Digitalisierung: Innovationsforscherin blickt optimistisch in die Zukunft
Die Innovationsforscherin Dr. Marion Weissenberger-Eibl referierte bei der Bürger-Uni über die Digitalisierung zum Wohle des Menschen. Dabei wird klar: Die digitale Transformation muss dem Menschen dienen, und nicht umgekehrt.
Marion Weissenberger-Eibl ist vor allem eines: eine Optimistin. Die Innovationsforscherin diskutiert deshalb lieber über die Chancen der digitalen Transformation anstatt über mögliche Restriktionen. Und sie blickt vor allem zuversichtlich darauf, was die fortschreitende Digitalisierung für die Zukunft bringen kann.
Das mag nicht jedem so gehen. Dass die digitale Transformation bei vielen Menschen auch Sorgen und Zukunftsängste auslöse, kann Weissenberger-Eibl "absolut" nachvollziehen. Schließlich erleben wir "einen ganzheitlichen, radikalen und lange andauernden Umbruchprozess in der ganzen Gesellschaft". Solche Veränderungen können bei dem einen oder anderen auch ein mulmiges Gefühl auslösen. Die Digitalisierung, gibt Weissenberger-Eibl zu, trage zwar zur Erleichterung und Verbesserung in vielen Bereichen bei, jedoch ist sie "nicht per se auf das Wohl des Menschen ausgerichtet". Und gerade deshalb liege es "an uns, sie entsprechend zu gestalten".
Dass es umso wichtiger sei, die Chancen und Potenziale der Digitalisierung zum Wohle des Menschen, also für seinen Nutzen und Mehrwert, zu gestalten, darüber sprach Weissenberger-Eibl bei der gut besuchten Bürgeruni in der Aula auf dem Bildungscampus der Dieter-Schwarz-Stiftung.
Einsatz von Künstlicher Intelligenz hat enormes Potenzial
Schon heute führen digitale Technologien in vielen Bereichen auf beeindruckende Weise zu mehr Entlastung, erklärte die Referentin, nicht ohne anzumerken, dass vieles davon noch ausbaufähig sei. Beispielsweise ermöglichen Sprechstunden beim Arzt über Videotelefonie, jene Zeit zu sparen, die man bei der An- und Abreise sowie im Wartezimmer verbracht hätte. Steuererklärung und Beratungsgespräche lassen sich ebenfalls virtuell erledigen. Gleichzeitig hinke die öffentliche Verwaltung bei digitalisierten Prozessen aber noch hinterher, "der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hat hier jedoch ein enormes Potenzial", sagte Weissenberger-Eibl.
Hinsichtlich Zuverlässigkeit und Effektivität bieten KI-Systeme in der Gesundheitsbranche enorme Möglichkeiten. Als Diagnostiksysteme können sie frühzeitig Krankheiten erkennen, kommen in Hightechlaboren oder Katastrophenfällen zum Einsatz und gehen dem Menschen bei riskanten Eingriffen adaptiv zur Hand.
Ein weiterer großer Vorteil der Digitalisierung: Verkehrsabläufe und deren Sicherheit können durch digitale Technologien verbessert werden. Sie fördern die Ortsunabhängigkeit und Individualität bei der Mobilität. Zum einen, indem verschiedene Fortbewegungsmittel miteinander kombiniert werden – mit dem E-Roller zum Bahnhof, von dort aus mit dem Zug weiter und dann im elektrisches Car-Sharing-Auto ans Ziel – sind individuelle Reiseplanungen möglich – oder werden ganz überflüssig gemacht. Beispielsweise können wir uns bei digitalen Vorträgen weltweit zuschalten. Das macht Fort- und Weiterbildung flexibel und ermöglicht grenzenlose Bildung sowie den interkulturellen Austausch. "Wir müssen nicht mehr so viel unterwegs sein", zeigt Weissenberger-Eibl auf, betont aber auch: "Natürlich mag ich den persönlichen Austausch."
Chancen bringt die Digitalisierung in einem Bereich, für den sie ursprünglich gedacht war: Informationen und Medien zu konservieren und damit wertvolle Erinnerungen zu sichern. Und wenn es um die "Konservierung" des menschlichen Körpers geht, ermöglicht das kontinuierliche Messen von Blutdruck, Puls oder Vitalwerten mit digitalen Geräten zu Hause eine bessere, individuelle Behandlungsmethoden oder eine genauere Medikation.
"Kennen Sie den Mix der Woche des Streamingdienstes Spotify?", schlägt Marion Weissenberger-Eibl schließlich einen Bogen zu den persönlichen Freuden der digitalen Technologie. Durch die von einem Algorithmus auf Basis des Hörverhaltens des Nutzers zusammengestellte Musikplaylist habe sie längst vergessene Lieder wiederentdeckt oder neue Bands kennengelernt. Dass die auf Basis der Nutzerdaten zusammengestellte Auswahl Filterblasen gegenüber Informationen entstehen lassen kann, sei eine ernste Schattenseite von Algorithmen.
Digitale Transformation muss umfassend und erfolgreich gelingen, davon geht Weissenberger-Eibl aus. Damit die positiven Effekte erreicht werden können, brauche es Ideen für die Zukunft, die gemeinsam entwickelt werden müssten. Die Zukunftsforschung habe da schon eine Menge Orientierungswissen erarbeitet, könne Prognosen erstellen, habe aber auch keine Glaskugel, so Marion Weissenberger-Eibl. "Wir müssen also die Weichen für die Zukunft stellen, um uns trotz Unsicherheiten auf morgen vorzubereiten." Eine weitere Voraussetzung: Offenheit für Neues und der interdiszipilinäre Austausch.
Digitale Transformation geht in Deutschland schleppend voran
Bislang sei die Krise auch eine Chance gewesen, aus der Komfortzone auszubrechen. Spätestens die Pandemie habe die Einstellung und die Skepsis vieler Menschen gegenüber der Technik verbessert. Wenn Roboter in der Pflege helfen sollen, dann müssten auch die Pflegenden gefragt werden, wie sie dazu stehen. Die Aufgabe der Entwickler sei es, Ideen an einem Mehrwert für die Menschen auszurichten, so die Referentin. "Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen." Die Digitalisierung sei kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck.
Doch wie digital ist Deutschland? Immer wieder wird kritisiert, dass die digitale Transformation hierzulande nicht schnell genug vorankommt. Auch Weissenberger-Eibl geht das zu langsam, sagte sie auf Nachfrage von Stimme-Moderator Tobias Wieland. Deutschland belege von 34 Ländern nur Platz 17 beim Digitalisierungsindex. "Ganz provokant gesagt, sehe ich Deutschland als digitales Entwicklungsland." Doch schon jetzt "eröffnet die Digitalisierung ganz neue Türen, weil wir durch sie direkt Einfluss auf viele weitere Trends nehmen können wie Nachhaltigkeit". In dieser Verknüpfung stecke viel Potenzial für Deutschland, "eigene Wege zu finden", und nicht andere Länder wie etwa das hochgradig digitalisierte Estland zu kopieren.