„Auszählen ist das Anstrengendste": So läuft die Stimmabgabe zur Kommunal- und Europawahl in Öhringen
In den Öhringer Teilorten auf dem Land kennen sich Helfer und Wähler persönlich. In der Stadt Öhringen herrscht teils Stau und Verwirrung an der Wahlurne. So läuft die Kommunal- und Europawahl im Hohenlohekreis.

Auf der einspurigen Feldstraße von Untermaßholderbach nach Büttelbronn ist kaum ein geregeltes Durchkommen möglich: Alle paar Meter müssen Autos anhalten, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. In Untermaßholderbach gibt es nämlich kein Wahllokal. Die Bewohner des Öhringer Teilorts müssen über die Felder ins nächste Dorf fahren – so wird eine kleine Feldstraße zum „Highway to Wahl".
Wahlhelferin berichtet aus Erfahrung: „Das Auszählen ist das Anstrengendste"
Und die hat es in sich: EU-Parlament, Kreistag, Gemeinderat und Ortschaftsrat werden gewählt. Bürgerpflicht in vierfacher Ausführung. Die Heilbronner Stimme berichtet im Liveblog über alle aktuellen Entwicklungen rund um die Wahlen.
Verena Rekewitz, Irene Steinle, Linda Vogelmann und Herbert Wiedmaier sind die vier Wahlhelfer von der Frühschicht im Dorfgemeinschaftshaus in Büttelbronn – sie haben alle Hände voll zu tun: Wähler im Verzeichnis notieren, Umschläge in den Farben grün, gelb und rot verteilen, dazu den Stimmzettel für die EU – und darauf achten, dass jeder Umschlag in der richtigen Urne landet. Trotzdem geht das routiniert: Die vier sind nicht zum ersten Mal dabei. „Das Auszählen wird nachher das Anstrengendste", ist Rekewitz überzeugt.
Zwar wird sie um die Mittagszeit abgelöst – doch wenn die Wahllokale um 18 Uhr schließen, rückt die ganze Truppe erneut an und zählt mit aus: Europa und Kreistag noch am Abend, Gemeinde- und Ortschaftsrat am Montag im Öhringer Rathaus, zusammen mit dem dortigen Personal in Armeestärke.
Schon um elf Uhr ist die Wahlbeteiligung ordentlich. „Jetzt kommen alle vor dem Mittagessen", kennt Rekewitz den Ablauf. Auch die Helfer sind versorgt mit belegten Brötchen. Früher seien viele nach der Kirche gekommen – doch in Büttelbronn gibt es keinen Gottesdienst mehr.
Vergessene Wahlzettel sind kein Problem – Wahlberechtigte können trotzdem ihre Stimme abgeben
Das verhindert nicht, dass die Wähler wellenartig hereinschwappen – oft in Familienverbünden. Mal fünf Minuten niemand, dann plötzlich fünf auf einmal: „Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir keinen Achter reinbringen", mahnt Rekewitz. Die meisten Leute kennt mindestens einer der vier Helfer persönlich – da braucht es den Ausweis oft nicht. Ein kurzer Plausch dreht sich um Tomaten im Garten oder was die Kinder machen. Dabei erfährt man auch politische Themen, die manchen bewegen: Zunehmender Verkehr und die Zukunft der Landwirtschaft werden wiederholt angesprochen.
Außerdem haben bis auf einen alle ihre Kommunalwahlunterlagen zu Hause schon ausgefüllt - manche brauchten dafür nur wenige Minuten, andere machten sich über eine Stunde lang Gedanken und schoben immer wieder Stimmen hin und her. Falls jemand die Zettel vergessen haben sollte, hat Vogelmann Ersatz. Wenn man darauf verzichtet, den Umschlag zuzukleben, haben sie noch weniger Aufwand. Tatsächlich habe das nur einer versucht – und sei gescheitert, weil der Kleber kaum hält. Dafür scheint der rote Umschlag für den Gemeinderat zu klein zu sein: Erst zweimal gefaltet passen die Listen hinein. Obwohl es "Wahlhelfer" heißt: „Bei der Stimmabgabe helfen wir nicht. Das verstößt gegen das Wahlgeheimnis", erklärt Steinle.
Eine Wählerin berichtet: Die Kommunalwahl kann ganz einfach sein – und die Europawahl so schwer
Ute und Alois Leenders haben es vorbildlich gemacht: „Ich habe die Zettel für die Kommunalwahl schon letzten Sonntag ausgefüllt", sagt die Wählerin: „Ich wähle den, den ich kenne und dem ich was zutraue." Zur Vorbereitung haben die beiden Musikschullehrer Gemeinderatssitzungen besucht, als es um die städtische Musikschule ging - und dabei auch Einblicke in andere kommunalpolitische Themenfelder erhalten. Bloß bei der Europawahl hat Ute Leenders sich schwergetan: „An der wollte ich ursprünglich gar nicht teilnehmen." Bei fast allen Parteien „sei ihr zu viel Krieg drin". Nun hat sie doch noch eine passende gefunden. Mit E-Bike hergekommen, belohnen sich die beiden mit einer Radtour.
In Öhringen stehen zwei Wahllokale direkt nebeneinander: Viele Wähler verirren sich
Während auf dem Dorf alles seinen gewohnten Wahlgang geht, gibt es in der Großen Kreisstadt kleine Turbulenzen. Da das Gymnasium und die benachbarte Gemeinschaftsschule jeweils ein Wahllokal beherbergen, verirren sich laufend Leute ins HGÖ, die woanders wählen müssen. Helferin Regine Dangel hat quasi eine Standleitung zum Notfall-Telefon im Rathaus. Gerade ist ein Wähler hereingekommen, der gar keine Unterlagen per Post erhalten hat. Er weiß daher noch nicht einmal, wo er wählen muss. Das Rathaus findet heraus, in welchem Lokal er im Wählerverzeichnis eingetragen ist, und Dangel kann ihn dort hinschicken. Für Fälle wie diesen hat sie den Tipp: Wer weiß, in welchem Wahllokal er im Wählerverzeichnis steht, kann auch ohne Wahlbenachrichtigung dorthin gehen. Dann reicht der Ausweis, um sich zu legitimieren.
Außerdem kommen Neugierige ins HGÖ, die das nagelneue Hauptgebäude sehen möchten, in dessen Eingangshalle die drei Wahlkabinen stehen. Für ein Wahllokal habe sie eine komfortable Größe, findet Dangel. Die Gänge hat der Hausmeister mit Flatterband abgesperrt – zu viele Neugierige hätten bereits versucht, sich eigenmächtig eine Führung zu gönnen. Am 19. Juli ist hier Tag der offenen Tür. Zieht man all diese Irrläufer ab, ist die Wahlbeteiligung hier kurz vor 12 Uhr noch verhalten.

Lange Schlangen zeigen an: In der Schillerschule sind doppelt so viele Wähler wie früher
Anders sieht es in der Schillerschule aus: Hier stehen Dutzende Schlange bis auf den Hof der Grundschule. Durch eine Änderung der Wahlbezirke kommen fast doppelt so viele hierher, berichtet Helfer Fritz Wunderlich, der keine freie Minute hat: „So was habe ich noch nicht erlebt. Um zehn vor acht waren die ersten da. Aber das schöne Wetter, die Wahlaufrufe – und Kommunalwahl mit Europa, das zieht", findet er. „Es ist ja schön, wenn so viele Leute kommen."
In der Schlange geht es diszipliniert zu. Gerlinde Grom findet: „Wählen ist mir wichtig, deshalb stehe ich auch gerne mal an. Aber nein, das ist mir noch nie passiert.“ Zum Glück hat sie ihre Listen bereits ausgefüllt – „und auch nochmal korrigiert: Ich hatte 39 Stimmen vergeben" statt maximal 32 für den Gemeinderat.
Große Wahlforschung im kleinen Dorf: Hoher Besuch in Büttelbronn
Den Wählern in Büttelbronn bietet sich eine Besonderheit: Beate Schmieg vom ZDF ist im Auftrag der Forschungsgruppe Wahlen da. An ihrem Stand im Vorraum des Dorfgemeinschaftshauses bittet sie nach dem Urnengang, auf einem nachgeahmten Stimmbogen mitzuteilen, wen man bei der Europawahl angekreuzt hat. Aus diesen Daten, die sie telefonisch nach Mannheim übermittelt, entstehen die Prognosen, die ab 18 Uhr über die Fernsehbildschirme flimmern – bis das Ergebnis feststeht.

60 bis 65 Prozent nähmen an dieser unverbindlichen Umfrage teil – Beate Schmieg hält sie trotzdem für aussagekräftig: Da die Umfragen nach genauem gesellschaftlichem Proporz über Städte und Dörfer verteilt seien und die Teilnahmequote meist ähnlich sei, seien die Prognosen repräsentativ.