Heilbronner Richter Alexander Lobmüller: „Work-Life-Balance gibt es hier nicht“
Alexander Lobmüller ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen – als Vorsitzender Richter am Heilbronner Strafgericht und in der Lokalpolitik. Wie schafft er sein hohes Arbeitspensum?
Schon als kleiner Junge ging Alexander Lobmüller jeden Tag ehrfürchtig am großen Gebäude des Landgerichts Heilbronn vorbei. Sein Elternhaus befand sich nur einen Katzensprung entfernt. Heute spielt das Gericht eine zentrale Rolle in seinem Leben. Vor drei Jahren wurde er zum Vorsitzenden Richter einer großen Strafkammer am Landgericht ernannt. Bis Mitternacht Urteile zu schreiben oder am Wochenende Prozesse vorzubereiten, sei in seinem Job allerdings leider keine Seltenheit, berichtet der 51-Jährige im Stimme-Interview.
Heilbronner Richter Lobmüller über Familienleben und fehlende Work-Life-Balance
Sie sind Familienvater und haben Kinder. Wie ist Ihr Job mit dem Familienleben vereinbar?
Alexander Lobmüller: Das ist bei Strafrichtern am Landgericht leider ein großes Problem. Dazu muss man wissen, dass zwischen zwei Verhandlungsterminen in einem Verfahren maximal drei Wochen liegen dürfen. Überschreitet man diese Frist, muss man wieder von vorne beginnen und alle Angeklagten und Zeugen nochmal anhören. Um diese Fristen einzuhalten, kommen wir leider teilweise krank in die Arbeit. Auf unsere Gesundheit wird keine Rücksicht genommen. Akten haben oft mehrere tausend Seiten. Verhandlungen dauern oft Monate. Zur regulären Arbeit kommt dann noch das Verfassen von Urteilen. Angefochtene Urteile umfassen in der Regel mindestens 100 Seiten. Daher arbeiten wir oft auch abends oder am Wochenende. Allerdings haben wir weder Überstundenvergütung noch -zuschläge.
Mit welchem Arbeitspensum muss man als Richter am Strafgericht rechnen?
Lobmüller: Es gibt Kollegen, die bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten. Es ist wirklich eine hohe Arbeitsbelastung und es kam in der Vergangenheit auch immer wieder zu Überlastungsanzeigen. Eine Work-Life-Balance gibt es hier nicht. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass sich für unseren Bereich kaum Personal findet und ein Großteil des Personals bei sich bietender Gelegenheit sofort gehen würde.

„Heute sind die Hürden niedriger“ – Heilbronner Richter kritisiert Justiz-Personalnot
Wirkt sich die Personalnot auf die Einstellungsvoraussetzungen aus?
Lobmüller: Früher, als ich mein Jura-Studium beendet habe, schafften es etwa nur die besten drei Prozent der Absolventen im Land, diesen Job zu bekommen. Heute sind die Hürden niedriger, obwohl die Noten der Absolventen im Schnitt besser geworden sind. De facto muss das Justizministerium heute jeden einstellen, den es bekommen kann. Viel Auswahlmöglichkeiten gibt es nicht mehr. Obwohl der Richterverein immer wieder auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht hat, wird das Problem bislang ignoriert.
Ziehen es inzwischen dann viele Jura-Absolventen vor, in einer privaten Anwaltskanzlei zu arbeiten?
Lobmüller: Das kommt drauf an. Am Amts- oder Zivilgericht ist der Job als Richter beispielsweise deutlich familienfreundlicher als am Strafgericht, weil es dort keine so strengen Fristen gibt. Anwaltskanzleien zahlen andererseits schon mal ein doppelt so hohes Einstiegsgehalt.
Würden Sie sich trotzdem wieder für den Job entscheiden?
Lobmüller: Das kann ich heute tatsächlich nicht sagen. Seit ich 2001 bei der Justiz angefangen habe, wurde das Arbeitspensum nicht weniger, die Stimmung in den Prozessen rauer und auch die Bezahlung ist nicht so angestiegen, wie man sich das eigentlich erhofft hätte. Natürlich habe ich gewisse Sicherheiten – aber die haben ihren Preis. Aufstiegschancen gibt es hier kaum. Es gibt nur den Richter und den Vorsitzenden Richter, danach ist in der Regel Schluss. Dementsprechend steigt man auch in der Besoldung nicht weiter auf.
Was verdient man als Richter?
Lobmüller: Ein junger Richter beginnt in der Gruppe R1 Stufe 1 mit 5.296 Euro brutto. Wenn man zum Vorsitzenden Richter befördert wird, steigt man in R2 auf und kommt am Ende auf 8.804 Euro.
Lobmüller im Heilbronner Stadtrat: Warum sich der CDU-Politiker politisch engagiert
Sie sitzen für die CDU im Stadtrat Heilbronn. Wie schaffen Sie das neben Ihrem Job und wofür setzen Sie sich politisch ein?
Lobmüller: Ich habe mich sehr lange nicht politisch engagiert und deshalb erst 2023 dazu entschieden, in die CDU einzutreten. Der Grund dafür war eher traurig: Ich habe die in der Politik verbreitete Unfähigkeit und Lebensfremdheit nicht mehr ertragen. Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, selbst meinen Beitrag zu leisten, um unser Gemeinwesen zu verbessern, anstatt mir das ständige Parteiengezänk und das Postengeschachere weiter anzusehen. Ich engagiere mich primär in den Bereichen, in denen ich mich auskenne – zum Beispiel Sicherheit und Ordnung. Die Arbeit im Gemeinderat kann ich allerdings nur durch eine sehr gute und langfristige Planung sowie meinem Engagement am Wochenende bewältigen. Mit einem 8-Stunden-Tag wäre das keinesfalls zu machen.
Was konnten Sie im Gemeinderat bislang bewegen?
Lobmüller: Im vergangenen Jahr habe ich einen umfassenden Antrag zur Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs bei der Stadt eingereicht. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden mittlerweile umgesetzt. Ein weiteres Anliegen ist mir die sparsame Verwendung von Steuermitteln.
Ist es generell Ihre Art, Themen direkt anzusprechen?
Lobmüller: Ich bin ein Freund der offenen Worte. Dabei muss ich manchmal aufpassen, dass ich nicht zu negativ übers Gericht oder die Politik spreche. Mit meiner Direktheit mache ich mir nicht immer nur Freunde. Aber die meisten in der Politik sagen ja immer nur zu allem Ja und Amen und segnen alles ab – wie in der Merkel-Zeit. Daher kommt auch die ganze aktuelle Politikverdrossenheit. Ich sage immer: Wirtschaft und Politik entzweien die Gesellschaft eher, als dass sie vereinen. Der sichere Hafen, worauf sich jeder verlässt, sind die Gerichte. Aber die haben nur einen Haushaltsanteil von gerade einmal 5,8 Prozent – und das für eine so wichtige Säule der Demokratie.
Würden Sie sagen, diese Säule ist in Gefahr?
Lobmüller: Aktuell haben die Gerichte ein gutes Ansehen. Aber es kann schon sein, dass wir dieses Standing in Zukunft nicht mehr haben. Steter Tropfen höhlt den Stein. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Verfahren und bekommen keinen Termin. Das erschüttert Ihr Vertrauen in die Justiz. Aktuell ist dieser wichtige Pfeiler der Demokratie aber zum Glück noch nicht bedroht.
Als normaler Bürger hat man mit den Gerichten ja im Alltag wenig Berührungspunkte.
Lobmüller: Ja, aber wenn Sie die mal haben, dann erwarten Sie auch, dass Sie zeitnah einen Termin bekommen und nicht erst nächstes Jahr. Stellen Sie sich vor, Sie vermieten zum Beispiel eine Wohnung und die Mieter bezahlen die Miete nicht. Da kommen Sie schnell in große Schwierigkeiten. Das zerstört Existenzen.
Was ist aus Ihrer Sicht am Strafprozessrecht noch verbesserungswürdig?
Hierzu fällt mir ein Beispiel ein, das sehr aussagekräftig ist: Jugendliche kommen oft nicht ins Gefängnis, sondern in eine spezielle Betreuungseinrichtung mit Psychologen, genannt Untersuchungshaftvermeidung. Dort kostet ein Platz monatlich 12.500 Euro. Macht bei zwei Angeklagten und Jahr 300.000 Euro. Diese Kosten bleiben letztlich beim Steuerzahler hängen. Es fragt sich, ob wir uns mit dieser Perfektion nicht irgendwann selbst überfordern. Das sind Zahlen, da bleibt mir die Luft weg.
Sie haben im April 2024 das Urteil im spektakulären Heilbronner Raserprozess gesprochen – wie haben Sie die Verhandlung erlebt?
Lobmüller: Es war ein langes Verfahren, in dem viele Anträge gestellt wurden. Wir haben uns bemüht, alles gründlich und lückenlos aufzuklären. Es war schon früh klar, dass entweder Staatsanwaltschaft oder Angeklagter mit dem Urteil nicht einverstanden sind, so dass wir uns für eine Revision absichern mussten. Deshalb hat das Verfahren auch neun Monate gedauert – was in der Bevölkerung mitunter für Unmut gesorgt hat. Letztendlich hat es sich aber aus meiner Sicht gelohnt, dass wir mit so einer Genauigkeit vorgegangen sind.
Kommen Sie auch manchmal privat mit dem Gesetz in Berührung?
Lobmüller: Durchaus. Beispielsweise bei meiner Scheidung. Mein letzter Strafzettel liegt zum Glück schon zehn Jahre zurück.
Zur Person: Richter Alexander Lobmüller (51) aus Heilbronn
Alexander Lobmüller wurde 1973 in Heilbronn geboren und wuchs auch dort auf. Seine Eltern betrieben eine Metzgerei in der Innenstadt. Nach seinem Abitur studierte er Jura in Heidelberg und legte 1998 sein erstes, 2000 sein zweites Staatsexamen ab. Ab 2001 arbeitete er in verschiedenen Positionen als Strafrichter in Heilbronn, ehe er 2022 zum Vorsitzenden Richter am Landgericht befördert wurde. Für die CDU sitzt er im Heilbronner Stadtrat und unterrichtet als Dozent an der Hochschule Heilbronn. Seit 2009 ist er außerdem Vorsitzender der Bezirksgruppe des Richtervereins.

Stimme.de
Kommentare
am 04.08.2025 08:15 Uhr
Ich denke, dass die Häufigkeit an Fällen für die man Gerichte bemühen muss, seit Jahrzehnten stetig anschwillt. Es bleibt einem nicht verborgen, dass offene Grenzen in Europa eine große Rolle spielen. Dazu kommt eine sich immer weiter verbreitende Respektlosigkeit gegenüber der Exekutive und Judikative, befeuert durch Social Media Stars und Gangsterrapper. Auf RTL 2 Niveau werden Rechtsanwälte und Gerichtsverfahren in Reality Formaten begleitet. Schon bei völligen idiotischen Kleinigkeiten werden Anwälte und Gerichte bemüht. Die Arbeit der Polizei und Gerichte wird durch eine Legislative torpediert, die mit ihrer laxen, und immer komplizierteren und nicht dem Bedarf angemessenen Gesetzgebung, die Menschen die unseren Staat schützen und für Recht und Ordnung sorgen, verzweifeln lassen.
Danke für die offenen Worte Herr Lobmüller.
Jürgen Mosthaf