Stimme+
Weissbach/Niedernhall
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Kameras sollen Milane schützen

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Der Bürgerwindpark Hohenlohe entwickelt eine eigene technische Lösung für den Artenschutz. So sollen Greifvögel vor den für sie tödlichen Windrädern geschützt werden. Wird damit den Windrad-Verhinderern der Wind aus den Segeln genommen?

Von Tamara Ludwig
 Foto: VectorMachine_stockadobecom

Ein Milan fliegt auf ein Windrad zu, kreist unweit der sich drehenden Rotoren, ist auf Beutefang. Der Vogel erkennt die Gefahr nicht. Er wird vom Rotorblatt getroffen, taumelt tot zu Boden. Dieses Szenario wollen Markus Pubantz und Benjamin Friedle künftig verhindern.

Die Lösung: Eine Kamera am Windrad erkennt den gefährdeten Vogel − und stoppt die Anlage. Ein solches System entwickeln die beiden Geschäftsführer der Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH aus Niedernhall derzeit mit dem Technikunternehmen Deininger.

Kamera scannt den Himmel

"Die Branche steht hier bei Null", sagt Markus Pubantz. In Deutschland gebe es eine solche Artenschutz-Technik für gefährdete Greifvögel noch nicht. Im Ausland schon, erklärt Pubantz. "In Spanien und Frankreich kommen solche Systeme zum Einsatz", ergänzt er. In Frankreich ordne die Behörde diese auch an, wenn in Windparks Vögel getötet worden seien. Das Prinzip ist leicht erklärt: Am Windrad auf etwa zehn Metern Höhe wird eine hochauflösende Kamera angebracht. Sie scannt pausenlos den Himmel, macht Bilder und vergleicht diese immer wieder miteinander. Erkennt sie einen Punkt, der sich von Bild zu Bild verändert, verfolgt sie dessen Bewegung. Daraus schließt das System, ob der Bildpunkt ein Milan ist und das Windrad anhalten muss.

Pubantz und Friedle erproben das System im Windpark Weißbach. "Im Moment noch im Offline-Betrieb", sagt Pubantz. So müsse das System erst noch lernen, zwischen Vögeln und anderen beweglichen Punkten am Himmel zu unterscheiden. Wolken, Flugzeuge, Insekten, das alles müsse die Kamera erkennen und aussortieren. Dabei spiele etwa das für Raubvögel typische Kreisen eine Rolle. "Amseln kreisen nicht", erklärt Markus Pubantz augenzwinkernd.

Hohenloher System könnte eine Lücke schließen

Warum aber ein eigenes System entwickeln und nicht ein bereits erprobtes aus dem Ausland importieren? Der Aufwand, darin sind sich Pubantz und Friedle einig, wäre etwa gleich groß. Denn es gibt noch kein ausländisches System, das in Deutschland zugelassen ist. Also müsse man in beiden Fällen selbst forschen, deutsche Gutachten in Auftrag geben und eine sogenannte biologische Begleitplanung durchführen. Alles in Absprache mit Landratsamt, Regierungspräsidium und der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Zwei bis drei Jahre dauere das Ganze. Ein eigenes System habe aber den Vorteil, dass man es individuell anpassen könne.

Sollte das System sich bewähren, würde das Hohenloher Unternehmen eine Lücke schließen. Während es für Schattenwurf, Lärm, Eisabwurf und Fledermausschutz bereits technische Lösungen gebe, seien Greifvögel die Ausnahme, sagt Pubantz. Eine für Windkraftbetreiber besonders ärgerliche obendrein. Denn der Vogelschutz verhindert viele Windradprojekte im Land. Das gilt etwa für das mittlere Jagsttal, wo wegen eines hohen Milan-Vorkommens eine mögliche Fläche nach der anderen aus dem Flächennutzungsplan genommen wurde (wir berichteten).

Bürgerinitiativen im ganzen Land

"In Baden-Württemberg wurde 2017 ein einziges Windrad genehmigt", sagt Benjamin Friedle sichtlich frustriert. So seien weder die Energiewende, noch die hoch gesteckten Klimaschutzziele der Politik erreichbar. "Wir brauchen ein System, um das Thema Dichtezentrum zu entkräften", sagt Pubantz. Vereinfacht liegt ein sogenanntes Milan-Dichtezentrum vor, wenn mindestens vier Brutpaare innerhalb von 3,3 Kilometern um die Fläche nachgewiesen sind. Das wird derzeit von den Behörden als Ausschlusskriterium für Windräder gewertet. Deshalb widmen sich Bürgerinitiativen gegen Windkraft im ganzen Land dem Thema intensiv und erfassen Horste.

Aber was bedeutet das für Flächen, die bereits ausgeschlossen wurden? Könnten dort künftig doch noch Windräder gebaut werden? "Es wird spannend, wie es mit diesen Gebieten weitergeht", ist Benjamin Friedle überzeugt. Denn ein funktionierendes System könne seiner Meinung nach einen gültigen Flächennutzungsplan rechtlich anfechtbar machen. Und das wäre auch ihr Ziel, daraus machen Pubantz und Friedle keinen Hehl.

Die zuständige Behörde hält sich zu dem Thema bedeckt: "Dem Landratsamt Hohenlohekreis liegen derzeit keine ausreichenden Erkenntnisse über die Wirksamkeit solcher Kamerasysteme vor", heißt es auf Nachfrage der HZ. Deshalb könne auch nicht abgeschätzt werden, ob und gegebenenfalls wie sich diese Systeme künftig auf den Betrieb von Windenergieanlagen auswirken.


Kommentar: Alles auf Anfang?

 Foto: Mugler, Dennis

Das Kamerasystem, das der Bürgerwindpark Hohenlohe gerade entwickelt, könnte die Bürgerinitiativen landauf, landab ins Schwitzen bringen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren zu Spezialisten entwickelt, Milanhorste in potenziellen Windkraft-Gebieten aufzuspüren. Denn bislang gilt: Wo genügend Brutpaare nachgewiesen sind, kann der Artenschutz Windräder verhindern. In vielen Fällen erreichten die Gegner so ihr Ziel.

Wenn sich die Technik des Bürgerwindparks aber als zuverlässig erweist, müssten diese Flächen neu bewertet werden. Wo bislang der Schutz von Greifvögeln das einzige Gegenargument war, bleibt dann keines mehr übrig. Das gilt etwa für die Mehrzahl der potenziellen Flächen im mittleren Jagsttal: Von anfangs acht im Flächennutzungsplan ist dort letztlich noch eine winzige für drei Windräder geblieben.

Dass das Kamerasystem letztlich funktionieren wird, steht außer Frage. Die technischen Möglichkeiten sind längst vorhanden, im Ausland werden ähnliche Geräte bereits eingesetzt. Am Ende ist die Politik gefragt. Sie muss entscheiden, ob bereits rechtskräftige Flächennutzungspläne überarbeitet werden müssen. Sie muss auch entscheiden, ob die neue Technik bei der Planung von künftigen Windparks als Auflage ins Genehmigungsverfahren aufgenommen wird.

Eines ist aber klar: Die Tage des Milans als Windrad-Verhinderer sind wohl gezählt.

Ihre Meinung?

tamara.ludwig@stimme.de

 
Kommentare öffnen
Nach oben  Nach oben