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Zum Tag der Einheit: Heilbronner erinnert sich an riskante DDR-Flucht über die Ostsee
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Mit einem Schlauchboot in die Freiheit: 1975 wagen zwei Brüder aus der DDR die Flucht über die Ostsee. Heute lebt Wolfram Brecher in Heilbronn – und blickt dankbar zurück auf ein erfülltes Leben in Freiheit.
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Meterhohe Wellen bäumen sich auf. Eine davon trifft das Schlauchboot der Brüder und reißt Wolfram Brecher mit. Dietmar ruft nach seinem Bruder, die See verschluckt seine Schreie, doch letztlich zieht er Wolfram wieder an Bord. Da sitzen die beiden nun: auf offener Ostsee, nass bis auf die Knochen, eines ihrer Paddel verloren in der Strömung, und die Nadel auf ihrem Kompass klemmt. Hier hätte die Flucht der beiden Männer aus der DDR beinahe ein jähes Ende genommen.
Flucht aus der DDR – Heilbronner: „Ich wollte verreisen, die Welt sehen“
Ihren Beginn hat die Geschichte jedoch in Schladebach, in der damaligen DDR. Wolfram Brecher ist 24 Jahre alt, Dietmar 22. Wolfram lebt heute in Heilbronn und spricht über die Flucht. Dietmars Sicht auf die Dinge hat seine Ehefrau Melitta Brecher niedergeschrieben. Die ihn im Folgenden betreffenden Zitate entstammen diesen Aufzeichnungen.
1975, einige Wochen bevor die Brecher-Brüder am 25. September ihre Flucht antreten, sitzen sie in ihrem gemeinsamen Zimmer, die Köpfe über eine Landkarte gebeugt, als plötzlich die Tür aufschwingt und ihre Mutter lachend fragt, ob sie türmen wollen. „Wir haben unseren Eltern nichts gesagt. Ansonsten hätte ihnen der Knast wegen Beihilfe zur Republikflucht gedroht“, berichtet Dietmar Brecher. Fliehen wollen die beiden, weil sie sich nach Freiheit sehnen: „Dietmar wollte sich selbstständig machen, und ich wollte zur Handelsmarine. Außerdem waren die Reiseeinschränkungen der DDR zu streng. Ich wollte verreisen, die Welt sehen“, erzählt Wolfram Brecher.
Wolfram Brecher lebt heute mit seinem Hund Ivo in Heilbronn
Foto: Frank, Dennis
Kurz darauf brechen Dietmar und Wolfram auf, verabschieden sich von ihrer Mutter, die sie in dem Glauben lassen, nur ein paar Tage nach Thüringen zu fahren. Ihr Vater ist nicht zu Hause, als die aufbrechen. Er ist an diesem Tag früh zur Arbeit gegangen. „Wir durften nicht emotional sein, uns nichts anmerken lassen, damit sie keinen Verdacht schöpfen“, berichtet Dietmar. Dann fahren die Brüder los, Dietmar vorne, Wolfram hinten auf dem Motorrad.
Geheime Vorbereitungen in der DDR: Mit dem Schlauchboot zur Freiheit
Zunächst kaufen sie ein Schlauchboot. Das Geld dafür haben sie sich von ihrer Oma geborgt – mit dem Vorwand, ein neues Radio kaufen zu wollen. „Das Schlauchboot hatte aber keine Paddel. Also sind wir auf dem Motorrad, ich mit dem Schlauchboot auf dem Rücken, nach Halle gefahren und haben dort die Paddel gekauft“, erklärt Wolfram.
In Kühlungsborn im Landkreis Rostock endet der Landweg ihrer Route. Durch eine Brandschneise, ein mehrere Meter breiter Streifen in der Mitte eines Feldes, der der Eindämmung möglicher Brände dient, schieben die Brüder das Motorrad Richtung Ufer, verstecken es im Stroh und verwischen ihre Spuren. Dann lassen Wolfram und Dietmar ihr Schlauchboot zu Wasser. Ausgestattet mit ein wenig Verpflegung, zwei Paddeln und einem Kompass, beginnt der riskanteste Teil ihrer Flucht. „Einer, der das Meer kennt, hätte so etwas nie gewagt, hörte ich später oft“, berichtet Dietmar Brecher.
Reisebeschränkung
In der DDR waren die Reiseeinschränkungen für die Bevölkerung sehr streng und prägend für das tägliche Leben. Grundsätzlich durften DDR-Bürger nur in befreundete sozialistische Länder wie Polen, Ungarn, Rumänien oder die Sowjetunion reisen – und auch dies oft nur mit Sondergenehmigung, Visum und unter kontrollierten Bedingungen. Reisen in das westliche Ausland, vor allem in die Bundesrepublik, waren für die meisten Menschen nicht möglich und lediglich zu bestimmten familiären Anlässen mit sehr komplizierter und langwieriger Antragstellung erlaubt.
16 Stunden nachdem sie ihre Reise angetreten haben, treiben die Brecher-Brüder auf der Ostsee. Die Wellen haben eines ihrer Paddel entrissen, der Kompass ist nicht wasserdicht und klemmt – und Hilfe ist nicht in Sicht. Fischkutter, die auf der Wasseroberfläche vorbeigleiten, ignorieren die gestikulierenden und nach Hilfe rufenden Gestalten in ihrem Schlauchboot. Doch dann erblicken die Brüder ein Fährschiff – die finnische „Finnlandia“. Diesen Moment beschreibt Dietmar in der Niederschrift seiner Frau Melitta wie folgt: „Wir rudern, rudern mit frischen Kräften, die nur Hoffnung verleihen kann … werden aufgenommen an Deck, schaulustige Passagiere machen Schnappschüsse und applaudieren.“ An Bord der „Finnlandia“ erreichen die Brüder ihr Ziel: die BRD, genauer gesagt: Travemünde. Dort stellen sich die beiden zunächst der Befragung der Polizei und kommen kurz darauf in einem Hotel in Lübeck unter. Und so beginnt es – das Leben in Freiheit, für das Wolfram und Dietmar diese lange, gefährliche Reise auf sich genommen haben.
Neuanfang nach der DDR-Flucht: Ein Leben in Freiheit und Würde
Wolfram hat später bei der Reederei Hapag-Lloyd in Hamburg angeheuert. Dietmar lebt mittlerweile in Bamberg und hat sich dort als Tierpräparator selbstständig gemacht. Außerdem ist er Glaskünstler und betreibt eine eigene Porzellanklinik. Einige der eindrucksvollen Tierpräparate finden sich heute in Wolfram Brechers Wohnung, der über Umwege 1978 nach Heilbronn gezogen ist.
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Deutsche Einheit
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Durch Beziehungen bekommt Wolfram ein Zimmer im Klinikum Plattenwald in Bad Friedrichshall. Eigentlich sind die Unterkünfte Mitarbeitern vorbehalten. Mitarbeitern wie Ingrid von Arnim, Krankenschwester am Plattenwald, und die heutige Ehefrau Wolfram Brechers. Im „Blauen Salon“ kommen die Mitarbeiter des Krankenhauses zusammen, wo sich Wolfram und Ingrid zum ersten Mal begegnen. Gemeinsam bereisen die beiden später die Welt, erkunden New York, Thailand, Sri Lanka und Ägypten. 1985 treffen sie sich in der Tschechoslowakei mit Wolframs Eltern – für ihn das erste Wiedersehen nach zehn Jahren.
Anfang 2025 ist Ingrid von Arnim-Brecher verstorben. Nun lebt der 72-jährige Wolfram gemeinsam mit seinem Deutsch Drahthaar Ivo, einem ausgebildeten Jagdhund, im Norden Heilbronns und kann nach seiner Flucht aus der DDR auf ein erfülltes Leben zurückblicken, in dem er mit seiner Frau die Welt gesehen und seine Freiheit genossen hat. Zum ersten Mal gekostet hat er diese Freiheit auf dem Oktoberfest: „Die Maß für 3,50 Mark auf dem Oktoberfest, das kannte ich so nicht. Und der freie Umgang der Menschen miteinander war mir neu und hat mir gefallen.“
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