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Von der Aktualität des 4. Dezember 1944, der Zerstörung Heilbronns

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Es war in diesem Jahr eine ungewöhnliche Gedenkfeier zum Jahrestag der Zerstörung Heilbronns. Nur wenige Teilnehmer waren auf dem Ehrenfriedhof zugelassen. Dafür war es eine Veranstaltung mit starken tagespolitischen Impulsen.

Wegen Corona fand die traditionelle Gedenkfeier auf dem Ehrenfriedhof im Köpfertal im kleinen Kreis statt. Hauptredner war Prälat Ralf Albrecht (rechts).
Foto: Ralf Seidel
Wegen Corona fand die traditionelle Gedenkfeier auf dem Ehrenfriedhof im Köpfertal im kleinen Kreis statt. Hauptredner war Prälat Ralf Albrecht (rechts). Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Gedenken heißt auch, "gegenüber dem leidvollen Ungeist der Vergangenheit wachsam zu sein, die Augen offen zu halten und: den Mund aufmachen, wenn neue Nationalisten sich als Patrioten ausgeben, wenn sogenannte Querdenker Verschwörungstheorien eine Bühne geben". In diesem ungewöhnlich tagespolitischen Appell gipfelte am Freitag bei einer ungewöhnlichen Gedenkfeier zum Jahrestag der Zerstörung Heilbronns die Rede des Oberbürgermeisters.

Harry Mergel konnte dazu auf dem Ehrenfriedhof im Köpfertal nur 60 statt der sonst oft mehr als 300 Besucher begrüßen. Coronabedingt waren fast nur Vertreter des öffentlichen Lebens und auf Anmeldung Zeitzeugen mit Angehörigen zugelassen, während ein Ensemble des Posaunenchors Heilbronn die 40-minütige Feier umrahmte - bis hin zum traditionellen "Macht hoch die Tür", das die Besucher auf Abstand und stumm vom Blatt ablesen konnten.

Von Wunden und Wundern

Die Pandemie war bei der Feier allgegenwärtig. So meinte der katholische Dekan Roland Rossnagel in seinem Schlussgebet, "in diesen Zeiten der Pandemie bekommen wir eine Ahnung, wie sich die Menschen unserer Stadt fühlten, als sie in den Kriegsjahren Nacht für Nacht Angst um ihr Leben und um ihre Lieben hatten".

Hauptredner war der neue evangelische Prälat Ralf Albrecht. Er sprach über das Phänomen, dass aus Wunden Wunder erwachsen können, auch wenn für beides meist alle Erklärungsversuche scheitern müssten. Vielleicht helfe aber dieser weiter: "Jede Wunde aus jener Nacht ruft uns zu entschiedenem Widerstand gegen alle Form von Hass, Gewalt, Herabwürdigung und Entzweiung auf", so Albrecht. Und sie rufe zur Versöhnung auf, "zum Hände reichen, zum Friedenstiften im Kleinen und Großen". Sie rufe dazu auf, füreinander einzustehen und nicht zuzulassen, dass Polarisierung, Hetze, Rassismus und Antisemitismus Raum gewinnen.


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Wie durch ein Wunder, so sagten viele, überstand der 62 Meter hohe Kiliansturm den Bombenangriff vom 4. Dezember 1944. Die Altstadt wurde total zerstört.
Fotos: Stadtarchiv Heilbronn
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Packender Zeitzeugen-Bericht zum Jahrestag der Zerstörung Heilbronns


Auch in Wundern könne eine Botschaft stecken - wenn man als Gläubiger "im heillosen Durcheinander unserer Welt von der heilsamen Gnade Gottes hören und leben darf": so wie der spätere Oberkirchenrat Hartmut Jetter, der in seinem von Albrecht zitierten Augenzeugenbericht vom Feuersturm des 4. Dezember einen Choral einbaute, der ihn ein Leben lang begleitete: "In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet."

Albrecht selbst glaubt "an das Wunder, dass eine Stadtgesellschaft diesen Tag in diesen besonderen Zeiten begeht, dass sie zusammensteht, erinnert, um gemeinsam aufzustehen gegen jede verblendeter Ideologie". Und er glaube an das Wunder, dass vernarbte Wunden zeigen, dass Menschen "letztlich nichts selbst in der Hand haben", aber trotzdem hinarbeiten auf einen "Vorzeigeort für Menschenwürde und Gemeinwesen, für Wohlstand und Teilhabe aller Armen, für Sinnerfüllung und Nächstenliebe".

Vergebung und Toleranz

In der Tat: Deutschland habe nach dem Zweiten Weltkrieg trotz aller Gräuel eine neue Chance erhalten - und sie genutzt. "Unser Land wurde weltoffener, toleranter und friedfertiger denn je in seiner Geschichte", sagte zuvor der OB. Heute lebten in Heilbronn Menschen aus über 150 Nationen, darunter viele, die vor Krieg und Verfolgung aus ihrer Heimat in die Fremde fliehen mussten. Dieses Zusammenleben, so Mergel, sei "nicht frei von Konflikten. Aber im Miteinander, im Zusammenleben mit Respekt und Verständnis kann es gut funktionieren".

So zeige die deutsche Geschichte, wie wichtig Vergebung und Toleranz sind. Sie verpflichte aber auch in besonderem Maße zu Toleranz und Mitmenschlichkeit: im persönlichen Umfeld, in der Politik, in der Gesellschaft. So appellierte Mergel, "bei aller berechtigten Auseinandersetzung um den richtigen Weg stärker das Verbindende suchen anstatt nur das Trennende." Das Corona-Jahr 2020 habe gezeigt, "dass wir das können: aufeinander aufpassen, achtsam sein, solidarisch sein, zusammenstehen".

 

Erinnerung und Informationen online

Zum 76. Jahrestages des 4. Dezember 1944, an dem nach einem Fliegerangriff auf Heilbronn fünf Monate vor Kriegsende mehr als 6500 Menschen ihr Leben verloren und die Altstadt fast vollständig zerstört wurde, gibt es einige Online-Angebote, vor allem auf www.stimme.de. Da die Gedenkfeier im Köpfertal coronabedingt diesmal nicht öffentlich zugänglich war, wird ein von Stimme.de gedrehtes Video auf der Webseite www.heilbronn.de und in den sozialen Medien der Stadt Heilbronn gezeigt. Das Stadtarchiv Heilbronn präsentiert Ausschnitte seiner Sonderausstellung "Feuersturm – aus der Sammlung des Stadtarchivs" unter stadtarchiv.heilbronn.de. Zudem laden evangelische und katholische Christen unter heilbronnerfriedensweg.com zu einem ökumenischen Friedensweg. Man wolle damit "Zeichen für Menschlichkeit und ein friedvolles Miteinander setzen", sagt die katholische Jugendreferentin und Mitorganisatorin Jasmin Piontek.


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