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Wilde Weinberge werden in Heilbronn zum Politikum

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Die Stadt Heilbronn reagiert auf heftige Vorwürfe zur Brachenproblematik und lädt Wengerter zum Gespräch. Wer trägt die Verantwortung für verwilderte Weinberge?

Nicht nur am Heilbronner Wartberg wie hier am Sattel, überall in der Region werden Weinberge nicht mehr bewirtschaftet, weil sich der Weinbau nicht oder kaum mehr rentiert.
Nicht nur am Heilbronner Wartberg wie hier am Sattel, überall in der Region werden Weinberge nicht mehr bewirtschaftet, weil sich der Weinbau nicht oder kaum mehr rentiert.  Foto: Seidel, Ralf

Der von Frust und Ärger geprägte Hilferuf des Heilbronner Wengerter-Urgesteins Martin Heinrich scheint in der Stadtverwaltung angekommen zu sein. Wie berichtet hatte Heinrich, der auch ein ehrenamtlicher Aktivposten des Bürgervereins „Wir für Heilbronn“ ist, Mitte Mai bei der Einweihung der Weinterrassen am Wartberg vor dem Niedergang des Heilbronner Hausbergs gewarnt. Dort liegen wegen der Winzerkrise immer mehr Rebflächen brach oder noch schlimmer: sie wachsen wild vor sich hin, werden nicht gespritzt und infizieren benachbarte Anlagen mit Mehltau-Pilzen, was Rebtriebe, Trauben und am Ende die Lese schädigt oder sogar ganz zunichte macht.

Heilbronner Wengerter: Grundstückseigentümer in die Pflicht nehmen

Heinrich nahm nicht nur Wengerter und Grundstückseigentümer in die Pflicht. Vielmehr fühlten sich er und seine Kollegen von der Stadt im Stich gelassen, weil sie diese Missstände dulde und ihm zwei Termine zu diesem Thema kurzfristig abgesagt habe. Ausgerechnet in der ältesten Weinstadt Württembergs habe der Wengerterstand im Rathaus keine Lobby mehr, meinte er, dabei gehe es neben Landschaftspflege, Naherholung und Tourismus nicht zuletzt um die Existenz vieler Wengerterfamilien.

Das Rathaus lässt diese Vorwürfe nicht auf sich sitzen. „Heilbronn ohne Weinbau und Wengerter ist undenkbar. Die Kulturlandschaft und die gelebte Weinkultur stellen einen großen Schatz für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger dar“, heißt es recht blumig auf Stimme-Anfrage. Für Mitte Juni habe man nun ein persönliches Gespräch zwischen der Verwaltungsspitze, der Heilbronn Marketing GmbH (HMG) und Vertretern der Wengerter vereinbart.

Stadt Heilbronn verzichtet auf Pacht für ihre Weinberge

Die Stadt sei sich der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Wengerter „sehr bewusst“, erklärt Rathaussprecherin Claudia Küpper. Die Stadt verzichte deshalb „zur Förderung des Weinbaus und der Wengerterfamilien in ihren eigenen Weinbergen“ für zunächst drei Jahre bis 2026 auf Pachteinnahmen. Zudem habe die Heilbronn Marketing GmbH (HMG) beispielsweise 2024 in enger Absprache mit den Wengertern die Rahmenbedingungen fürs Weindorf angepasst, den zweiten Sonntag gestrichen und die Öffnungszieren verkürzt. Unabhängig davon sei die Förderung des Weintourismus bei der HMG schon lange ein Schwerpunkt.

Auch in Hinblick auf die zunehmende Aufgabe von Weinbergen suche man im Gespräch mit den Wengertern nach Lösungen. Schon 2024 habe es in vernachlässigen Rebanlagen mehrere Ortstermine gegeben, „um gemeinsam im Einzelfall einen gangbaren Weg zu finden“. 

Weinberge müssen einmal im Jahr gemäht werden

Rein rechtlich sind zunächst die Grundstücksbesitzer in der Pflicht. Landwirtschaftliche Grundstücke müssen laut Paragraf 26 des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes „zum Schutz der Nachbarbewirtschafter“ mindestens einmal im Jahr gemäht oder beweidet werden. Wer dies missachtet, muss mit Bußgeldern oder bei Reben gar mit der Rodung rechnen. Zu diesen Instrumenten habe das Rathaus bisher nicht gegriffen. „Beides wäre für die wirtschaftlich ohnehin bedrängten Betriebe eine zusätzliche Belastung“, erklärt das zuständige Liegenschaftsamt. Bisher seien bei den gemeinsamen Ortsterminen „tragbare Lösungen wie starker Rückschnitt der Reben oder eine freiwillige Rodung gefunden worden“, heißt es.

Martin Heinrich und viele seiner Kollegen sehen das anders. So sagt etwa Gutsbesitzer Peter Albrecht, der auch Vize-Präsident des Weinbauverbandes Württemberg ist, die einmalige Pflegepflicht greife gerade im Falle von Weinbergen viel zu kurz. Wegen der hohen Pilzgefahr müssten sie oft über zehn Mal im Jahr gespritzt werden. Beim Land sei das Problem schon angekommen. Agrarminister Peter Hauk habe für 2026 eine Verordnung zum Umgang mit Brachflächen und die Neuordnung der Reblanlagen angekündigt.

In Neckarsulm ist man weiter. Dort hat die Stadt eine Machbarkeitsanalyse zu Bewirtschaftungsoptionen für Weinberge erstellen lassen, die aufzeigt, wie brache Rebanlagen nach- oder neu genutzt werden könnten, wobei der Erhalt der Kulturlandschaft im Vordergrund stehe. Das Planungsbüro „Zukunftswege“ aus Sinsheim schlägt als Alternativen folgendes vor: Freiflächen- und Agri-Photovoltaik, Biodiversitätsflächen, um seltenen Tier- und Pflanzenarten neuen Lebensraum zu bieten, in der Nähe von Wald die Aufforstung, etwa auch mit Obstbäumen. Die Studie dient laut Bürgermeisterin Suzanne Mösel als Grundlage für den weiteren Dialog mit den Wengertern. Als „erster praktischer Ansatz“ sei ein Weinbergkataster geplant. Durch Abfragen werde ermittelt, welche Flächen in absehbarer Zeit nicht mehr bewirtschaftet werden. So Stadt und Grundstücksbesitzer vorausschauend planen und Zonierungen „proaktiv“ festlegen.


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