Zukunftsforscher über Stadtentwicklung in Heilbronn: Weniger jammern, mehr Potenzial wachküssen
Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx spricht im Interview darüber, warum Menschen eine Vision brauchen und wie sich Städte wie Heilbronn für die Zukunft rüsten können.

Die Corona-Pandemie hat vieles verändert, auch den Blick auf die Zukunft. Was das mit der Entwicklung von Städten zu tun hat und warum kleine Großstädte wie Heilbronn jetzt die Chance haben, besonders attraktiv zu werden, erklärt Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview.
Herr Horx, warum brauchen wir Zukunftsforschung?
Matthias Horx: Der Mensch ist ein Zukunftswesen. Das eigene Denken dreht sich meist um die Fragen: Was war, wo befinde ich mich, und wo könnte es hingehen? Ohne die Gedanken an die Zukunft können wir gar nicht auskommen. Aber es ist wichtig, dass wir unseren Umgang mit der Zukunft verbessern. Unter anderem deshalb beschäftigen wir uns auch wissenschaftlich damit.
Was ist denn ein guter Umgang mit der Zukunft?
Horx: Man sollte sich nicht auf ein starres Bild fixieren. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Sie besteht aus vielen Handlungen, die in eine Richtung führen. Menschen brauchen eine Vision von dieser Richtung. Sie gibt Orientierung und hilft, Entscheidungen danach auszurichten. Übrigens gilt das nicht nur für das persönliche Leben, sondern auch für die Stadtentwicklung. Eine Stadt ohne Zukunftsvorstellung kann keine gute Strategie entwickeln.
Hat Corona die Sicht auf die künftige Stadtentwicklung geändert?
Horx: Wir haben die Grenzen von Verdichtung kennengelernt. Die Metropolisierung ist am Ende, große Städte verlieren Einwohner. Der Verlust von Naturerfahrungen in der Pandemie hat ländliche Regionen attraktiv gemacht, und eine starke soziale Gemeinschaft ist wichtiger geworden. Das kann eine Chance für kleine und mittlere Städte sein: Sie balancieren die Vor- und Nachteile vom Landleben und vom Leben in der Großstadt aus, bieten zum Beispiel viele Grünflächen oder neue Formen von gemeinschaftlichem Wohnen an.
Was braucht eine kleine Großstadt wie Heilbronn noch?
Horx: Grundsätzlich brauchen Städte eine Idee und ein Alleinstellungsmerkmal. Das kann eine bestimmte Tradition sein, aber auch eine besondere Innovations- oder Bildungsoffensive. Heidelberg und Tübingen haben das zum Beispiel gut gemeistert. Es gibt aber auch viele kleine und mittlere Städte, die noch unter ihren Möglichkeiten geblieben sind. Meiner Einschätzung nach gehört auch Heilbronn dazu.
Dabei hat Heilbronn schon eine Bildungsoffensive gestartet.
Horx: Es gibt viele Städte, die mit guten Bildungsangeboten punkten können. Das allein reicht nicht. Was aber hilft, ist eine aktive Bürgergemeinschaft, die sagt: Wir wollen diese Stadt neu erfinden.
Liegt es nicht auch an regionalen Unternehmen und der Wirtschaftskraft, wie sich eine Stadt entwickelt?
Horx: Für die Zukunftsgestaltung braucht es eine große, vielfältige Gruppe. Diese kann nicht nur aus der Wirtschaft kommen, sondern muss etwa auch von der Kultur getragen werden. Oft gibt es in kleinen bis mittleren Städten große regionale Player, die viel Geld investieren. Das ist ja auch in Heilbronn der Fall. Und es bringt Potenzial mit sich. Aber letzten Endes braucht es Bürger, die das Potenzial wachküssen.
Geht es bei Ihrer Forschung nur darum, was eintreten könnte oder auch darum, was wir anstreben sollten?
Horx: In der Zukunftsforschung gibt es die drei Ps: possible, probable und preferrable. Also das Mögliche, das Wahrscheinliche und das Wünschenswerte. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas in der Zukunft eintritt, steigt, je mehr Menschen es als erreichbar und erstrebenswert beurteilen. Sie können dann aktiv in diese Zukunft steuern. In Städten können Politiker deshalb auch nicht einfach so vorgeben, wo es hingehen soll. Wenn die Bürger nicht mitziehen, wird die Veränderung kaum möglich sein.
Veränderungen, zum Beispiel Richtung Nachhaltigkeit und Mobilitätswende, sind in Städten wie Heilbronn nicht immer beliebt. Das können Politiker also nicht "durchdrücken"?
Horx: Man kann Überzeugungsarbeit leisten. Außerdem muss sich jeder fragen: Was will die Zukunft eigentlich von uns? Wir befinden uns in einer allumfassenden Krise: Corona, Krieg, Populismus, Hass im Netz. Und über allem steht die Klimakrise. Wir müssen uns klar machen, dass das alles nicht zufällig passiert. Es sind Zeichen, dass es Wandlungsbedarf gibt.
Muss denn immer eine Krise kommen, damit sich etwas ändert?
Horx: Es spricht viel dafür, dass wir Krisen brauchen. Denn der Mensch ist wandlungsfähig, aber nicht ohne spürbaren Grund. Wir neigen dazu, in bleierne Routinen zu verfallen. Und Menschen jammern viel, statt Lösungen zu suchen. Es hilft, konstruktiv zu denken und einfach anzufangen. Wer weniger jammert, sieht auch eher, was schon passiert und, dass wir auf gar keinem so schlechten Weg sind.
Stadtentwicklungs-Kongress
In der Aula auf dem Heilbronner Bildungscampus findet am Dienstag und Mittwoch, 26. und 27. April, der Stadtentwicklungs-Kongress Frequencity statt. Dort hält Matthias Horx am Dienstag um 10 Uhr einen Vortrag über den Strukturwandel nach Corona. Er kann vor Ort oder online mitverfolgt werden.
Zur Person
Als Trend- und Zukunftsforscher beschäftigt sich Matthias Horx (Foto: Klaus Vyhnalek) mit einer Mischung aus System-, Sozial-, Kognitions- und Evolutionswissenschaften. 1998 gründete er das Zukunftsinstitut, ein Think Tank mit Sitz in Frankfurt und Wien. Zuvor war er als Journalist und Publizist tätig. Horx lebt in Wien. Am morgigen Dienstag wird er in Heilbronn einen Vortrag zum Thema "Stadt, Land, Region - Eine Zukunftsreise" halten.