Stimme+
Hohenlohe
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Was wissen Behörden über Verbreitung und Missbrauch von der Maskenpflichtbefreiung?

   | 
Lesezeit  2 Min
Erfolgreich kopiert!

Spätestens seit dem Fall des Sinsheimer Mediziners Bodo Schiffmann ist die Problematik offenkundig: Einige Ärzte erteilen unrichtige medizinische Atteste. Was wissen Landratsamt, Ärztekammer und Polizei über Verbreitung und Missbrauch in Kreis und Region - und was nicht?

von Christian Nick
Immer wieder sieht man in Geschäften und Masken-Zonen oder bei öffentlichen Zusammenkünften Menschen ohne medizinische Mund-Nasen-Bedeckung. Manche berufen sich auf ärztliche Atteste − bisweilen auch auf unrichtige.
Foto: Archiv/Dittrich
Immer wieder sieht man in Geschäften und Masken-Zonen oder bei öffentlichen Zusammenkünften Menschen ohne medizinische Mund-Nasen-Bedeckung. Manche berufen sich auf ärztliche Atteste − bisweilen auch auf unrichtige. Foto: Archiv/Dittrich  Foto: Hauke-Christian Dittrich

Der Anfang der Recherche ist einfach - und unmaskiert: Eine Dame, die der Hohenloher Zeitung namentlich bekannt ist, sieht in einem Öhringer Geschäft eine Frau, die zu den führenden Köpfen der örtlichen "Querdenker" gehört: ohne die eigentlich vorgeschriebene medizinische Mund-Nasen-Bedeckung vor dem Gesicht. Besagte Dame wundert sich, spricht den Laden-Inhaber an - und bekommt zu hören, die "Querdenkerin" habe ein ärztliches Attest, das sie von der Maskenpflicht befreie.

Zeitsprung: Im Februar durchsuchten Polizeibeamte die Praxis des "Querdenken"-Aktivisten Bodo Schiffmann in Sinsheim. Der Vorwurf: Der Mediziner soll Hunderte solcher Atteste ohne medizinische Untersuchung ausgestellt haben. Und auf den Versammlungen der Corona-Maßnahmen-Kritiker in der Region waren und sind teils Dutzende Menschen zu sehen, die die Maskenpflicht missachten. Haben die wohl alle eine ärztliche Befreiung?

Viele Fragen, wenig Erkenntnisse

Ein Anlass für unsere Zeitung, mal nachzuforschen: Wie viele Menschen haben denn hier im Kreis ein solches Attest? Und: Sind den Behörden Fälle von Missbrauch bekannt? Die Frage ist klar - und die erste Anfrage beim Landratsamt Hohenlohekreis (LRA) rasch gestellt. Doch die Antwort hilft nicht weiter: Denn dem LRA sei "nicht bekannt, wie viele ärztliche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht im Kreis ausgestellt wurden, weil hierzu keine Meldepflicht besteht". Auch über möglichen Missbrauch bei Ärzten und Patienten lägen der Behörde keine Erkenntnisse vor, weil sie"keine Aufsichtsfunktion über die niedergelassenen Ärzte" habe.

Ob es denn für das Gesundheitsamt nicht wünschenswert wäre, einen Überblick über die Situation zu haben? Antwort: Da das LRA nicht für die Kontrolle der Maskenpflicht verantwortlich sei, würden "diese Daten zur Durchführung der täglichen Arbeit auch nicht benötigt".

 


Mehr zum Thema

«Niemand baut Betten ab, aber wir haben einfach nicht das Personal, um sie zu betreiben», erklärt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.
Stimme+
Berlin
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Faktencheck: Warum weniger freie Intensivbetten gemeldet werden


Auch Ärztekammer äußert sich nur allgemein

Dann müsste doch wenigstens die zuständige Landesärztekammer Baden-Württemberg weiterhelfen können? Dort indes bittet man um Verständnis, dass "man nicht auf einzelne Kasuistiken eingehen" könne. Der Sprecher betont, im Rahmen der Berufsaufsicht prüfe die Landesärztekammer Informationen über Missstände: "Zahlreiche Beschwerden können auf der Ebene der vier Bezirksärztekammern bereits bearbeitet werden - hier werden keine konkreten Zahlen erfasst." Bei "begründetem Verdacht" leite man ein Ermittlungsverfahren ein.

Ob die Interpretation richtig sei, dass also auch die Ärztekammer über mögliche Unrichtigkeiten und Probleme mit Masken-Befreiungen im Hohenlohekreis überhaupt nichts sagen kann? Die Nachfrage in Stuttgart bleibt ohne Antwort.

Fälle im Bereich Öhringen und Heilbronn

Eine umfassende Replik gibt es unterdessen von der Polizei - die neben den Ortspolizeibehörden die Einhaltung der Maskenpflicht zu kontrollieren hat. Aber auch hier heißt es für den Hohenlohekreis: "Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wie viele ärztliche Atteste, die vom Tragen eines Mund-Nasenschutzes befreien, ausgestellt wurden." Denn hier gilt ebenfalls: "Eine obligatorische Meldung dieser Zahlen an die Polizei gibt es nicht."

Immerhin gibt es aber endlich Handfestes an Information: "Im Bereich des Polizeireviers Öhringen gab es im Jahr 2021 einen konkreten Sachverhalt, in welchem unberechtigt ausgestellte und mitgeführte Atteste verwendet wurden."

 


Mehr zum Thema


Ärzte, die nachweislich unrichtige Atteste ausstellten, seien im Kreis bislang polizeilich noch nicht aufgefallen: "Wenn wir das feststellen, handelt es sich um Urkundenfälschung, also einen Straftatbestand." Der Polizei-Sprecher bestätigt aber, dass in der Region Heilbronn bereits bei Kontrollen zweifelhafte Atteste eines einschlägig bekannten Arztes aus Kassel festgestellt wurden.

Und: Bei einer Veranstaltung im März im Landkreis Heilbronn seien über 70 Menschen kontrolliert worden, die allesamt fragwürdige Atteste vorgewiesen hätten. Wer die ausgestellt habe, könne jedoch derzeit aus "ermittlungstaktischen Gründen" noch nicht mitgeteilt werden.

Und wie viele Verstöße gegen die Maskenpflicht sind aktenkundig? Allein seit Ende Oktober seien im Hohenlohekreis 1415 Fälle bekannt.

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung

Nicole Theuer am 22.04.2021 14:50 Uhr

Ich bin selbst von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung befreit. Von meinem Hausarzt, der mich seit Jahren kennt und wegen verschiedener Erkrankungen der Atemwege, u. a. Asthma behandelt. Als ich ihn wegen eines Attestes bereits im April 2020 angesprochen habe, bekam ich zunächst die Antwort: "das muss ich erst einmal prüfen, ob Sie zu der Gruppe gehören, die eine Befreiung bekommen dürfen." Soweit alles in Ordnung, dafür hatte und habe ich Verständnis. Allen chronisch Kranken bzw. allen, die wie ich befreit sind, hat der Sinsheimer Arzt einen großen "Gefallen" getan. Die Anfeindungen werden immer massiver und das Leben für Menschen mit Behinderungen in diesem Bereich immer schwerer. Auch, weil es immer mehr solcher selbst ernannter "Hilfspolizisten" gibt, die meinen, petzen zu müssen. Ich fürchte, durch die Aufmerksamkeit, die die Dame aus dem Artikel jetzt bekommt, werden sich noch mehr Menschen bemüßigt fühlen, vermeintliche Verstöße gegen das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung bei Mitarbeitern und Geschäftsinhabern anzuschwärzen.

Antworten
lädt ... Gefällt Nutzern Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
Nach oben  Nach oben