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83-jähriger Ultraläufer aus Gemmingen: "Ein paar badische Rekorde will ich noch laufen"

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Ultraläufer Werner Broß aus Gemmingen hat mit seinen 83 Jahren eigentlich alles erreicht, aber Schluss soll deswegen noch lange nicht sein. Auch wenn es immer schwerer wird, allein die Zeiten zu halten.

Mit einem Trollinger-Marathon hat alles angefangen, seitdem läuft Werner Broß aus Gemmingen − und auch mit 83 Jahren ist noch kein Ende in Sicht.

Foto: Mario Berger
Mit einem Trollinger-Marathon hat alles angefangen, seitdem läuft Werner Broß aus Gemmingen − und auch mit 83 Jahren ist noch kein Ende in Sicht. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Er läuft und läuft und läuft: Seit seiner Pensionierung vor über 20 Jahren ist Werner Broß landab, landauf laufend unterwegs. Der 83-Jährige aus Gemmingen ist Ultraläufer, hat Wettkämpfe bis zu 100 Kilometern bestritten. Am liebsten mag er aber die "Gurkenläufe", die kleinen Rennen. Die seien meist besser organisiert. Zum Trollinger-Marathon indes hat Werner Broß eine besondere Verbindung.

 

Herr Broß, Sie wissen schon, dass Sie Ihren Nachbarn regelmäßig ein schlechtes Gewissen machen?

Werner Broß: Wie meinen Sie das?

 

Wenn Ihre Nachbarn vormittags aus dem Haus gehen, kommen Sie meist schon von ihren Laufrunden zurück…

Broß: (lacht) Eine Nachbarin hatte mir mal erzählt, dass sie morgens immer läuft, bevor sie ins Geschäft geht. Dann habe ich für ihre Kinder mal den Nikolaus gemacht und zu ihr gesagt: Ich bin morgens auch immer im Wald, da habe ich sie aber nie gesehen. Inzwischen laufe ich aber ein bisschen später.

 

 

Wie war es denn heute: Wie viele Kilometer waren Sie unterwegs?

Broß: Heute Morgen waren es 20 Kilometer. Ich bereite mich auf einen Marathon vor. Im Trainingsplan standen vor ein paar Tagen 30 Kilometer, jetzt 20. Die letzten Tage vor dem Wettkampf soll ich es jetzt auslaufen lassen.

 

Sie haben für die 20 Kilometer 2:15 Stunden gebraucht. Gilt das als lockerer Lauf bei Ihnen?

Broß: Ja, schon. Da könnte man nebenher sprechen. Den Puls messe ich aber nicht, den messe ich immer nur morgens, bevor ich gehe. Pulsuhr gibt es während des Laufs bei mir nicht.

 

Wie sieht denn Ihr aktuelles Trainingspensum mit 83 Jahren so aus?

Broß: Das kommt drauf an. Wenn ich einen Wettkampf habe, dann sind es so 50 bis 60 Kilometer in der Woche. Und wenn ich keinen habe - rund 100 Kilometer.

 

Wie teilen Sie sich das ein?

Broß: Den einen Tag mal 20 Kilometer, den anderen mal zehn. Sonntags ist grundsätzlich Pause, wenn kein Wettkampf ist. Ich habe ein Buch von so einem Lauf-Guru mit Trainingsplänen: Wenn man sich dranhalten täte, würde man Weltmeister werden - ohne zu trainieren. So viel Pause hat der drin.

 

Fällt es Ihnen schwer, Pause zu machen?

Broß: Ich laufe gerne, setze aber auch gerne einen Tag aus. Aber dann kribbelt es schon wieder. Ein schlechtes Gewissen habe ich bei einem Tag aber noch nicht. Aber wenn es nicht mehr geht, würde es mir schon fehlen.

 

Was treibt Sie an, Sie könnten auch zwei, drei Gänge zurückschalten, den Tag entspannt angehen?

Broß: Ich gehöre in Baden-Württemberg und in Deutschland zu den Spitzenleuten in meiner Altersklasse. Wenn ich irgendwo laufe, will ich vorne mitlaufen oder gewinnen. Solange ich noch Wettkämpfe mache, muss ich - im Verhältnis zu meinem Alter - trainieren wie ein Profi.

 


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Ihr Ziel war es, nach der Pensionierung einen Marathon zu laufen - das war vor 20 Jahren. Was ist danach passiert?

Broß: Ich habe nach meiner Pensionierung ein bisschen mit dem Laufen angefangen. Dann hat in der Heilbronner Stimme gestanden, dass der erste Trollinger-Marathon stattfindet. Da habe ich gesagt: Mensch, das wäre was. Und bin dann mitgelaufen. Ich bin auch gut durchgekommen, die Zeit konnte man vergessen. Ich habe kaum trainiert und abends davor noch Bratwurst gegessen.

 

Aber Sie hätten dann auch sagen können: Haken dran, das war's...

Broß: Nein. Nach diesem Lauf hat mich das gejuckt. Dann kam mein zweiter Trollinger, dazwischen mal Bottwartal, München. Dann der dritte in Heilbronn, der fünfte, zehnte, 15., dann habe ich gesagt: Den 20. Trollinger mache ich auch. Dann ist er einmal wegen Corona ausgefallen. Im Jahr drauf war nur ein Halbmarathon möglich.

 

Sie haben jetzt 50 bis 60 Marathons gelaufen, irgendwann kamen Ultraläufe zwischen 50 und 100 Kilometer dazu. Wie kommt man - mit Verlaub - in Ihrem Alter darauf?

Broß: Wenn sie schon einen Marathon laufen und schaffen, dann sind die acht Kilometer auch nicht so viel mehr. Ich bin dann deutscher Meister geworden, das ist dann wieder neue Motivation. Meine Frau sagt immer, dass es eine Sucht ist. Teilweise hat sie recht. Aber ich wäre in der Lage von heute auf morgen aufzuhören.

 

Wie verkraftet ein 83-jähriger Körper solche Läufe und was macht das mit ihm?

Broß: Ich habe nie Probleme gehabt. Höchstens mal eine Überlastung. Wenn ich mal zu viel trainiere, merke ich das in den Knien - dann tue ich wieder langsamer. Ich habe so viel Erfahrung, ich kann in meinen Körper reinhören. Ich merke sofort, wenn es irgendwo Probleme gibt.

 

Im Zweifel lassen Sie dann auch einen Wettkampf aus, wenn es zwickt?

Broß: Ich wollte mal unbedingt in Eschelbronn an einem Lauf teilnehmen. Aber ich hatte Probleme unterm Fuß. Ich bin zu meinem Hausarzt Dr. Manfred Klimm, der läuft auch. Er meinte: "Der Arzt sagt, nicht laufen. Der Sportler sagt, laufen. Und jetzt machst du das, was du willst."

 

Was haben Sie gemacht?

Broß: Ich bin natürlich gelaufen.

 

Worin besteht der Reiz, sich jeden Tag zu schinden?

Broß: Wenn ich mal nicht laufe, fehlt mir irgendwas. Durch meine Leistungen werde ich einmal im Jahr von der Stadt Sinsheim geehrt, vom badischen und deutschen Leichtathletik-Verband sowie vom Verein. Das motiviert immer aufs Neue.

 

Machen Sie das auch ein bisschen für den Ruhm?

Broß: Es täte auch ohne Ehrung gehen. Ich zeige es nicht so nach außen, wenn ich laufe und 20 Rennen gewinne - dann weiß das nur ich.

 

Welche Ziele verfolgen Sie noch?

Broß: Ich habe vor, in den nächsten zwei Jahren noch ein paar badische Rekorde zu laufen. Aber die großen Ziele habe ich alle erreicht. Ich gehe gerne auf so "Gurkenläufe", wie es eine Journalistin einmal formulierte. Da sind nicht so viele Leute und die sind besser organisiert.

 

Sie sind baden-württembergischer Rekordhalter über mehrere Distanzen: Ist die Konkurrenz in der Altersklasse besonders groß?

Broß: Was die Rekorde angeht: schon. Da sind die Läufer der letzten 20, 30 Jahre erfasst. Wenn ich einen Marathon in 4:30 Stunden laufe, sind die in den letzten Jahrzehnten von keinem anderen in der Altersklasse gelaufen worden. Und auf der Weltrangliste, wo ich schon Erster war, heute Zweiter bin, sind nur 29 Läufer reingekommen. Wenn die Zeiten zu schlecht sind, kommt man da gar nicht erst rein. Auch wird man nicht automatisch baden-württembergischer Meister, nur weil man als Erster ins Ziel kommt. Du musst schon eine bestimmte Zeit laufen. Das Problem bei uns Alten: Da gibt es bloß noch Gute. Die Schlechten laufen schon nicht mehr.

 

Hält laufen jung, wie alt fühlen Sie sich?

Broß: Ich will nicht übertreiben: Aber so 60, vielleicht 65 von meiner körperlichen Verfassung. Es wird aber jedes Jahr schwieriger und die Zeit schlechter. Da kannst du noch so viel trainieren. Wenn du deine Zeit hältst, hast du viel erreicht.

 

Und wann ist Schluss?

Broß: Ich kenne einen, der läuft auch mit über 90 noch. Der älteste Marathon-Läufer ist über 100. Aber so weit kommt es bei mir nicht. Wenn der Veranstalter mal denkt: Hoffentlich ist der bald im Ziel, damit wir das Rennen beenden können - das mache ich nicht. Dann ist Schluss. Und wenn ich sage, es ist Schluss, dann gibt es keine Wettkämpfe mehr.

 


Zur Person

New York, London, Berlin: Die großen Marathons haben den Gemminger Ultraläufer Werner Broß nie wirklich gereizt. "Ich laufe gerne da, wo ich morgens losfahren kann und spätestens abends wieder daheim bin", erklärt der 83-Jährige. Für ihn ist der Trollinger-Marathon in Heilbronn einer der schönsten Läufe in der Region. Dort hat er den ersten Marathon seines Lebens gelaufen - und war seitdem in jedem Jahr am Start.

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