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Beratung und Prävention bei sexueller Gewalt in Hohenlohe: Politik knausert bei Finanzierung

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Die 2001 gegründete Infokoop kämpft beherzt gegen häusliche und sexuelle Gewalt und würde sich mehr Unterstützung vom Hohenlohekreis und vom Land Baden-Württemberg wünschen.

Häusliche und sexuelle Gewalt sind auch im Hohenlohekreis keine Seltenheit. Um Betroffene zu beraten, Fachkräfte fortzubilden und allgemeine Aufklärungsarbeit zu leisten, gibt es eine Informations- und Kooperationsstelle.
Häusliche und sexuelle Gewalt sind auch im Hohenlohekreis keine Seltenheit. Um Betroffene zu beraten, Fachkräfte fortzubilden und allgemeine Aufklärungsarbeit zu leisten, gibt es eine Informations- und Kooperationsstelle.  Foto: releon8211/stock.adobe.com

Mädchen und Jungen, denen sexuelle Gewalt widerfährt; Kinder und Jugendliche, die sich untereinander solches Leid antun; Männer und Frauen, die im häuslichen Umfeld zu Tätern und Opfern werden: Dagegen kämpft seit 22 Jahren eine Informations- und Kooperationsstelle im Hohenlohekreis. Durch Beratung von Betroffenen. Und durch Fortbildung von Fachkräften und Ehrenamtlichen, die mit diesen Personenkreisen zu tun haben: also Erzieher und Lehrer, Schulsozialarbeiter und Vereinsmitglieder.


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Das Feld ist sehr weit, das Thema äußerst heikel. Die Zahl der jährlichen Kontakte ist gleichbleibend hoch, genauso die Dunkelziffer. Und längst ist die Infokoop, wie diese Anlaufstelle abgekürzt heißt, als sozialer Dienstleister nicht mehr wegzudenken. Trotzdem klaffen Bedarf und personelle Ausstattung, Bedeutung und auskömmliche Finanzierung bis heute auseinander. Obwohl es von Kreisseite einst hieß: Das werden wir schon managen.

Fremdmittel fließen nach wie vor spärlich

Gestartet im Jahr 2001 als Modellprojekt, hat sich die Infokoop längst etabliert und bezahlt gemacht - ohne dass der Träger dafür genügend Fremdmittel bekommt. "Die Hälfte bis zwei Drittel des Budgets bezahlt weiter das Albert-Schweitzer-Kinderdorf", klagt Elke Hammel, die mit ihren Teamkolleginnen Martina Roët und Natalie Kus im vergangenen Jahr gerade einmal 1,3 bis 1,5 Stellenanteile hatten. Und das bei 465 Kontakten. Dies entspricht mehr als einem Fall pro Tag.

Dass sich die kleine und große Politik bislang eher spärlich an der Finanzierung beteiligt, sorgt immer wieder für Unmut. "Eigentlich sollte das Kinderdorf dafür gar keinen eigenen Anteil bezahlen müssen", sagt Hammel. "Aber dafür bräuchte es ganz klare politische Statements." Die sind bisher nicht zu vernehmen. Und werden nach Meinung von Hammel in naher Zukunft auch nicht folgen.

Das bezahlt der Hohenlohekreis und das Land

Zumindest schießt der Hohenlohekreis jährlich 10.000 Euro zu. Anfangs gab er gar nichts. Dann waren es 3000 Euro. Bis der Infokoop das Wasser finanziell derart bis zum Hals stand, dass sie kurz vor dem Aus stand. "Das war vor 15 Jahren", erinnert sich Hammel. Also wurde der fixe jährliche Zuschuss um 7000 Euro aufgestockt. Und das Jugendamt ermunterte die Infokoop, stärker in die Beratung einzusteigen, in dieser Mission offizielle Aufgaben des Kreises zu übernehmen und dafür extra bezahlt zu werden.

Als die Informationsstelle gegründet wurde, standen die Fortbildung und Prävention klar im Mittelpunkt. Das hat sich seitdem geändert. Im Geschäftsjahr 2022 konnten so zusätzlich 21.000 Euro abgerechnet werden. Etwa für Beratungen, wenn der Verdacht besteht, dass das Kindeswohl gefährdet ist.

Das Land wiederum beteiligt sich erst seit 2021 an den Kosten. Im vergangenen Jahr flossen 10.000 Euro für das Personal und 8750 Euro für Projekte zur Vorbeugung. Dies ist der EU-Istanbul-Konvention zu verdanken, die Baden-Württemberg jetzt umsetzen muss. Das Ziel heißt: vor allem Frauen noch stärker vor häuslicher und sexueller Gewalt zu schützen.

Albert-Schweitzer-Kinderdorf bereinigt Defizit

7700 Euro wurden 2022 an die Infokoop gespendet, über eigene Einnahmen durch Honorare oder Veranstaltungen kamen 11.950 Euro in die Kasse. Unterm Strich stand immer noch ein Defizit von 73.000 Euro, das der Verein Albert-Schweitzer-Kinderdorf stemmen muss. Dass man deshalb dieses Angebot infrage stellt, ist aber nicht zu befürchten: "Sie sagen: Diese Arbeit ist zu wichtig", meint Hammel.

Die folgenden Zahlen verdeutlichen dies. "Wir gehen davon aus, dass es in jeder dritten bis vierten Beziehung häusliche Gewalt gibt ", zitiert die Infokoop-Beraterin Erkenntnisse aus Untersuchungen, die für ganz Deutschland gelten. "Aus der Kriminalstatistik des Bundes wissen wir, dass jährlich 15.000 Fälle von sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen angezeigt werden." Und dies sei nur das "Hellfeld".

Das "Dunkelfeld" sei weitaus größer. Forschungen wiesen darauf hin, "dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder sitzen, die sexuelle Gewalt erlebt haben". Und zwar mehr Mädchen als Jungen. Das spiegelt sich auch in der Beratungsarbeit im Hohenlohekreis wider. "Die meisten Betroffenen, die zu uns kommen, wollen ihre Fälle gar nicht anzeigen, weil ihnen die Kraft dazu fehlt", sagt Hammel. "Wir bohren nicht nach oder ermitteln wie die Polizei, sondern wir versuchen, sie zu stabilisieren, damit sie diesen schweren Weg durchstehen."


Kontakt: Die Informations- und Kooperationsstelle gegen häusliche und sexuelle Gewalt hat ihren Sitz in der Gaisbacher Straße 7 in Künzelsau. Die Beraterinnen sind telefonisch unter 07940/939951 erreichbar montags von 14 bis 17 Uhr sowie dienstags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr. Weitere Sprechzeiten können vereinbart werden. E-Mail: infokoop@albert-schweitzer-kinderdorf.de. www.infokoop.de.

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