte Olavide ins Gefängnis. Er kam später frei und flüchtete nach Frankreich.

Spuren der Neuen Siedlungen finden sich in der Region Jaén bis heute
Das Siedlungsprojekt gilt heute durchaus als Erfolg und ein Spaziergang durch die kleinen Dörfer, die damals gegründet wurden, lohnt sich. In Santa Elena ist ein Mittagessen im Mesón Despeñaperros mit Blick über den gleichnamigen Nationalpark Pflicht. Aufgetischt werden regionale Spezialitäten wie Kaninchen – wer keine Oliven anbaut, hält sich mit Jagd über Wasser.
Wie alle Dörfer ist Santa Elena rund um eine Kirche im Kolonialstil und einen Getreidespeicher gewachsen, drumherum erstrecken sich Olivenbäume. Im Dorf Aldeaquemada werden in der Karwoche gemeinsam Ostereier auf dem Dorfplatz bemalt und am 11. Mai feiert die Gemeinde ein Siedlerfest. Wer gerne wandert, sollte sich die nahen Wasserfälle La Cimbarra und La Cimbarrilla als Ziel setzen.
Weiter im Süden thront Baños de la Encina auf einem Berg. Ein Streifzug durch die Altstadt in Hanglage reicht, um zu verstehen, warum das Dorf mal zum schönsten Spaniens gekürt wurde. Extravagante Herrenhäuser reihen sich an schöne Plätze, beeindruckend auch die besterhaltene Burg des Landes. Abgerundet wird der Besuch mit einem Blick in die Einsiedelei „Jesús del Llano“. Hinter dem Altar versteckt sich eine Kapelle, von deren Wänden mehr als 500 Engel aus Gips herunterblicken.

Ostereier bemalen und rostige Ritter: Das gilt in der Region Jaén als typisch deutsch
Ein Stück deutsch-spanische Kultur findet man auch in der Bäckerei. Typisch für die Region sind Kuchenschnitten mit Vanillecreme, Blätterteig und Puderzucker, die wegen ihres blassen Erscheinungsbilds „Alemanes“ getauft wurden. Sichtlich stolz darauf ist Rafael Matiaces Teclemayer, Architekt in Carboneros. „Alemanes“ und rostige Ritter sind für ihn fest mit Ostern verbunden.
Seine Vorfahren kamen wohl aus Bayern und dort würde man den bärtigen Mann mit Hut ohne Zweifel verorten. „Ich spüre, dass das spanische Wetter ein bisschen hart für mich ist“, scherzt er. Auswandern kommt für ihn aber nicht infrage. Seinen Namensvetter aus La Carolina kennt er natürlich, dieser sei Cousin zweiten Grades seiner Mutter. Als Nachfahre der deutschen Siedler halte man zusammen.


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