Sterbende lebendig in Erinnerung behalten: Interviews für die Angehörigen
Sterbebegleiterin Gabriele Häußler aus Heilbronn interviewt Menschen am Sterbebett. Daraus entstehen einzigartige Erinnerungsschriften, die abgedruckt an die Angehörigen gehen – ein unbezahlbares Andenken.
Was bleibt am Ende des Lebens von einem Menschen übrig? Was hat ihn am meisten bewegt, was möchte er seinen Angehörigen mitgeben? Fragen wie diese stellt sich Gabriele Häußler, ehrenamtliche Trauer- und Sterbebegleiterin vom Ambulanten Hospizdienst aus Heilbronn. Seit einer Weile beschäftigt sie sich mit dem Ansatz der sogenannten „Würdezentrierten Therapie“, hat darüber zuletzt eine mehrtägige Schulung in Wien besucht. Begründet wurde die Therapieform vom kanadischen Psychiater Harvey Max Chochinov und ist in Deutschland noch relativ unbekannt. Doch was hat es damit auf sich?
Konkret geht es bei der Würdezentrierten Therapie darum, schwer kranken Menschen ab 18 Jahren die Möglichkeit zu geben, vor ihrem Tod noch einmal ihr Leben zu reflektieren. Dafür kommen geschulte Sterbebegleiter wie Häußler zu den kranken Menschen nach Hause, ins Krankenhaus oder Pflegeheim und sprechen rund eine Stunde mit ihnen. Der Fokus liege jedoch nicht auf Schmerz, Krankheit und Trauer, sondern vor allem auf positiven Lebensmomenten, an die sich die Sterbenden erinnern. Danach wird das Gesagte von den Sterbebegleitern transkribiert und editiert.
Trauer- und Sterbebegleiterin aus Heilbronn: Fragenkatalog widmet sich verschiedenen Lebensbereichen
Das Ergebnis: eine fein säuberlich zusammengeschriebene Sammlung von Erinnerungen. „Für die Hinterbliebenen ist dieses Dokument sehr wertvoll.“ Darin können sie prägende Erfahrungen, Geschichten und letzte Botschaften des Sterbenden nachlesen und für immer bewahren.
„Die erste Frage ist meistens: Erzählen Sie mir ein wenig aus Ihrer Lebensgeschichte – insbesondere über die Zeiten, die Sie am besten in Erinnerung haben oder die für Sie am wichtigsten sind. Wann haben Sie sich besonders lebendig gefühlt oder gibt es etwas Besonderes, das Sie Ihrer Familie über sich mitteilen wollen?“ Der Begründer der Therapieform, Harvey Max Chochinov, gehe davon aus, dass es den sterbenden Menschen gut tue, wenn sie noch einmal etwas sagen, worauf sie besonders stolz seien oder was sie Besonderes geleistet hätten. „Man hat herausgefunden, dass es die Menschen im Sterbeprozess stärkt“, sagt Häußler.

Trauer- und Sterbebegleiterin aus Heilbronn: Vorlesen des fertigen Interviews „sehr bewegend“ für die Menschen
Weitere Fragen seien etwa: „Gibt es etwas, von dem Sie merken, dass es gegenüber Ihren Lieben noch ausgesprochen werden will oder etwas, das Sie gerne noch einmal sagen möchten? Was sind Ihre Hoffnungen und Wünsche für die Menschen, die Ihnen am Herzen liegen?“
„Wenn ich das Interview editiert habe, gehe ich wieder zu dem Menschen, den ich interviewt habe, und lese es vor. Das ist in der Regel sehr bewegend für denjenigen. Es ist ja wie eine Art Lebensspiegel, den er vorgehalten bekommt.“ Später wird alles mit passenden Überschriften versehen und zu einem kleinen Büchlein gebunden. „Im Grunde genommen ist es sowas wie ein Fotoalbum, nur sind es keine Bilder, sondern Schriftstücke. Es ist eine Erzählung aus dem Leben, von wichtigen, bedeutenden und prägenden Inhalten des Lebens.“
Interviews in Heilbronn: Menschen mit Demenz, Psychosen oder Depressionen ausgeschlossen
Erst kürzlich hat Häußler eine 92-jährige Dame besucht, die sich ein solches Interview gewünscht hat, um ihre Erinnerungen für ihre vier Kinder festzuhalten. Natürlich gebe es Ausschlusskriterien. „Die Interviewten sollten nicht schwer dement sein, keine Psychose und auch keine schwere Depression haben.“ Kognitiv dürfe derjenige nicht schwer eingeschränkt sein.

Aus Datenschutzgründen transkribiert Gabriele Häußler das Interview bislang noch komplett händisch – ohne Unterstützung einer Transkriptions-Software. Je nachdem, wie lange das Interview gedauert habe, benötige das Transkribieren bis zu zehn Stunden. Sprich: Es ist viel Arbeit. Aber Häußler macht den Sterbenden und ihren Angehörigen dieses Geschenk gerne. Nun möchte sie die Methode auch hierzulande noch bekannter machen.
Heilbronner Sterbebegleiterin empfiehlt Schulung dieser Methode
Um sich richtig auf den Prozess einlassen zu können, alles richtig aufzunehmen und zu transkribieren, empfiehlt Gabriele Häußler allen, die sich für diese Tätigkeit interessieren, eine Schulung in dieser Methode. Darüber hinaus sei auch eine Schulung in der Sterbebegleitung hilfreich und bilde eine gute Basis. Eingesetzt werden könne die Methode in vielen Bereichen, beispielsweise von Palliativärzten, palliativ tätigen Pflegekräften oder eben Sterbebegleitern. Gerne würde Häußler ihr Wissen rund um die Würdezentrierte Therapie jetzt ins Team des Ambulanten Hospizdienstes Heilbronn tragen. So könnten noch mehr Ehrenamtliche in Zukunft solche Interviews führen - und damit den Angehörigen ein unvergessliches Andenken an die geliebte Person machen.