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Kindeswohl gefährdet? Immer mehr Hinweise im Hohenlohekreis

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Das Jugendamt musste 2022 fast dreimal so viele Verdachtsfälle prüfen wie 2018. Das zuständiges Team ist immer stärker belastet.

Das Kindeswohl zu schützen, ist eine der Hauptaufgaben des Jugendamts − und mithin die heikelste.
Foto: dpa
Das Kindeswohl zu schützen, ist eine der Hauptaufgaben des Jugendamts − und mithin die heikelste. Foto: dpa  Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Dem Jugendamt des Hohenlohekreises werden immer mehr Fälle gemeldet, bei denen das Wohl eines Kindes möglicherweise gefährdet sein könnte. Das zieht enorm viel Mehrarbeit nach sich, denn jedem Hinweis muss gründlich nachgegangen werden - auch wenn sich am Ende herausstellt, dass gar kein Handlungsbedarf besteht. 2022 betraf dies 20 Prozent der Meldungen, in 80 Prozent der Fälle musste der dafür zuständige Allgemeine Soziale Dienst (ASD) tätig werden.


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Zahl der Meldungen fast verdreifacht

303 Fälle musste der ASD 2022 abarbeiten. 2021 waren es 271, 2020 lag die Zahl bei 214 Fällen. 2019 zählte die Statistik 148 und 2018 nur 107 Meldungen. Die Zahl hat sich in nur fünf Jahren also fast verdreifacht. Dies ist auch, aber nicht nur eine Folge der Corona-Pandemie, die vor allem sozial schwächeren und mental labileren Familien schwer zu schaffen machte.

Größte Herausforderung für Jugendämter

Kinder bestmöglich vor Gewalt oder sonstigen Übergriffen in der Familie zu schützen, ist die größte Herausforderung eines jeden Jugendamts. Und die stressigste. Selbst kleine Fehleinschätzungen können weitreichende Folgen haben - etwa ob das Kind den nächsten Tag noch überlebt. Spektakuläre Fälle von Kindesmissbrauch in Deutschland schrecken die Öffentlichkeit immer wieder auf. Auch die Jugendämter werden dann hellhörig und fragen sich: Tun wir genug? Wäre das auch in unserem Kreis möglich? Stimmen Prüfungen und Sanktionen? Was können wir verbessern?

Manche halten dem Druck nicht stand

Auch dem ASD-Team im Hohenlohekreis wird viel abverlangt. Manche halten diesem Druck nicht stand und gehen wieder. Andere hadern mit der hohen Fluktuation und müssen viel Mehrarbeit leisten, um Ausfälle oder unbesetzte Stellen zu kompensieren. Zu allem Überfluss hat Mitte Februar auch noch die Kinderschutzbeauftragte Ramona Horn den Kreis verlassen.

Externe Experten prüfen die Abläufe

Auch die hohe Teilzeitquote ist ein Thema, das Vollzeitkräfte zusätzlich belastet, weil heikle Fälle keinen Aufschub dulden. "Wie gebe ich meine Aufgaben weiter und an wen?" Das sei eine Frage, die immer wieder gestellt wird, sagt die Leiterin des Jugendamts, Claudia Müller. "Das kann schon dazu führen, dass Vollzeitkräfte das Gefühl bekommen, die Lasten von Teilzeitmitarbeitern tragen zu müssen." So offen und transparent über solche und andere Probleme im ASD-Team zu reden - und das Verfahren der Fallprüfung immer wieder von externen Experten betrachten und prüfen zu lassen: Das ist ihr sehr wichtig.

Das sind die ersten Ergebnisse

Genau so eine "Evaluation", die blinde Flecken aufspüren soll, läuft seit September 2022, im Juli 2023 liegt der Abschlussbericht vor. Erste Ergebnisse gibt es schon, demnach "passen die Instrumente unserer Gefahreneinschätzung", so Müller. Sie entsprächen den gängigen "fachlichen und wissenschaftlichen Standards". Der starke Anstieg der Meldungen zu möglichen Kindeswohlgefährdungen belaste die Mitarbeiter zusehends, so eine weitere Erkenntnis. Wie können die Kräfte entlastet werden, ohne die Qualität des Prüfprozesses zu minimieren? Das ist die Gretchenfrage. Der Dokumentationsaufwand wurde bereits reduziert und der standardisierte Bewertungsbogen verkleinert, um Zeit zu sparen.

Vor allem erfahrene Kollegen sind angehalten, diese Vereinfachungen zu nutzen, um Zeit zu sparen. Junge und neue Kräfte sollten die Abläufe wie bisher anwenden. Drei interne Arbeitsgemeinschaften wurden gebildet, die alle Punkte offen besprechen und Lösungen erarbeiten sollen. Das Institut für Sozialpädagogische Forschung in Mainz (ISM) evaluiert den Kinderschutz moderiert alles.

Das waren die Knackpunkte bei der letzten Evaluation

Das geringe Durchschnittsalter und die hohe Fluktuation waren Kernpunkte der letzten Evaluation, die seit Sommer 2019 lief. Das zuständige ASD-Team war damals das jüngste im Land, außerdem hatte das Personal in den fünf Jahren davor oft gewechselt. Beides ist in einem derart heiklen Geschäft wenig dienlich, in dem Erfahrung und Kontinuität extrem wichtig sind. Inzwischen habe sich die Lage gebessert, so das Jugendamt. Es gebe wieder mehr ASD-Kollegen, die länger dabei sind. Außerdem seien zwei neue Stellen geschaffen worden. Fluktuation sei in einem Team von rund 20 Mitarbeitern immer ein Thema, frei werdende Stellen würden so "schnell und unkompliziert wie möglich" besetzt. Noch gelinge dies "zum überwiegenden Teil". Doch der Mangel an Fachkräften werde auch für das Jugendamt künftig die größte Herausforderung sein, sodass womöglich nicht mehr jede Stelle zeitnah und adäquat wiederbesetzt werden könnte.

 

So prüft der Allgemeine Soziale Dienst die eingehenden Meldungen

Die Prüfung aller Fälle, die auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung hindeuten, basiert auf dem Vier-Augen-Prinzip. Alle Meldungen durchlaufen ein standardisiertes Verfahren und werden einer von vier Kategorien zugeordnet: von akut gefährdet, also Alarmstufe Rot, bis nicht gefährdet und nicht hilfebedürftig, also volle Entwarnung. In 14 Prozent der Fälle war 2022 das Kindeswohl akut gefährdet, sprich: Das Jugendamt musste zum schärfsten Mittel greifen und die Kinder aus ihrem familiären Umfeld in seine Obhut nehmen. In 38 Prozent der Fälle war das Kindeswohl latent gefährdet, was ebenfalls einige Arbeit nach sich zieht. In 28 Prozent der gemeldeten Fälle sagten die Experten des ASD: Es handelt sich nicht um eine Kindeswohlgefährdung, wohl aber besteht Hilfebedarf. Solchen Familien steht das Amt beratend zur Seite, weil die Lage noch weitgehend beherrschbar scheint. Es ist mithin die mildeste Maßnahme.

 


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