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Wie verhext: Ermittler kommen nach Kessel-Unglück nicht voran

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Mehr als drei Wochen sind vergangen, seit eine junge Frau bei einem Eppinger Faschingsumzug in einem Kessel schwer verbrüht wurde. Die Ermittlungen der Polizei stocken, die Beteiligten schweigen.

Von Alexander Hettich
 Foto: Stephen Wolf

Mehr als drei Wochen sind vergangen, seit eine junge Frau bei einem Eppinger Faschingsumzug in einem Kessel schwer verbrüht wurde. Im Fokus der Ermittlungen steht eine Hexengruppe aus Kraichtal, die den Bottich mit heißem Wasser dabei hatte. Die Polizei kommt nicht voran, die Beteiligten schweigen.

Fall machte international Schlagzeilen

Es ist nicht viel los in Kraichtal-Bahnbrücken (Landkreis Karlsruhe). Knapp 700 Einwohner. Der einzige Laden, ein Bäcker, schließt morgens um 10. Nur wenige Kilometer sind es bis in den Nachbarort Menzingen. "Wie geht´s der Frau?" fragt die Verkäuferin an der dortigen Tankstelle, angesprochen auf das Unglück beim Eppinger Fasching, das vor drei Wochen international Schlagzeilen machte.

Die Frau - gemeint ist das Opfer, eine 18-Jährige aus Karlsruhe-Rheinstetten. Die Polizei weiß nur, dass sie Anfang der Woche noch in einer Stuttgarter Spezialklinik behandelt wurde. Sie erlitt Verbrühungen zweiten Grades, als sie mit den Beinen in einen Kessel mit heißem Wasser geriet. Maskierte Hexen hatten sie offenbar im Scherz über den Bottich gehalten. Der Kessel gehörte zum Markenzeichen der Gruppe Bohbrigga Hexabroda aus Bahnbrücken.

In der Menzinger Tankstelle ist der Vorfall kein großes Thema mehr. "Fasching ist durch", sagt die Verkäuferin, als eine Kundin aus Bahnbrücken an die Kasse kommt. Diese ist sichtlich genervt von den Nachfragen. "Es ist wie bei allem", sagt sie, "das dauert 14 Tage, dann kommt schon das nächste Thema."

Für die Heilbronner Polizei gilt das nicht. Sie ermittelt nach wie vor wegen fahrlässiger Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Die Hexen sollen die verletzte und schreiende Frau einfach am Straßenrand abgesetzt und zurück gelassen haben.

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Alle Mitglieder der Gruppe gelten als Beschuldigte

 Foto: Seidel, Ralf

"Die Vernehmungen brauchen Zeit", betont Frank Belz, Sprecher des Polizeipräsidiums Heilbronn. "Das kann noch zwei bis drei Monate dauern." Es ist wie verhext. Alle 20 Mitglieder der Hexengruppe werden mittlerweile als Beschuldigte geführt, viele haben sich einen Anwalt genommen. "Die müssen nichts sagen, was sie selbst belasten könnte", erläutert Belz.

Im Revier Eppingen ist ein Sachbearbeiter mit dem Fall betraut. Für Vernehmungen muss er Kollegen vor Ort um Amtshilfe bitten.

Anfangs seien einige der Hexen als Zeugen vernommen worden, diese Befragungen müsse man jetzt wiederholen. Das Opfer wurde vernommen, die junge Frau hat aber niemanden erkannt. Wer war beim Kesseltreiben dabei? Belz´ Prognose: "Ich gehe nicht davon aus, dass wir das herausbekommen." Außer der Verantwortliche melde sich doch noch freiwillig. Die Polizei wertet auch Fotos und Videos aus. die beim Umzug gemacht wurden.

Zurück in Kraichtal-Menzingen. Gegenüber der Tankstelle ist ein Café. Im Schaufenster: Faschings-Deko. Luftschlangen, eine Hexenmaske. Die Verkäuferin dort weiß von einer Bekannten zu erzählen, die im Tross der Bahnbrückener Hexen mitlief. "Sie sagen, sie haben wegen der Masken gar nichts mitbekommen. Da hat man einen Tunnelblick." Die Dame glaubt nicht, dass irgendjemand der jungen Frau hat schaden wollen. Dass man sie aber mutmaßlich am Straßenrand zurückließ, das sei "das Allerletzte".

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Bürgermeister: Verstehe das Mauern nicht

Wie groß die mediale Aufmerksamkeit war, hat viele im Kraichgau irritiert. In England, Frankreich oder Portugal schaffte es der Fall in die Nachrichten. Die Hexenzunft Eppingen, Veranstalter des Nachtumzugs, wurde Ziel einer Hexenjagd im Internet. Es gab wüste Beschimpfungen, sogar Drohungen.

Hört man sich in der Faschingsszene der Umgebung um, bekommt man immer dasselbe zu hören: Die Bahnbrücker Hexen seien keine Krawallbrüder, sondern ganz gesetzte Leute mit grundsoliden Berufen. In Eppingen war eine Woche nach dem Unglück ein Faschingsumzug geplant. Offiziell wurde er abgesagt, die Karnevalisten kamen trotzdem. Pressevertretern gegenüber gab es unfreundliche Worte. Alles aufgebauscht?

Ulrich Hintermayer ist anderer Ansicht. "Die Bevölkerung hat ein Recht zu wissen, was war", sagt Kraichtals Bürgermeister. "So etwas darf nicht vorkommen." Der Bürgermeister hätte sich gewünscht, dass der oder die Verantwortlichen sich melden. "Ich verstehe das Mauern nicht", so Hintermayer. "An deren Stelle wäre ich gleich in die Offensive gegangen."

Auch in Kraichtal, im Stadtteil Münzesheim, gab es bis vor drei Jahren einen Nachtumzug. Die Auflagen der Gemeinde waren streng. Wagen waren tabu, Hexenkessel sowieso. An der Stadtbahnhaltestelle gab es Personenkontrollen wie im Fußballstadion. Irgendwann wurde dem veranstaltenden Verein der Aufwand zu groß. Der Umzug ist Geschichte. Die Zukunft des Eppinger Nachtumzugs ist offen. Die Stadt, so Sprecher Sönke Brenner, "gibt zu dem Fall keine Stellungnahme mehr ab" - so lange, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, heißt es.

Reaktion der Hexen

Der Sprecher und Organisator der Narren aus Kraichtal-Bahnbrücken hatte sich nach dem Vorfall geäußert. „Wir alle sind von dem, was passiert ist, sehr, sehr betroffen. Das Thema ist bei uns zu jeder Tageszeit in jeder Minute präsent“, schrieb er per Mail auf Anfrage unserer Zeitung. „Wir hoffen und wünschen, dass die junge Frau bald wieder genesen ist.“ Für telefonische Anfragen war die Gruppe seither nicht mehr erreichbar.

 
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Kommentare

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am 28.02.2018 13:28 Uhr

die ' gesetzten Leute mit grundsoliden Berufen' sollten hier auch Verantwortung übernehmen und zu der Tat stehen. Das Verhalten ist einfach nur feige und ein schlechtes Vorbild für alle. Die Konsquenz kann nur lauten besagte 'Bahnbrücker Hexen' von künftigen Veranstaltungen auszuschließen bzw. die Umzüge komplett ausfallen zu lassen.

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