Wenn Windrad und Milan sich vertragen
Der Bürgerwindpark Hohenlohe testet ein selbstentwickeltes Vogelschutz-System derzeit an acht Anlagen. Kameras scannen dabei den Himmel nach Greifvögeln. Was das künftig für die Windkraftbranche bedeuten könnte.

Ein intensives Brummen wabert durch die Luft, empfängt denjenigen, der durch die Tür ins Innere des Windrads tritt. Laut, warm, muffig. Es riecht nach Elektronik. Gleich rechts neben dem Eingang, im Fuß der Anlage im Windpark Weißbach, sind ein Computer und ein Bildschirm aufgebaut.
Auf dem Bildschirm tauchen immer wieder kleine Rechtecke im Blau des Himmels auf, verschwinden, tauchen wieder auf, verschwinden. Sie scannen die Umgebung rund um das Windrad, suchen sie nach Greifvögeln ab. Vögel, die dem Windrad nahe kommen. Zu nahe.
Schutzzone definiert, wie nah das Tier dem Windrad kommen darf
"Wir haben eine Schutzzone definiert. Im Moment sind das 200 Meter", sagt Benjamin Friedle, Geschäftsführer der Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH aus Niedernhall. Fliegt ein Tier in diese Zone, erfolgt ein Alarm und das Windrad kann zum Stillstand gebracht werden.Möglich ist das durch ein Kamerasystem außen am Turm der Windenergieanlage.

Seit Anfang 2018 arbeiten Friedle und sein Geschäftsführer-Kollege Markus Pubantz mit Hochdruck an der Technik, die es ermöglichen soll, Greifvögel vor der tödlichen Kollision mit den Rotoren zu schützen. Das ist auf dem deutschen Markt bislang einmalig (wir berichteten).
An acht Windrädern, vier in Baden-Württemberg und vier im Saarland, wird das System namens BirdVision aktuell getestet. Viel Geld investiert die GmbH in diese Arbeit, hat Mitarbeiter eingestellt, sucht aktuell weitere. Zusammen mit der auf Bildverarbeitung spezialisierten Phil-Vision GmbH aus Puchheim sowie dem Spezialisten für neuronale Netzwerke und Tracking Michal Lewandowski haben die beiden Hohenloher im Juli die BirdVision GmbH & Co. KG gegründet.
2020 soll die erste Anlage testweise scharfgestellt werden
"Wir haben nun eine Entwicklungsstufe erreicht, die eine professionelle Marktpositionierung ab der Brutperiode 2020 ermöglicht", so Patrick Gailer von Phil-Vision. Dann soll eine Anlage in Weißbach testweise scharfgestellt werden.
"Wir haben das ganze vergangene Jahr genutzt, der Software beizubringen, dass sie Vögel erkennt, alles andere aber ignoriert", erklärt Benjamin Friedle. Das Grundprinzip funktioniere bereits ganz gut, es gebe aber noch öfter Fehlermeldungen. "Größere Vögel erkennt das System im Radius von 300 Metern um die Anlage", erklärt Friedle. In 90 bis 95 Prozent der Fälle funktioniere die Technik bereits.
Wenn ein Vogelflug nicht erkannt werde, werde das überprüft und an der Programmierung nachjustiert, so Friedle. Außerdem seien vier Biologenteams unterschiedlicher Büros involviert, die die Testphase im Sinne des Artenschutzes überwachen und betreuen.
Vor allem Nieselregen und Nebel sorgen für Probleme

Probleme bereitet den Technikern vor allem das Wetter. "Feiner Nieselregen ist ungünstig. Er setzt sich auf der Kamera fest und fließt nicht ab", erklärt der Unternehmer. Auch schlechte Sicht durch Nebel bereite der Technik Schwierigkeiten.
"Der ist aber laut unseren Biologen auch für Vögel ein Problem und demnach gar nicht so kritisch zu bewerten", sagt Benjamin Friedle. Den Aufwand betreiben die Hohenloher Geschäftsmänner aber keineswegs aus reiner Tierliebe. "Wir hoffen natürlich, dass Milane damit künftig kein Hinderungsgrund für den Bau von Windrädern sind", sagt Friedle. Denn gerade Schwarz- oder Rotmilan-Vorkommen haben in der Vergangenheit vielfach dafür gesorgt, dass potentielle Flächen dem Artenschutz zum Opfer gefallen sind - unter anderem im Jagsttal.
Aussortierte Flächen neu bewerten?
Ein Vogelschutz-System könnte also - so hoffen die Beteiligten - mehr Flächen für Windräder möglich machen und bereits aussortierte wieder ins Spiel bringen. Auch eine Nachrüstung an bestehenden Anlagen könnte zum Thema werden.
Viele stehen etwa in der Erntezeit wegen des verstärkten Vogelflugs auf umliegende Felder häufig still. Das bedeutet: Weniger Strom und damit Einnahmeeinbußen für die Betreiber. Eine Nachrüstung erfordert allerdings eine Änderung der Genehmigung, die beim Landratsamt beantragt werden muss.
Auch die Politik scheint große Hoffnungen in das Projekt zu setzen. Jüngst gab es fast eine Million Euro Zuschüsse aus dem Energieforschungsprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
So teilt Pressesprecherin Katharina Grave auf Anfrage mit: Ziel der Förderung sei es, durch die Verbesserung "der Umweltverträglichkeit entsprechender Anlagen die Energiewende zu unterstützen". Übersetzt bedeutet das, auch der Bund verspricht sich mehr Windradgenehmigungen durch BirdVision.
Nabu begrüßt Vogelschutzbemühen
Beim Bezirksverband des Naturschutzbundes Heilbronn-Hohenlohe (Nabu) ist man zumindest skeptisch, ob bereits ausgeschlossene Flächen neu bewertet werden sollten: "Die Gefahr, dass zukünftig auch kritische Standorte mit Windenergieanlagen bebaut werden, ist unserer Ansicht nach aber gering, da dort dann zu oft abgeschaltet werden würde", erklärt Sprecherin Annette Correia.
Aber: "Grundsätzlich wird die Idee automatischer Vogelerkennung und Abschaltung vom Nabu positiv gesehen." Allerdings müsse vor einem großflächigen Einsatz wissenschaftlich die Wirksamkeit und Funktionstüchtigkeit erprobt und sichergestellt sein.
Ausbau im Land stockt
Im gesamten Jahr 2018 sind in Baden-Württemberg lediglich 35 neue Windenergieanlagen in Betrieb gegangen, 2017 waren es 123. Die Energiewende ist gerade beim Ausbau der Windkraft mächtig ins Stocken geraten. Das hat nicht zuletzt mit zahlreichen Bürgerinitiativen zu tun, die fleißig die Horste geschützter Greifvögel kartieren - denn eine der wenigen Möglichkeiten, den Bau eines Windrades zu verhindern, ist der Artenschutz.
Der war auch im Jagsttal von Mulfingen bis Krautheim maßgebend dafür, dass von ursprünglich acht Flächen am Ende nur noch eine bei Krautheim-Neunstetten und -Oberndorf übrig geblieben ist. Dort will die Zeag nun drei Windräder bauen.

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