Menschen wegen Energiekosten in Not – "Für Heilbronn kein gutes Aushängeschild"
Die Energiekosten sind hoch. Immer mehr Menschen geraten in Heilbronn deswegen in Not. Wenn Familien in der Region Strom und Gas abgestellt werden, droht jedoch eine Kindswohlgefährdung.
Die Zahl der Menschen, die ihre Energierechnung nicht zahlen können und sich deshalb an die Hilfsaktion der Heilbronner StimmeMenschen in Not (MiN) wenden, hat massiv zugenommen. Das sagt Tanja Ochs, stellvertretende Chefredakteurin und MiN-Vereinsvorsitzende. Die Nachfrage nach Zahlungen aus der Sonderaktion Energiekostenhilfe sei seit deren Entstehen 2022 stetig gestiegen. "Wir werden sie bei Bedarf im Oktober wiederbeleben." Bei 23 Menschen stand die Sperre zuletzt kurz bevor, bei zwei wurde sie umgesetzt.
Abstellungen im höheren dreistelligen Bereich in einem Jahr verzeichnet Frank Beez, Leiter des HNVG-Kundencenters am Energiestandort Heilbronn, für alle Sparten und alle Energieversorger im Netzgebiet. Das erstreckt sich von Gaildorf bis in den südlichen Heilbronner Raum. Er plädiert dafür, sich frühzeitig bei Sozialverbänden um Beratung zu kümmern, seine Situation zu schildern, etwa ob Kinder oder Pflegebedürftige im Haushalt seien. Habe die HNVG Kenntnis davon, gebe es Aufschub.
Immer teurere Energiepreise in Heilbronn: Meist springt das Jobcenter ein
Manchmal könne Geld aus einem kirchlichen Fonds helfen, aber meist springt finanziell das Jobcenter ein, weiß Katrin Baumgärtner von der Energiesprechstunde der Diakonie. "Aber man muss die Kompetenz und die Geduld haben, sein Anliegen an den Mann zu bringen", sagt sie. "Die Leute, die zu uns kommen, tun sich schwer, beim Jobcenter ihr Anliegen und die Dringlichkeit gut zu beschreiben." Auf eine gewisse Pflicht zur Mitwirkung pocht Bad Friedrichshalls Bürgermeister Timo Frey. "Es kann nicht der Sinn sein, dass die Solidargemeinschaft alles bezahlt."
Denn den Strom abzustellen, sei auch ein mögliches Druckmittel, sagt Frey. "Es gibt natürlich Menschen, die unverschuldet in finanzielle Not geraten, aber auch eine andere Gruppe, eine Art Mietnomaden. Eine gewisse Abschreckung ist nötig, sonst funktioniert das Gesamtsystem nicht mehr."
Langsame Hilfe bei teuren Energiepreisen: Kein gutes Aushängeschild für eine Stadt wie Heilbronn
Ein weiteres Problem sei, so Tobias Schumacher, Fachbereichsleiter Bildung und Gemeinschaft der Arbeiterwohlfahrt: "dass die Mühlen der Bürokratie so langsam mahlen" und Menschen, obwohl sie berechtigt sind, so lang auf ihr Darlehen vom Jobcenter warten müssen, dass die MiN-Spendenaktion einspringt. "Ich telefoniere sehr häufig mit Energieversorgern, um Fälle zu regulieren." Teils ließen sie sich nicht darauf ein. "Das ist für eine Stadt wie Heilbronn kein gutes Aushängeschild."
Auch bei der Schuldnerberatung dauert es bis zu acht Wochen bis zu einem Termin. "Manchmal ist es schwierig, aber grundsätzlich ist eine große Kooperationsbereitschaft bei den Versorgern da", erlebt hingegen Baumgärtner. Auch auf eine Beratung bei der Diakonie warten Betroffene rund vier Wochen.
Kosten fürs An- und Abstellen der Energie sind hoch – Bürgergeld reicht oft nicht
Sind die Absteller erst einmal unterwegs, ist nicht mehr viel zu machen. Dann kommen zu den Energieschulden auch noch hohe Kosten fürs An- und Abstellen dazu. Beim Wasser etwa sind das bei den Stadtwerken Heilbronn 63,46 Euro für den Versorgungsstopp, fürs Wiederanstellen werden 184 Euro fällig. Auch Gas ab- und anzustellen koste Hunderte Euro, sagt Katrin Baumgärtner.
Dass Menschen die Kosten für Strom und Gas nicht zahlen können, komme "sehr häufig" vor. Bei Bürgergeldbeziehern ist der Strom im Regelsatz mit enthalten. "Oft reicht das nicht aus. Wenn es zum Äußersten kommt, und der Strom abgestellt wird, ist die Not extrem groß." Auch, wenn im Winter das Gas fehlt, es kalt ist und eine Kindeswohlgefährdung droht. Ein Thema, das sie auch aus der Schwangerenberatung kennt, "verbunden mit der Befürchtung, dass dann das Baby nicht umsorgt werden kann".
Familien in Heilbronn den Strom abstellen: SPD-Fraktion sieht Kindeswohlgefährdung
Ein Unding, findet die Heilbronner Stadträtin Marianne Kugler-Wendt (SPD). "Wenn Familien mit Kindern der Strom abgestellt wird, und sie kein Essen kochen können, wenn ohne Gas Räume ungeheizt zu bleiben drohen, oder das Wasser abgestellt ist und Kinder nicht duschen können, dann sehen wir eine Kindeswohlgefährdung und sind der Meinung, dass die Stadt handeln muss."
Dann dürften die Absteller nicht aktiv werden. Das Angebot, einen Wasserwagen vor die Tür zu stellen, sei keine adäquate Lösung. Eine Reaktion der Stadt gab es hierzu auf Anfrage bis Redaktionsschluss nicht. Vier betroffene Familien hat Kugler-Wendt in den vergangenen Monaten betreut, denen Wasser oder Strom gesperrt wurde.
HNVG gibt Hinweise zu Zahlungshilfen bei Energiekosten
Frank Beez weist darauf hin, dass es auf der Homepage der HNVG Hinweise zur Zahlungshilfe, zu Abwendungsvereinbarungen oder Ratenzahlungen gibt und bittet säumige Zahler, rechtzeitig Kontakt aufzunehmen mit dem Kundencenter in der Weipertstraße 41, um Lösungen zu suchen. Bis Strom und Gas abgestellt werden, vergehen rund zwei Monate, beim Wasser sind die Fristen kürzer. Wasser obliegt meist dem Vermieter, Sperrungen seien hier selten. Gas- und Strom zahlt meist der Mieter direkt. Wenn "Gefahr für Leib und Leben" besteht, bei Älteren, Pflegebedürftigen oder Familien mit Kindern, dürfe keine Energieunterbrechung erfolgen, aber die HNVG brauche Kenntnis von der Situation.