Erdogan-Lobbyist aus Heilbronn packt Kartons für Gaza
Der Terror der Hamas wird in den sozialen Medien kaum verurteilt. Der Heilbronner Influencer Tugrul Selmanoglu fällt auf Facebook durch stark rechtsnationalistische Beiträge auf. Auch bei einer pro-palästinensischen Kundgebung hielt er eine nationalistische Rede.

Unter vielen Muslimen in der Region Heilbronn ist seit Beginn des Nahost-Kriegs die Stimmung deutlich pro-palästinensisch. Der Terror der Hamas wird in sozialen Medien kaum verurteilt − im Gegenteil erfahren anti-israelische Veröffentlichungen regelmäßig Zustimmung. Das zeigt sich am Beispiel von Tugrul Selmanoglu aus Heilbronn, der sich im Gespräch mit unserer Redaktion zurückhaltender äußert, als viele seine Veröffentlichungen auf Facebook vermuten lassen würden.
Selmanoglu ist 44 Jahre alt, in Heilbronn geboren, aufgewachsen und wohnhaft, hält sich eigenen Angaben zufolge aktuell in Amman auf, Jordaniens Hauptstadt. Dort packe er Hilfspakete, die nach Gaza gebracht werden sollen. Wer genau steht hinter dieser Aktion? "Wir", sagt Selmanoglu, "meine Follower und ich." Selmanoglu ist türkischer Staatsbürger und Internetaktivist. Als Influencer beschreibt er sich selbst, alleine seine Facebookseite zählt knapp 400. 000 Follower.
Heilbronner Influencer zählt zu Lobbyisten des türkischen Präsidenten Erdogan
Es gibt über Selmanoglu aber noch mehr zu wissen als das. Er ist Vorstandsmitglied der Organisation Union International Democrats (UID) mit Sitz in Köln − und damit Lobbyist des türkischen Präsidenten Erdogan. Der Verfassungsschutz hat die UID seit Jahren im Blick, sieht eine "Nähe zu türkischen Rechtsextremisten".
Selmanoglu verwehrt sich in einem Telefonat mit unserer Redaktion gegen jegliche Antisemitismus-Vorwürfe. Deutsche Medien berichteten parteiisch über den Nahost-Krieg, sagt er. Das könne er aufgrund der deutschen Geschichte verstehen, aber in Gaza spiele sich eine humanitäre Katastrophe ab, und der Westen schaue weg. Tugrul Selmanoglu ist auf Erdogan-Linie.
Verständnis für israelfeindliche Palästinenser

Selmanoglu äußert Verständnis für israelfeindliche Palästinenser, die traumatisiert seien und in einem "Freiluftgefängnis" lebten. Von 5000 Toten spricht er im Zuge des israelischen Gegenschlags, davon 2000 Kinder. Auf die Frage, woher er diese Zahlen nehme, antwortet er, dies seien Angaben der Hamas. Er bleibt auch dabei, dass die Zerstörung an einem Gaza-Krankenhaus von israelischer Seite ausging.
Belege, die unabhängige Stellen anführen, wonach eine fehlgeleitete Rakete der Hamas ursächlich war, sieht er nicht. Auch Erdogan hatte seinen Vorwurf gegen Israel in dieser Sache nicht korrigiert und die Hamas erst am Mittwoch als "Befreiungsorganisation" bezeichnet. Auf eine Diskussion über die Glaubwürdigkeit von Hamas-Angaben lässt Selmanoglu sich nicht ein. Die Israelis agierten ebenfalls terroristisch, sagt er.
Beiträge auf Facebook geben Hinweise auf Selmanoglus Haltung
Anhand jüngster Facebook-Veröffentlichungen von Selmanoglu lässt sich ein Bild über seine Haltung gewinnen. Dort stehen auf Türkisch Aussagen wie: "Wie viele palästinensische Babys sind einen Ukrainer wert, du verräterischer Westen?" Oder: "Die Tyrannei des Unterdrückers erreicht ihren Höhepunkt, wenn sein Ende naht. Die Unterdrückten werden siegen!" Und weiter: "Allahim, ich bitte um ein Leben, das dauert, bis ich den Tag sehe, an dem die muslimisch-türkische Armee die Wache an der Al-Aqsa-Moschee hält." Sowie: "Es gibt kein Palästinaproblem. Es gibt ein Israelproblem. Der einzige Weg zur Lösung dieses Problems ist die Wiederherstellung der Islamischen Einheit und des Kalifats."
Ein Videobeitrag Selmanoglus ist überschrieben mit den Worten: "Zeigt dieses Video den Narren, die sagen, dass die Hamas diesen Krieg angefangen hat". Im Video schildert er dann, dass die Israelis diesen Krieg begonnen hätten und zwar im Jahre 1946. Sie seien illegal nach Palästina einmarschiert und hätten dort einfach ihren Staat gegründet. Zumindest fand Selmanoglu im Anschluss an den Terror der Hamas auf Israel am 7. Oktober − dem größten Massenmord an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg − keine erfreuten Worte.
Selmanoglus Ton auf Facebook unterscheidet sich von Aussagen im Interview mit unserer Redaktion
Sein erster Facebook-Beitrag nach Bekanntwerden des Terrors ist ein Verweis auf eine Koran-Sure: "Die Palästinenser haben in ihrem Anliegen recht. Dieses Land gehört den Muslimen. Aber das Anvisieren von Zivilisten bringt die Muslime in eine ungerechte Position, obwohl sie im Recht sind. Kämpft im Namen Allahs gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen, aber überschreitet nicht die von Allah festgelegten Grenzen."
Als Erdogan-Lobbyist wird Selmanoglu gerne interviewt von Journalisten türkischer Medien. Auch deutsche Medien berichteten mehrfach über ihn, häufig kritisch. Was er in sozialen Medien auf Türkisch schreibt und was er im Gespräch mit deutschen Medien sagt, kann unterschiedlich sein. Im Telefonat mit unserer Redaktion äußert er sich mehrfach für ein Existenzrecht Israels. Er sei für eine Zwei-Staaten-Lösung. Zivilisten seien immer die Verlierer. Es brauche Frieden für alle Menschen und dazu brauche es vor allem einen Vermittlungsdruck der EU.
Rechtsextremismus in türkischen Gruppierungen
Gülistan Ates vom Kurdischen Gesellschaftszentrum Heilbronn kritisiert, dass nun erst Rechtsextremismus in türkischen Gruppierungen wahrgenommen werde. Sie beklagt ein "jahrelanges Wegschauen". Bei pro-palästinensischen Kundgebungen seien oft nationalistische Reden gehalten worden − unter anderem von Selmanoglu. 2019 rief er, wie in einem SWR-Bericht dokumentiert ist, auf dem Kiliansplatz: "Ruft mit mir, es lebe das großtürkische Reich! Die Grauen Wölfe sind mit uns." In Bezug auf die türkische Militäroffensive in Nordsyrien, die 2019 begann, hatte ein Imam auf dem Kiliansplatz für die türkischen Soldaten und den Krieg gebetet. "Und das auf deutschem Boden, ich war verzweifelt", erinnert sich Ates. Viele Völkerrechtler hatten die türkische Offensive als völkerrechtswidrig bezeichnet.
In den nächsten Tagen will Selmanoglu zurück in Deutschland sein. Auf Facebook kündigte er an, er werde versuchen, am Sonntag an der pro-palästinensischen Kundgebung in Heilbronn teilzunehmen.