Stimme+
Niedernhall
Lesezeichen setzen Merken

Zum 85. Geburtstag von Carmen Würth

   | 
Lesezeit  4 Min
Erfolgreich kopiert!

65 Jahre verbrachte sie an der Seite eines "ganz normalen Mannes" - dem Unternehmer Reinhold Würth. Das Schicksal stellte sie allerdings mehr als einmal auf die Probe. Carmen Würths Menschenbild wurde dadurch nur gefestigt.

Reinhold und Carmen Würth beim Mitarbeiterfest im Juni. "Wir sind 64 Jahre verheiratet", erzählte der Unternehmer dort, was seine Frau sofort korrigiert. "Nach so vielen Jahren kann man schon mal durcheinanderkommen", sagt er später.
Reinhold und Carmen Würth beim Mitarbeiterfest im Juni. "Wir sind 64 Jahre verheiratet", erzählte der Unternehmer dort, was seine Frau sofort korrigiert. "Nach so vielen Jahren kann man schon mal durcheinanderkommen", sagt er später.  Foto: Andi Schmid

Der Terminkalender von Carmen Würth ist voll. Der Alltag hat sie wieder, nachdem ihr die Gesundheit zuletzt manchen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. An diesem Montag wird die vielfach engagierte Ehefrau von Reinhold Würth 85 Jahre alt.

In jungen Jahren auf dem Weg zu einer eigenen Karriere

19 Jahre alt war sie, als sie in ihrer Kirche in Friedrichshafen am Bodensee zufällig von einem jungen Mann aus Künzelsau entdeckt wurde. Eine Begegnung, die ihr Leben verändern sollte.

Reinhold Würth erinnert sich heute noch an ihre gelbe Strickjacke, wie die zierliche junge Frau "trapp, trapp, trapp" mit ihren klackernden Schuhen und ihren schwarzen Haaren am Altar vorbei in den Chor ging.

Zurückhaltend, aber doch selbstbewusst war sie damals schon - als Sekretärin eines Direktors der Zahnradfabrik ZF. Reinhold Würth sprach sie nicht an, schickte ihr aber einen Brief, dann sogar noch ein Foto hinterher. Eine Reaktion darauf gab es nicht mehr.


Mehr zum Thema

Stimme+
Künzelsau
Lesezeichen setzen

Reinhold Würth: "Es droht ein grausamer Hurrikan"


Zwei, die sich gegenseitig "Dickkopf" nennen

Punkten konnte er schließlich doch bei ihr. "Weil er ein Dickkopf ist", erklärt Carmen Würth mit einem Schmunzeln. "Meine Frau kann auch recht dickköpfig sein", findet ihr Gatte. Auch das bleibt nicht unwidersprochen. "Ja, wir Frauen wollen nicht immer alles tun, damit unsere Männer zufrieden sind. Meiner wäre auch so einer", stellt Carmen Würth klar. 65 Jahre sind sie inzwischen verheiratet.

Geboren wurde sie als Carmen Linhardt in Pforzheim als Tochter eines Maschinenschlossers. Ihr Vater wurde 1941/42 nach Friedrichshafen "kriegsverpflichtet". Kurz vor dem Umzug musste sie miterleben, wie ihr zwei Jahre älterer Bruder von einem Lkw überfahren wurde. Da war Carmen vier. Es ist das erste, aber nicht das letzte Mal, dass das Schicksal in der Familie zuschlägt.

Glück auf dem Bauernhof

Die Erinnerungen an ihre Kindheit sind trotzdem positiv. Glücklich war sie in den sieben Jahren auf dem Bauernhof, auf den sie mit ihrer Mutter im Alter von fünf Jahren gezogen war, damit sie von weiteren Bombenangriffen verschont blieben. "Mein Papa hat dann nach dem Krieg die ZF-Fabrik wieder mit aufgebaut, das sah aus wie in der Ukraine, da stand nichts mehr."

Aus der Karriere bei der ZF, wo sie schnell im Direktoren-Vorzimmer angekommen war, wurde dann allerdings nichts: "Man musste sich damals entscheiden: Entweder werde ich Sekretärin oder Mutter. Ich wollte kein Kindermädchen engagieren, um ins Geschäft zu gehen." Die Liebe von den Kindern zu bekommen, selbst Liebe zu geben, und die Menschen immer als Ganzes zu sehen, das sei ihr wichtig gewesen. "Die Seele muss Augen haben. Sonst können Sie alles vergessen."

Eine Impfreaktion mit Folgen

Carmen Würth auf dem Mitarbeiterfest in Gaisbach im Juni 2022
Carmen Würth auf dem Mitarbeiterfest in Gaisbach im Juni 2022  Foto: Andi Schmid

Dieser Blick auf die Welt, auf das menschliche Wesen, entspringt auch der Erfahrung mit ihrem Sohn Markus. Als drittes Kind wird er 1965 geboren, nach den Töchtern Marion (1958) und Bettina (1961). Die Familie schien perfekt. Doch es folgte, was Reinhold Würth einen "medizinischen Kunstfehler" nennt. Die Reaktionen des Jungen auf die ersten zwei Vierfach-Impfungen habe der Arzt damals ignoriert. "Die dritte Dosis hat dann wohl einen Hirnbezirk geschädigt."

Markus blieb geistig zurück. Dass es noch immer schmerzt, klingt an. "Er hätte in seinem Leben enorm was bewirken können", ist Reinhold Würth überzeugt. "Er ist so ein lieber Mensch."

Carmen Würth kümmerte sich von Anfang an um ihren Sohn. "Das war selbstverständlich. Ich stand vor der Tatsache und musste handeln." Sie habe ihrem Kind jeden Tag einen glücklichen Tag bescheren wollen. Weil es damals wenig Unterstützung gab, wurde sie kreativ und fand eigene Wege, ihm etwas beizubringen.

Ein Integrationsprojekt für Menschen mit Behinderung

Dann machte sie sich auf die Suche nach einer guten Unterbringung für ihren Sohn. Ihr Weg führte sie zu Montessori, zu den Anthroposophen. Aus dieser Erfahrung heraus engagierte sie sich später auch für andere Menschen mit geistiger Behinderung.

1996 wird ihrem Mann ein Renaissance-Gebäude in Künzelsau zum Kauf angeboten. Carmen Würth kommt auf die Idee, darin ein Hotel oder Café einzurichten, in dem Behinderte und Nicht-Behinderte zusammenarbeiten. Die Pläne für das Integrationsprojekt reifen.

Und noch ein Unfall

2003 wird es mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit eröffnen als Hotel-Restaurant Anne-Sophie. Der Name erinnert an Bettina Würths Tochter Anne-Sophie, die 1998 durch einen Autounfall ums Leben kam. Auch Carmen Würth musste diesen neuerlichen Unfall, der Erinnerungen an ihren Bruder wachruft, verkraften. Ebenso wie Jahre später die Entführung ihres Sohnes aus der Behinderteneinrichtung. Es ging gut aus, der Entführer ließ ihn frei, ohne dass Geld bezahlt wurde. Der Schock sitzt bis heute tief.

Das Engagement für Menschen mit Behinderung ging unterdessen weiter. Die von dem Ehepaar gegründete Würth-Stiftung finanziert eine Professur an der Technischen Universität München (TUM), wo frühkindliche Hirnschädigungen erforscht und behandelt werden.

Carmen Würth übernimmt über viele Jahre Verantwortung im Präsidium der Special Olympics, während die Adolf Würth GmbH & Co. KG als Sponsor auftritt und Mitarbeiter des Unternehmens bei Veranstaltungen mithelfen. Ihr Einsatz wird 2019 von den Vereinten Nationen gewürdigt.

Keine Geschenke mehr

An diesem Montag aber wird sie von ihrer Familie gefeiert. Trotz aller Schicksalsschläge meinte es das Leben mit Carmen Würth auch gut. Ihr Mann wurde mit ihr an der Seite zum Multimilliardär, samt Privatjets und Mega-Yacht. Von ihm bekommt sie einen Strauß Rosen. Ansonsten gebe es "nix, überhaupt nix", wie Reinhold Würth spitzbübisch erklärt. "Wir haben vereinbart, dass wir gegenseitig keine Geschenke mehr machen. Das liegt alles doch nur irgendwo rum."

Der Mann, der statt eines Herzens eine Kartoffel habe, wie Carmen Würth einst humorvoll formulierte, und der sich selbst für einen "ganz normalen Ehemann" hält - was Carmen Würth mit einem lauten "Ha ha ha" quittiert - kann aber auch anders. "Sie ist unglaublich liebenswert", sagt Reinhold Würth. "Wenn Sie uns einen Tag beobachten würden, dann würden Sie wohl den Kopf schütteln, dass ein Ehepaar auch nach 66 Jahren noch so miteinander umgeht."

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben