Zwei Stunden unterwegs mit der Heilbronner Bahnhofsmission: Wie ist die Arbeit mit Hilfesuchenden?
Unsere Autorin hat die Mitarbeiter der Heilbronner Bahnhofsmission für ein paar Stunden bei ihrer Arbeit begleitet. Am Ende trifft sie Menschen mit eindrücklichen Geschichten, ist voller Bewunderung für die ehrenamtlichen Helfer und fühlt sich wie ein Teil eines Teams, das viel Gutes bewirkt.

Auf Gleis eins des Heilbronner Bahnhofs, direkt bei einem grün angestrichenen Bücherschrank, der aussieht wie eine Telefonzelle, befindet sich die Bahnhofsmission Heilbronn. Für viele ist es nicht leicht, sich vorzustellen, was dort Tag für Tag passiert, welche Menschen dort vorbeischauen. Von Unterstützung beim Umsteigen von Menschen mit Handicap bis hin zu einem heißen Getränk, einer 5-Minuten-Terrine und einem unterstützenden Gespräch mit einem der Mitarbeiter dort bietet die Bahnhofsmission vielseitige Hilfe an.
Die Lebensgeschichten sind so unterschiedlich wie die Menschen
Zur Mittagspause ist der kleine, warme Raum in der Bahnhofsmission voller Menschen, die ganz unterschiedlich aussehen und auch völlig unterschiedliche Lebensgeschichten aufzuweisen haben.
Da ist Markus (Namen Betroffener von der Redaktion geändert), dessen Zehen an einem Fuß komplett abgefroren sind und der nun auf orthopädische Schuhe angewiesen ist, um überhaupt noch laufen zu können. "Die Zehen sind so schwarz wie Ihre Jacke", sagt er gleich zu Beginn. Die orthopädischen Schuhe, die er trägt, sind völlig abgelaufen, mit Löchern, auf einer Seite schält sich die Sohle ab. "Ein Paar kostet 500 Euro, und ich bin nicht krankenversichert", erzählt Markus, der aus dem EU-Ausland stammt und in Deutschland keine Sozialleistungen beziehen kann.
Auf der anderen Seite sitzt Paul, mit seiner alten Hündin, die etwas zu viel Gewicht aufweist, "weil sie halt immer Hunger hat", wie Paul sagt. Auch er genießt es, einen Kaffee zu trinken und sich mit den Mitarbeitern der Bahnhofsmission zu unterhalten, vornehmlich über Uhren, für die er ein Faible hat.

Ukrainer auf dem Weg zurück in die Heimat, nach Butscha
Ein Mann kommt vorbei und erklärt in den wenigen Worten, die er auf Deutsch kann, dass er eigentlich nur etwas heißes Wasser bräuchte, um seine Thermoskanne zu füllen. Darin, zeigt er stolz, liegen getrocknete Hagebutten. "Reich an Vitamin C und gut für die Nieren", erklärt er. Es stellt sich heraus, dass der Mann aus der Ukraine stammt, aus Butscha genauer gesagt, und sich just an diesem Tag auf den Weg zurück in die Heimat macht. "Zweieinhalb Tage in Bus und Bahn", hält er fest.
Bernd Mangold-Freyer, einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter und ehemaliger Pflegedienstleiter in Heilbronn, bemerkt, dass der Mann dünne Söckchen trägt, die ihm gerade bis unter den Knöchel reichen. "Brauchen Sie warme Socken für die Reise?", fragt er prompt. Dankbar nimmt der Ukrainer die Socken an, will gleich im Gegenzug etwas Nettes tun und hält der Leiterin der Einrichtung, Cordula Stölzel, einen kleinen Apfel hin. "Brauchen Sie den nicht dringender?", fragt sie. Man müsse einfach immer auch etwas zurückgeben, entgegnet der Mann. "Letztes Mal hat er mir einen Schoko-Nikolaus mitgebracht", sagt Mangold-Freyer und schmunzelt.
Den Bahnhof aus einer anderen Perspektive sehen
Mit einem Tablett voll Kaffee, Keksen und Bechern machen sich Stölzel und der Schülerpraktikant Julian auf den Weg durch den Bahnhof. Im Alltag ist man doch ab und zu in diesem Gebäude, aber so klar wie an diesem Tag sieht die Autorin dessen Besucher selten - hier könnte etwas gebraucht werden, dort ist jemand, der ein bisschen verloren aussieht.

"Brauchen Sie Hilfe?", fragt Julian eine Gruppe, die am Ticketschalter steht und nicht weiterweiß. Ein paar Minuten später machen sie sich auf den Weg zum Gleis, Fahrkarten in der Hand und ein Lächeln im Gesicht. Es können so einfache, kleine Momente sein, aber sie bedeuten eine große Erleichterung für viele Menschen.
Spezielle Hilfe bei Ein-, Um- und Ausstieg
Als der Kaffee leer ist, macht sich Cordula Stölzel noch auf den Weg zu den Bahngleisen. Zuvor schaut sie, an welchem Gleis demnächst ein Zug einfahren wird. "Wenn spezielle Hilfe benötigt wird, melden sich die Menschen oft im Voraus bei uns", erklärt sie. Zum Beispiel habe vor ein paar Tagen eine blinde Frau Unterstützung beim Umstieg angefragt. Aber auch so, sagt die Leiterin der Heilbronner Bahnhofsmission, gehe sie oft zu den Gleisen, um zu sehen, ob Hilfe benötigt wird. Da fällt Stölzel eine Familie mit mehreren Kindern auf, die auf einem gegenüberliegenden Gleis kauert und offensichtlich friert.
Also geht sie auf die Familie zu, die ebenfalls aus der Ukraine stammt. Ihr Zug, den sie zu einem Flüchtlingslager nehmen sollen, fällt aus, sie sind überfordert. Der nächste kommt in etwas mehr als einer Stunde. "Die Kinder haben heute noch gar nichts gegessen", sagt der Vater. Seine Mutter schaut ängstlich, traut sich nicht, ins Warme in die Bahnhofsmission mitzukommen. Also bereitet der ehrenamtliche Helfer Jürgen Bräuninger für die ganze Familie 5-Minuten-Terrinen zu und die Mitarbeiter bringen sie zu den Hilfesuchenden.
Menschen sind voller Dankbarkeit, auch, weil sie hier respektiert werden
Nach einer kurzen Zeit, in der die Familie sich für die Helfer erwärmt und Vertrauen fasst, werden die Kinder auch schon zutraulicher, lächeln und zupfen am Ärmel der Bahnhofsmission-Helfer: "Haben Sie auch Masken? Wir brauchen sie für die Zugfahrt." Ja, auch das ist möglich. Nach einem Blick auf die frierenden Kinder suchen die Ehrenamtlichen zusätzlich passende Winterkleidung aus und überreichen sie. Die Familie ist voller Dankbarkeit.
Nach den rund zwei Stunden, in denen die Autorin die Arbeit der Bahnhofsmission in Heilbronn begleitet, ist sie voller Bewunderung und Enthusiasmus. Besonders, weil die Mitarbeiter es schaffen, jedem mit dem gebührenden Respekt, aber natürlich auch einer professionellen Distanz, zuzuhören und weiterzuhelfen. Aber auch, weil sie sich nach nur zwei Stunden schon wie ein Teil dieses Teams fühlt, das mit dem alltäglichen Schaffen sehr viel Gutes bewirkt.
Ehrenamtliches Engagement
Die Bahnhofsmission Heilbronn bietet Reisehilfe beim Ein-, Aus- und Umsteigen im Heilbronner Bahnhof und unterstützt Menschen in akuten Notlagen und schwierigen Situationen. Bei dem Angebot von "Bahnhofsmission Mobil" reisen Mitarbeiter mit Kindern oder in der Mobilität eingeschränkten Menschen mit und stehen ihnen zur Seite. Die Bahnhofsmission Heilbronn ist auf der Suche nach ehrenamtlichen Mitarbeitern. Um sich zu engagieren, sollte man körperlich und psychisch stabil sein, um Menschen aktiv helfen zu können und eine professionelle Distanz zu wahren.


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