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Wer steckt hinter der Heilbronner Drag Queen Luna?

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Drei Stunden benötigt Lucas Kimmelmann, um sich in Luna Lube zu verwandeln. Schrill, bunt und sehr weiblich gekleidet tritt der 23-Jährige dann unter anderem in der Heilbronner Gartenlaube auf. Doch auch Lunas Welt glitzert nicht immer - Kimmelmann übt Kritik an der Stadt.

von Milva-Katharina Klöppel

Routiniert lässt Luna Lube ihren Schminkpinsel in dem lilafarbenen Lidschatten kreisen, bevor sie eine ordentliche Menge davon auf ihr rechtes Augenlid streicht. 32 Farben stehen zur Auswahl. Normalerweise lässt die Drag Queen ihre rund 3000 Abonnenten in dem virtuellen Netzwerk Instagram über den Anstrich abstimmen. Heute darf ich entscheiden. Seit 90 Minuten sitze ich in einem kleinen WG-Zimmer in der Heilbronner Südstadt und verfolge, wie aus Lucas Kimmelmann die Drag Queen Luna Lube wird.

 


"Drei Stunden dauert es mindestens, bis ich mich in Luna verwandelt habe", sagt der 23-Jährige. Anders als ein Travestie-Künstler, der mehrere Frauenrollen darstellt, diese imitiert und parodiert, hat eine Drag Queen eine feste Rolle, in die sie immer wieder schlüpft. Seit zwei Jahren gibt es im Leben von Lucas Kimmelmann nun Luna Lube. Schrill, bunt und sehr weiblich gekleidet - und während Kimmelmann sich mehrere Schichten Klebstoff über seine Augenbrauen schmiert, um diese später besser überschminken zu können, frage ich mich immer mehr nach dem Warum.

Vollständige Verwandlung

"Ich habe mich bereits als Kind gerne geschminkt", erinnert sich Kimmelmann, klassisch zum Karneval als Pirat oder aber gruselig an Halloween. Die Frauenkleider probiert er zum ersten Mal vor vier Jahren beim Fasching aus - "Omas alter Rock, eine Perücke - so wie viele Männer es machen. Alle fanden es lustig." Das änderte sich ein Jahr später, als der Einzelhandelskaufmann mit kunstvollem Make-up, hochhackigen Schuhen und einem aufwendigen, glitzerndem Kostüm professioneller wurde.


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"Ich bin stolz darauf, anders zu sein"


Die kritischen Blicke nahmen zu und es wurde getuschelt. "Ich habe gemerkt, dass diese Form der Verkleidung in der Gesellschaft nicht so gut ankommt", sagt Kimmelmann. "Gleichzeitig gab es mir so einen Push, dass ich dachte, das muss ich unbedingt wieder fühlen." Auch wenn sich eine Drag Queen als Frau verkleidet, ist das nur eine Rolle. Der Mann hinter der Verkleidung identifiziert sich weiterhin als Mann.

Wie reagiert die Familie?

"Ich bin die Tochter von Lillet Lube aus Würzburg, die ich dort auf einem Christopher Street Day (CSD) kennenlernte", erklärt Kimmelmann, der an seinem Schminktisch nun immer mehr in die Figur der Luna Lube wechselt. Viele junge Drag Queens suchen sich Vorbilder, die sie idealerweise unter ihre Fittiche nehmen und "ausbilden" - also schulen in Make-up und Auftreten. Oft gibt es ganze Familien.

Apropos Familie. Jetzt will ich aber wissen, wie die Verwandschaft auf Lucas neue Leidenschaft reagierte. "Positiv", sagt Kimmelmann. So sei es auch bei seinem Coming-out 2015 gewesen. "Meinem Vater beispielsweise war es damals eh schon klar. Der fand es unwichtig, weiter darüber zu sprechen." Als gelernte Schneiderin würde ihm seine Großmutter die glitzernden Kleider, die er meistens im Internet bestellt, abändern.


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Lilo Wanders und Co. als Vorbilder

Drag Queens sind aus Show und Film seit vielen Jahren bekannt, zu den berühmtesten gehören Lilo Wanders, Divine oder die Dame Edna. Woher der Name Drag Queen stammt, will ich von Lucas Kimmelmann wissen. Der Begriff "drag" hätte sich in der deutschen Homo-Szene vor etwa anderthalb Jahrzehnten eingebürgert und stammt aus der anglo-amerikanischen queeren Szene. Wie der Begriff in diesen Zusammenhang kam, liegt aber im Dunkel der Geschichte.

Verschiedene Hypothesen kursieren: Drag könnte die Abkürzung für "Dressed Resembling A Girl" ("angezogen nach Art eines Mädchens") sein. "Und bis ins 17. Jahrhundert wurden meist nur Männer als Darsteller geduldet, so dass beispielsweise Shakespeare für Frauenrollen ausschließlich Männer oder Jungen in Frauenkleidern einsetzte", sagt Kimmelmann.

Queere Szene vermisst Rückzugsorte

Das Make-up ist fertig. Luna Lube streift nun ihre Siliconbrüste sowie eine wilde blonde Mähne über - der Künstlername setzt sich übrigens aus dem Namen von Kimmelmanns verstorbenem Hund Luna sowie dem englischen Wort für Gleitgel zusammen. So sehr Lucas Kimmelmann es auch genießt, als Luna Lube aufzufallen, zu provozieren, so sehr sehnt der 23-Jährige sich auch nach einem Rückzugsort für die Heilbronner LGBTQ-Szene. Die Abkürzung ist aus dem Englischen übernommen und steht für "Lesbian Gay Bisexual Transgender Queer". Die deutsche Übersetzung dieser Sammelbezeichnung ist "LSBTQ", also "Lesbisch Schwul Bisexuell Transgender Queer".

Damit können sich Personen identifizieren, die nicht den eingeschlechtlichen und heterosexuellen Normen folgen. "Wir brauchen einen Safespace, einen Ort, an dem wir uns ungestört und sicher fühlen können", lautet der deutliche Appell von Kimmelmann an die Verantwortlichen in der Stadt. Solche Rückzugsorte gäbe es nur in Stuttgart, Heidelberg oder Mannheim. "Tatsächlich gehe ich in Heilbronn mehr außerhalb der Szene weg, da dort nicht mit einer Drag Queen gerechnet wird", sagt Kimmelmann, die damit verbundene verstärkte Aufmerksamkeit würde er sehr genießen.

Es gibt auch negative Reaktionen

Heute Abend geht es nach Böckingen in die "Gartenlaube". Hier hatte der sportliche junge Mann, der in seiner Heimat in der Nähe von Tauberbischofsheim als Cheerleader aktiv war, auch bereits einige offizielle Auftritte. Kaum haben wir das Haus verlassen, kommen die ersten Reaktionen. "Hey Süße", rufen zwei Jugendliche aus dem Nachbarhaus auf die Straße runter.

Schlagfertig antwortet Luna Lube: "Kommt doch runter und macht Fotos mit mir." Die Jungs trauen sich tatsächlich. Doch so friedlich laufen nicht alle Begegnungen ab, erklärt mir die Drag Queen. "Normalerweise ziehe ich einen Kapuzenpullover über und nutze einen der E-Roller, um schneller von A nach B zu kommen", so Kimmelmann.

Selbstbewusstsein als Schutzschild

Einsame Nebenstraße meidet er im Drag-Queen-Outfit grundsätzlich. "Zum Glück wurde ich bislang nur verbal beleidigt und bedroht", erklärt mir Kimmelmann, als wir die Straßenseite wechseln, um einer Gruppe Männer auszuweichen, die sich bereits provokativ auf dem Gehweg breit macht und Schimpfwörter wie "Schwuchtel" in unsere Richtung ruft. "Ich zögere heute nicht mehr, Szenen mit meinem Handy zu filmen und die Polizei zu rufen." Durch die Verwandlung in Luna Lube sei sein Selbstbewusstsein aber so gewachsen, dass es wie ein Schutzschild wirkt. Und dennoch gelte: "Ich bin froh, am Ende des Tages die Perücke abzunehmen, mich abzuschminken und als Mann schlafen zu gehen."

 
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