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Prozess am Amtsgericht
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Zwei Heilbronner Polizisten wegen Polizeigewalt angeklagt: "Es war ein wildes Durcheinander"

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Das Amtsgericht Heilbronn verhandelt den Vorwurf der Körperverletzung gegen zwei Polizisten vom Präsidium Heilbronn. Deren Verteidiger treten dem Verdacht entgegen. Das mutmaßliche Opfer sei aggressiv gewesen.

Die Schlägerei soll sich im Bereich des Shoppinghauses an der Allee in Heilbronn zugetragen haben.
Die Schlägerei soll sich im Bereich des Shoppinghauses an der Allee in Heilbronn zugetragen haben.  Foto: Archiv/ Seidel

Die Staatsanwaltschaft wirft zwei Beamten des Heilbronner Präsidiums Polizeigewalt vor. Ihnen wird wegen des Vorwurfs der Körperverletzung vor dem Amtsgericht der Prozess gemacht. Ein 58 Jahre alter Mann hat die Polizisten nach einem Einsatz im März 2022 beim Shoppinghaus in Heilbronn angezeigt.

Bei der Verhandlung am Donnerstag wird deutlich, wie gewalttätig es an Wochenenden rund um das Hochhaus an der Allee mit seinen unterschiedlichen Lokalen zugeht. Zeugen berichten, dass es dort fast jedes Wochenende zu gewalttätigen Streitereien und Drogen-Verstößen komme. Schlägereien in den frühen Morgenstunden scheinen an der Tagesordnung.

Amtsgericht Heilbronn: Zwei Polizisten wegen Polizeigewalt angeklagt – Shoppinghaus Kriminalitätsschwerpunkt

"Das Shoppinghaus ist ein Kriminalitätsschwerpunkt", sagt Rechtsanwalt Tobias Göbel. Er verteidigt einen angeklagten 35-jährigen Streifenpolizisten vom Revier Weinsberg, der wegen einer Schlägerei an jenem Samstag gegen 5 Uhr morgens nach Heilbronn gerufen wird. Göbel stellt das Geschehen aus Sicht seines Mandanten so dar: Am Boden befanden sich mehrere Verletzte. "Die Luft war durch Pfefferspray verpestet." Leute seien schreiend herumgerannt. Ähnlich schildert es Rechtsanwalt Michael Binnig, der den 37-jährigen Mitangeklagten vom Revier Neckarsulm verteidigt. "Die Stimmung war aufgeheizt."

Ein Polizist (28) vom Revier Heilbronn sagt als Zeuge aus. "Es war ein wildes Durcheinander." Er erinnert sich an etwa 20 Menschen, die beteiligt waren oder als Zeugen herumstanden - unter ihnen der Anzeigenerstatter, das mutmaßliche Opfer von Polizeigewalt. Der 58 Jahre alte Mann ist über 1,80 Meter groß, vor zwei Jahren habe er etwa 110 Kilo auf die Waage gebracht. Er habe den Polizisten gesagt, wer - seiner Meinung nach - schuld an der Schlägerei mit den Verletzten sei. Daraufhin habe der 37-jährige Polizist gesagt, "ich soll mein Maul halten". Das habe er unverschämt gefunden. Überhaupt: Kein Polizist habe wissen wollen, was passiert sei. "Ich war nicht zufrieden mit der Polizeiarbeit." Deshalb habe er dem Polizisten weder seinen Namen sagen noch ihm den Ausweis zeigen wollen.


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Der Polizist sagt, er habe ihn mehrmals aufgefordert, sich auszuweisen und ihm die Konsequenzen angedroht, wenn er sich weigert. Im weiteren Verlauf ringen die Angeklagten den Mann nieder, wie auf Videoaufzeichnungen zu sehen ist. Der liegt auf dem Bauch auf dem Boden. In der Hand hält er die Geldbörse mit dem Ausweis und er presst die verschränkten Arme eng an die Brust. Ein dritter Polizist kommt hinzu. Nach einigen Minuten gelingt es ihnen, die Arme des Mannes unter dem Bauch hervorzuziehen und ihm hinter dem Rücken Handschellen anzulegen.

"Drei Polizisten zogen und zerrten an ihm", sagt die Staatsanwaltschaft. Der 58-Jährige habe Schmerzen, mehrere Prellungen und Schürfwunden erlitten. Das rabiate Vorgehen bewertet die Staatsanwaltschaft als unrechtmäßig.

Der Mann sei nicht als Zeuge, sondern als Störer in Erscheinung getreten, argumentieren die Verteidiger. Er sei aggressiv gewesen und habe vorher zwei Platzverweise erhalten, weil er die Arbeit der Polizei massiv behindert habe. Der Mann sei in der unübersichtlichen Lage besonders aufdringlich gewesen. "Er war als gefährdend einzuschätzen", sagt Göbel. "Der Zugriff war rechtmäßig und verhältnismäßig in der konkreten Situation." Die Personalien aufzunehmen, sei wichtig gewesen. Der Mann sei als möglicher Täter und als Zeuge in Betracht gekommen.

Heilbronner Polizisten berichten: Alltägliche Situationen laufen zunehmend aus dem Ruder

Die Videoaufzeichnungen zeigen den wild gestikulierenden Mann und Polizisten, die ihn auffordern, sich vom Tatort zu entfernen. In einer Szene schiebt sich die Frau vor ihren Mann und drängt ihn zurück. "Ich habe meinem Mann gesagt, bleib ruhig", sagt sie aus.

In der Verhandlung wird deutlich, dass sich Besucher von Bars im Shoppinghaus lautstark in die Arbeit der Polizisten einmischen. Für die Polizisten ist das nichts Ungewöhnliches. "Es wird immer mehr, und es kommt immer häufiger vor, dass wir zu Standardsituationen gerufen werden, wo man helfen will und dann attackiert wird", sagt der 37-Jährige. Der zweite berichtet von Verletzungen wie Sehnenriss und einer Knieprellung, die er in den vergangenen Monaten im Dienst erlitten habe.

Welche Einsätze die Polizei rund ums Shoppinghaus registriert

Seit Jahresbeginn zählt das Polizeipräsidium 107 Einsätze rund ums Shoppinghaus in Heilbronn. Dazu gehört der eine oder andere Verkehrsunfall direkt davor. Bei etwa 50 Einsätzen handelt es sich nach Angaben einer Polizeisprecherin um Straftaten. Die Taten reichen von Bedrohungen über Körperverletzungen bis zu Drogen-Delikten. "Wenn da was ist, ist immer Chaos", sagt ein Polizist im Prozess aus.

Details zur Kriminalitätsstatistik von Heilbronn lesen Sie hier.

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