Stimme+
Erneuerbare Energien
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

KI aus Hohenlohe bewahrt Greifvögel vor der Kollision mit Windrädern 

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Die Firma Bürgerwindpark Hohenlohe aus Niedernhall hat mit Birdvision das deutschlandweit erste KI-System entwickelt, das Greifvögel schützen soll. Nach der Testphase hat das System nun Marktreife erreicht.

Das vom Bürgerwindpark Hohelohe entwickelte System "Birdvision" soll Greifvögel vor der Kollision mit Windkraftanlagen schützen.
Das vom Bürgerwindpark Hohelohe entwickelte System "Birdvision" soll Greifvögel vor der Kollision mit Windkraftanlagen schützen.  Foto: Alternativer Fotograf

Majestätisch zieht ein großer Greifvogel unter dem blauen Himmel seine Kreise. Die Schwingen mit weißer Zeichnung, das rostbraune Federkleid und der tief gegabelte Schwanz lassen keinen Zweifel zu: Es handelt sich um den geschützten Rotmilan. Kreis um Kreis nähert er sich einem Windrad. Dem schenkt er jedoch nur wenig Beachtung, schließlich ist sein Blick fixiert auf die Ackerfläche am Boden, auf der Suche nach Beute. Die Rotoren des Windrades trudeln aus, kommen zum Stillstand. Und der Milan? Der kreist weiter seiner Wege, als wäre nichts gewesen. So oder ähnlich kann man sich im Optimalfall den Einsatz von Birdvision vorstellen.

KI aus Hohenlohe bewahrt Greifvögel vor der Kollision mit Windrädern 

Birdvision ist ein mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattetes Kamerasystem, das dafür entwickelt wurde, Greifvögel rund um Windenergieanlagen zu erkennen (wir berichteten). Sechs Kamerapaare werden dabei auf sechs bis 30 Metern Höhe, je nach Topographie, am Mast der Anlage befestigt. Sie ermöglichen einen 360-Grad-Blick und scannen den Himmel auf herannahende Vögel. Dabei geht die Bestimmung der Spezies vor allem über die Größe des Tieres. Ist etwa ein Milan in der Gefahrenzone, erfolgt die Abschaltung innerhalb von 25 bis 30 Sekunden, je nach Wind. Sollte sich nach drei Minuten immer noch oder wieder ein Vogel im Schutzradius befinden, bleiben die Rotoren weitere drei Minuten stehen. Wenn die Luft wieder rein ist, gibt das System grünes Licht und der Betrieb geht weiter.

Birdvision ist deutschlandweit das erste System seiner Art

Entwickelt hat das System die Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH aus Niedernhall. Die Geschäftsführer Markus Pubantz und Benjamin Friedle wollten aus der Not eine Tugend machen. Denn: Greifvögel waren ein probates Mittel für Windkraftgegner, den Bau von Anlagen zu verhindern. In hiesigen Gefilden half dabei vor allem der Rotmilan. Der streng geschützte Vogel zählt zu den sogenannten Windkraft-sensiblen Arten. Das bedeutet, er gilt als besonders gefährdet, den sich drehenden Rotorblättern zum Opfer zu fallen. Also suchten Bürgerinitiativen landauf, landab nach Milan-Horsten. Konnte man vier Revierpaare (Horste) in einem bestimmten Umkreis zu den geplanten Standorten nachweisen, schloss dieses sogenannte Dichtezentrum den Bau von Windrädern aus. Der Artenschutz blockierte gewissermaßen die Energiewende.

Ein Rotmilan in unmittelbarer Nähe eines Windrads: Birdvision schaltet die Anlagen bereits ab, bevor ein Vogel derart nahe kommt.
Ein Rotmilan in unmittelbarer Nähe eines Windrads: Birdvision schaltet die Anlagen bereits ab, bevor ein Vogel derart nahe kommt.  Foto: Jan-Philipp Strobel

Weil es zwar im Ausland Beispiele für ähnliche Systeme gab, in Deutschland aber keines davon Aussicht auf Zulassung hatte, wurden die Kochertäler 2017 selbst zu Entwicklern. Man holte sich Kompetenz in der Softwareentwicklung ins Haus, fand technische Kooperationspartner für den Bau der Komponenten. 2019 lagerten sie die Sparte in eine Tochterfirma aus. Diese zählt mittlerweile sechs Beschäftigte, inklusive der beiden Geschäftsführer. 2021 ging Birdvision schließlich als bundesweit erstes System dieser Art in Betrieb – im Windpark Weißbach. Seitdem sind nicht nur fast vier Jahre vergangen, auch die Voraussetzungen haben sich geändert.

Antikollisionssysteme zum Schutz von Greifvögeln nun im Gesetz verankert

Nachdem das Land Baden-Württemberg 2020 den Schwellenwert von vier Revierpaaren auf sieben erhöht hatte, passierte 2022 etwas noch Entscheidenderes: die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. „Das war ein Meilenstein für uns“, sagt Benjamin Friedle. Nicht wegen der gewünschten Beschleunigung im Genehmigungsverfahren von Windparks – immer noch dauern diese Jahre. Sondern weil im Paragraf 45 nun explizit sogenannte Antikollisionssysteme als Schutzmaßnahme für Greifvögel aufgeführt sind. Und genau so ein System ist Birdvision. Aktuell hängen die Kameras der Hohenloher Firma an acht Anlagen, haben nach der Testphase inzwischen Marktreife erreicht. 

Wie gut schützet das System Greifvögel vor der Kollision mit Windrädern?

Aber wie gut schützt das System? Von 90 Prozent und mehr sprechen die Unternehmer, was die erfolgreiche Erkennung der Vögel im Schutzradius angeht. Dass dies valide Daten sind, hat eine drei Jahre dauernde Begleitung durch einen Biologen bestätigt. „Die Systeme haben sogar mehr erkannt als der Gutachter vor Ort“, hebt Friedle hervor.

Allerdings, so wollen es die Vorschriften, „muss der Wirksamkeitsnachweis für jeden Einsatzort neu erbracht werden“, erklärt Benjamin Braun, Projektleiter von Birdvision. Es gebe hier keine Automatismen. Auch seien nicht überall die gleichen Vogelarten relevant. Aktuell genehmigt ist Birdvision für Rot- und Schwarzmilan sowie den Wespenbussard.

Trotz der durchweg positiven Ergebnisse sagt Braun: „Optimierung ist immer möglich, gerade mit der KI.“ Nachts hingegen, räumt er ein, sei man blind. Doch nachtaktive Vögel seien vor allem Eulen, die flögen üblicherweise nicht so hoch, dass Windräder sie erfassten.

Effizienz

Der Vorteil eines Antikollisionssystems liegt nicht nur darin, dass gefährdete Vögel geschützt werden. Für Windpark-Betreiber bedeutet es auch eine Effizienzsteigerung ihrer Anlagen. Denn: Wenn etwa während der Mahd auf den Wiesen und Feldern rund um Windräder vermehrt Vögel auf Nahrungssuche zu erwarten sind, muss bislang wegen rechtlicher Auflagen pauschal abgeschaltet werden. Mit Birdvision kann die Abschaltung bedarfsgerecht gesteuert werden und erfolgt nur dann, wenn tatsächlich Vögel in die Nähe der Rotoren fliegen. Ansonsten drehen sie sich einfach weiter. 

Kommentare öffnen
Nach oben  Nach oben