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"Ich bin stolz darauf, anders zu sein"

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Stefan Himmelreich ist schwul und trägt gerne bunt. Damit eckt er oft an. In Heilbronn wünscht er sich Treffpunkte für homosexuelle Menschen. In dieser Hinsicht sei die Stadt ein "schwarzes Loch".

Stefan Himmelreich fällt auf, wenn er in Heilbronn unterwegs ist. Er wünscht sich, dass die Stadt offener für Homosexuelle wird.
Foto: Ralf Seidel
Stefan Himmelreich fällt auf, wenn er in Heilbronn unterwegs ist. Er wünscht sich, dass die Stadt offener für Homosexuelle wird. Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Stefan Himmelreich fällt auf. Er trägt ausgefallene Kleider und geht auffällig feminin. Das Spiel mit den Geschlechterrollen reizt den 24-Jährigen. Obwohl er dadurch oft beleidigt wird. Er möchte anderen Menschen Mut machen. In Heilbronn wünscht er sich mehr Anlaufstellen.

Wie würden Sie Ihren Stil bezeichnen?

Stefan Himmelreich: Ausgefallen, ausgeflippt und bunt.


Was steckt dahinter?

Himmelreich: Ich möchte mit meinem Kleidungsstil zeigen, dass ich stolz darauf bin, anders zu sein. Und ich möchte damit auch zeigen, dass ein Mann nicht dieses oder jenes anziehen muss. Ich zieh' das an, was mir gefällt.


Haben Sie Negatives erlebt?

Himmelreich: Hier in Heilbronn erlebe ich das tagtäglich. Man bezeichnet mich als Schwuchtel, es wird auch gefragt, wie viel ich kosten würde, als wäre ich eine Prostituierte. Klar, ich höre das, aber ich ignoriere es. Wenn ich die Leute ignoriere, blamieren sie sich. Es kam allerdings auch schon mal zu einer Körperverletzung, weil ich anders bin.


Haben Sie das angezeigt?

Himmelreich: Ja. Man hat den Täter gefasst. Aus seinem Verständnis heraus ist es eine Sünde, homosexuell zu sein.


Sie brauchen ein gutes Selbstbewusstsein.

Himmelreich: Ich habe es mir antrainiert. Ich wusste mit zehn Jahren, dass ich homosexuell bin und hatte damals schon meinen ersten Freund. Der war drei Jahre älter.


Da waren Sie ein Kind.

Himmelreich: Ich habe meine Homosexualität drei Jahre lang versteckt. Ich wusste nicht, wie ich anfangen soll. Mein Comingout war mit 13 Jahren bei meiner Mutter und meinen Stiefvater.


Wie war die Reaktion?

Himmelreich: Meine Mutter hat mich zum Arzt gebracht, weil sie dachte, es sei eine Krankheit.


Wie ging es mit Ihrem Freund weiter?

Himmelreich: Seine Mutter hat es nicht wahrhaben wollen, dass ihr Sohn schwul ist. Mit 17 Jahren hat er sich betrunken und vor meinen Augen vor einen Zug geworfen.


Wie sind Sie damit umgegangen?

Himmelreich: Ich habe mir oft die Schuld gegeben. Seine Mutter übrigens auch. Ich frage mich oft, ob ich es hätte merken können, dass er mit seiner Sexualität nicht klarkommt. Ich kam sehr ins Schwanken und hatte psychische Probleme, weil ich alles in mich hineingefressen habe.


Wie haben Sie den Tod Ihres Freundes verarbeitet?

Himmelreich: Ich habe ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Mit 15 Jahren bin ich nach Heilbronn gekommen. Hier habe ich gelernt, mich selbst zu akzeptieren, und ich habe durch Freunde eine kleine Ersatz-Familie gefunden.


Wie hat Heilbronn auf Sie reagiert?

Himmelreich: Damals war ich noch nicht so bunt. Ich habe mich nach der Norm gekleidet und versucht, männlich rüberzukommen. Ein Jahr später habe ich mir gesagt, ich bin wie ich bin, und ich hatte mein zweites Comingout. Seitdem ich mich akzeptiere, habe ich meinen Kleidungsstil und meinen Gang verändert. Ich bin geworden, was ich immer sein wollte.


Wie empfinden Sie die Situation in Heilbronn für homosexuelle Menschen?

Himmelreich: Wir haben in Heilbronn keine Clubs oder Bars mehr für die Rainbow-Leute. Für uns ist die Stadt ein schwarzes Loch. Die meisten ziehen weg in Großstädte.


Was hält Sie hier?

Himmelreich: Meine Freunde sind hier. Ich kann etwas bewirken. Dadurch, dass ich so bin wie ich bin, vertrauen sich mir andere junge Menschen an und erzählen mir, dass sie homosexuell sind.


Was wünschen Sie sich?

Himmelreich: Wir brauchen mehr Orte, an denen wir uns treffen können, wo man sich nicht schämt, wie man ist. Wir brauchen auch mehr Anlaufstellen für Beratungen. Wir bräuchten jemanden, der Heilbronn wieder bunt macht.


Ist Heilbronn so verschlossen?

Himmelreich: Es gibt hier Menschen, die bunt sind, die homosexuell sind. Sie sind Beleidigungen ausgesetzt, werden verfolgt oder haben zu Hause schlechte Erfahrung nach ihrem Comingout erlebt.


Wenn Sie in Heilbronn unterwegs sind, fallen Sie auf. Ihr Gang wirkt überaus feminin.

Himmelreich: Ich hatte anfangs einen eher männlichen Laufstil. Inzwischen habe ich die Art, wie ich rede, wie ich gestikuliere und artikuliere, angepasst. Ich habe zu mir gefunden.


Sind Sie ein fröhlicher Mensch?

Himmelreich: Ich lache sehr viel, möchte dadurch aber nicht unbedingt Aufmerksamkeit auf mich lenken. Ich kann aber auch ernst sein. Mein Lieblingszitat ist: "Lebe und denke nicht an morgen." Wenn ich mir zu viele Gedanken über morgen oder übermorgen mache oder über das, was gestern war, komme ich nicht weiter.


Was sind denn Ihre beruflichen Ziele?

Himmelreich: Mein Wunschberuf ist Modedesigner. Das war schon immer mein Traum. Ich möchte meine Kreativität ausleben, auch um das zu verarbeiten, was ich damals erlebt habe.


Wer zieht sich besser an, Männer oder Frauen?

Himmelreich: Unterschiedlich.


Was geht denn in der Mode gar nicht?

Himmelreich: Hauteng und eine unvorteilhafte Figur. Das gilt für Männer und Frauen.


Haben Sie einen Lieblingsdesigner?

Himmelreich: Guido Maria Kretschmer. Den möchte ich unbedingt persönlich kennenlernen. Ich habe jeden Tag seine Sendung Shopping Queen gesehen.


Sie mixen bewusst verschiedene Modestile. Tragen Sie auch Frauenkleider?

Himmelreich: Ich liebe es, auf Veranstaltungen Frauenkleider zu tragen. Bei einem Geburtstag einer guten Freundin hatte ich ein Kleid und High Heels an. Ich habe übrigens auch das Kleid, das Belle von "Die Schöne und das Biest" trägt.


Wieso gerade dieses Kleid?

Himmelreich: Ich habe als Kind geträumt, ins Disneyland zu gehen und das Kleid von Belle zu tragen. Das ist auch heute noch mein Traum. Meinetwegen würde ich die ganze Zeit über mit dem Kleid rumlaufen. Das wäre mir egal.


Was machen Sie dann mit Ihrem Bart?

Himmelreich: Der kommt weg.


Haben Sie mal über eine Geschlechtsanpassung nachgedacht?

Himmelreich: Gedanken waren da gewesen. Ich habe sie aber verworfen. Wenn ich mir überlege, was ich durchmache, wenn ich Hormone nehme und vielleicht noch mehr gemobbt werde. So lange ich in Heilbronn lebe, sehe ich das als riskant an.


Driften Sie gerne in eine Fantasiewelt ab?

Himmelreich: Mit zehn Jahren habe ich sehr viele Märchen und Disney-Bücher gelesen. Es ist wie eine Art Traumreise. Manchmal wünsche ich mich in diese Fantasiewelt. Am Liebsten würde ich mich da hinein beamen und für eine Zeit dort leben.


Haben Sie ein Lieblingsmärchen?

Himmelreich: "Die Schöne und das Biest". Ich denke, in diesem Film steckt mehr Wahrheit, als man denkt. Das Biest ist wegen Gier, Geiz und Hass gegen Menschen verzaubert worden. Eines Tages lernt es Bell kennen und lieben. Es beginnt, sich zu verändern. Das kann man in die Realität umschreiben. Irgendwie steckt in jedem von uns ein Biest. Man muss entscheiden, ob man es rauslässt oder lieber so sein möchte, wie das Biest am Ende geworden ist – nämlich rein.

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