Heilbronner Städtebau als Spiegelbild der Gesellschaft
Trotz der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hat auch Heilbronn historische Gebäude. Stadtführer und Architekt Eduard Muckle weiß viel über die Heilbronner Geschichte und deren städtebaulichen Wandel im Laufe der Jahrhunderte zu berichten.

In der Bombennacht vom 4. Dezember 1944 legte die englische Royal Air Force die einst stolze Reichsstadt in Schutt und Asche. So gut wie kein Stein blieb in Heilbronn auf dem anderen. Und doch hat die Käthchenstadt eine Altstadt mit historischen Gebäuden. Das berichtet der Heilbronner Architekt Eduard Muckle, wenn er interessierten Bürgern bei seiner Führung durch das Zentrum die "Glanzlichter der Stadtarchitektur" zeigt.
Architektur braucht Idee, Takt und Struktur
"Architektur ist wie Musik", sagt der 70-jährige Stadtführer. Sie brauche eine Idee, einen Takt und eine Struktur. Wenn sie harmoniert, könne sie wunderschön sein. "Wenn sie nicht stimmt, wird sie zur Kakophonie", sagt Muckle. So sei Architektur zwar eine Kunst. "Frei ist sie aber nicht", betont der Stadtführer. Gebäude seien immer Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes, in dem sie entstanden sind.
Astronomische Uhr zeigt auch Mondphasen an
So sei auch Heilbronn ein Spiegelbild aus verschiedenen Epochen. Das Rathaus etwa, das mit dem Wiederaufbau der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg dem Original aus der Renaissancezeit des frühen 16. Jahrhunderts nachempfunden wurde. Inklusive astronomischer Uhr, die nicht nur die Uhrzeit, sondern auch die Mondphasen anzeigt. "Das war nicht billig. Aber Heilbronn war freie Reichsstadt. Man war wer, und man konnte sich was leisten", sagt Muckle.
Kilianskirche sollte zwei Türme haben
Aus einer ähnlichen Zeit stammt der Turm der Kilianskirche. Die Kirche selbst ist schon älter. "Aber über den Turm muss gesprochen werden", sagt Muckle. Er ist nicht nur der erste Renaissance-Turm nördlich der Alpen. Er sei auch aufgebaut wie eine Torte. Sein Fundament sollte ursprünglich einen Doppelturm tragen. Am Ende wurde es aber nur einer. Verziert mit satirischen Elementen, die den Klerus auf den Arm nehmen. Zu finden sind dort unter anderem Mönche, die wie Affen aussehen. Heilbronn war reformistisch. Die Kirche wurde protestantisch. Und die satirischen Ornamente? "Sie sind Ausdruck des damaligen Zeitgeistes", weiß der Stadtführer.
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Das Haus Zehender gehört zum historischen Ensemble rund um den Marktplatz und steht ebenfalls unter Denkmalschutz. Es stammt aus dem Jahr 1726 und wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut. Auf der anderen Seite der Kaiserstraße nehme der neue Heilbronner-Stimme-Bau die Vorkriegsarchitektur unter modernen Vorzeichen wieder auf. Schlank, hoch und geradlinig. "Es gab viele solche Häuser im Mittelalter", sagt Muckle. "Das großflächige Glas macht einen dezenten Schwung, was dem Gebäude eine gewisse Eleganz gibt", sagt der Architekt im Ruhestand.
Apotheke hat Tradition bis ins Mittelalter
Der Heilbronner Stadtkern hat noch weitere historische Gebäude. Die Nikolaikirche, der Hafenmarktturm, das Fleischhaus und das Deutschordensviertel zählt der Stadtführer unter anderem auf. Unter Denkmalschutz steht die Sicherer Apotheke in der Kaiserstraße. Ihre Geschichte reicht bis ins Mittelalter. In den 50er Jahren wurde sie wieder hergestellt.
Neues wurde als besser erachtet
In dieser Zeit habe man beim Wiederaufbau auf Tradition geachtet. Das habe sich in den 60er bis Mitte der 70er Jahre geändert. "Da sollte alles Alte weg, Neues wurde als besser erachtet", berichtet der Stadtführer. So erkläre sich nicht nur der Bau des Wollhauses. Auch das Eckgebäude am Marktplatz, in dem heute die Landesbank untergebracht ist, gehört dazu. "Man fragt sich heute, wie konnte das passieren?", so Muckle. Zeitgeist eben.
Mehr Platz in der Harmonie
Das City-Hotel in der Allee entstand in den 70er Jahren. Die Harmonie wurde um die Jahrtausendwende umgebaut. "Der Hauptsaal sollte mindestens 2000 Leute fassen", so Muckle. Um flexibel zu sein, wurde das Gebäude um einen Saal ergänzt, der weiteren 700 Leuten Platz bietet. Gegenüber bilde die Kunsthalle Vogelmann aus dem Jahr 2010 eine adäquate Ergänzung. Die Volksbank wurde in den 80er Jahren gebaut. Ihr imposantes Vordach erinnert daran, dass einst eine Rolltreppe in eine Straßenunterführung führte. Der neue Anbau der Volksbank mit Innenhof "ist eine städtebauliche Bereicherung", so Muckle.
Allee war im Mittelalter ein Graben vor der Stadtmauer
Und warum gibt es überhaupt die Allee? Hier war früher ein Graben vor der Stadtmauer. Denn von dieser Seite aus war Heilbronn im Mittelalter am verwundbarsten, sagt der Stadtführer. Vor dem Zweiten Weltkrieg teilte ein großer Grünstreifen die Straße in zwei Hälften. Das wäre für heute mit Stadtbahn und breiten Fußgängerwegen kein Modell mehr.
Luft zum Leben
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg habe die Stadt Heilbronn Sanierungsbedarf gehabt. Beispielhaft dafür sei das eng bebaute einstige Fischerviertel am Neckar. Nach dem Krieg wollten die Heilbronner "dem neuen Wohnen Luft und Raum geben", so Stadtführer Eduard Muckle. Die Straßenfläche wurde um 15 Prozent vergrößert. Das bedeutete für einige Grundstücksbesitzer Enteignung und Entschädigung. Die Altstadt sollte aber wie der "Dotter im Ei" nicht durch breite Verkehrswege durchschnitten werden.