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Am 28. Juni: Erstes CSD-Event in Heilbronn

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Seit 53 Jahren kämpfen queere Menschen weltweit für ihre Rechte. Erstmals soll am 28. Juni auch in Heilbronn eine Solidaritätsaktion zum Christopher-Street-Day (CSD) stattfinden. Ein Interview dazu, warum es so wichtig ist, dass auch in Heilbronn die Regenbogenfahne deutlich sichtbar weht.

von Milva-Katharina Klöppel
Die Regenbogenfahne ist zum weltweiten Symbol der queeren Szene geworden. Hier ein Bild der Progress-Flagge seit 2017.
Die Regenbogenfahne ist zum weltweiten Symbol der queeren Szene geworden. Hier ein Bild der Progress-Flagge seit 2017.  Foto: Tim Bieler/stock.adobe.com

Erst Freitagnacht kam es in der norwegischen Hauptstadt Oslo zu einer tödlichen Attacke auf eine Schwulenbar mit zwei Toten und mehr als 20 Verletzten. Attacken auf Homo- und Transsexuelle sind auch in Deutschland keine Seltenheit. Umso wichtiger, Menschen, die sich als queer bezeichnen, auch in Heilbronn sichtbar zu machen. Queer ist ein Sammelbegriff für Menschen, die aus dem heterosexuellen Raster fallen oder sich nicht einer bestimmten Geschlechteridentität zuordnen. Heute soll es deshalb um 15 Uhr unter dem Motto "Queers*hn" eine Solidaritätsaktion zum Christopher-Street-Day (CSD) geben.

Ist Heilbronn bunt?

Sabrina Paulino: Heilbronn ist sehr bunt. Sowohl, was die queere Szene angeht, als auch multikulturell gesehen. Dieses Buntsein wird aber selten in der Öffentlichkeit ausgelebt. Vieles, was die queere Szene betrifft, findet im Verborgenen statt. Es gibt zum Beispiel in der Stadt keine Schwulen-Bar mehr. Gerade für die jüngeren Menschen sollte es ein entsprechendes Angebot geben. Die ziehen ansonsten auch so schnell wie möglich weg. Aber auch für Ältere, die schon lange offen queer leben, sich aber damit abgefunden haben, dass es keine Öffentlichkeit in Heilbronn gibt.


Das soll sich jetzt ändern?

Paulino: Richtig. Sobald sich heute jemand aus der Szene zeigt, kommt es zu massiven Restriktionen, zu Diskriminierungen. Einige werden von fremden Menschen auf der Straße beschimpft oder angespuckt, nur weil sie als Mann bauchfrei tragen und damit assoziiert wird, dass sie schwul sind. Deshalb muss es mehr Sichtbarkeit und mehr Haltung dazu geben.


Wenn sich solche Vorfälle ereignen, welche Möglichkeiten gibt es aktuell, darauf zu reagieren?

Paulino: Es bleibt nur der Weg zur Polizei oder zur Antidiskriminierungsstelle Heilbronn (Adi), die es seit April 2021 gibt. Häufig wissen Betroffene davon nichts. Auch das soll sich ändern, dass wir Räume schaffen, Safer Spaces, an die queere Menschen sich wenden können. Die wenigsten trauen sich, die Polizei anzurufen, weil auch dort ganz viel Queerfeindlichkeit herrscht. Das muss man leider ganz deutlich sagen. Nicht nur auf Heilbronn bezogen, sondern allgemein in Deutschland. Da fehlt es ebenfalls an Ausbildungen.


Provokant gefragt: Warum bedarf es solcher Räume, wenn wir doch eigentlich vereint leben wollen?

Paulino: Es braucht Schutzräume, die vielleicht erstmal wie eine Absonderung wirken. Dort kann man Kraft sammeln, bis queere Menschen irgendwann zur Normalität gehören. Genauso gibt es ja auch Schutzräume für Frauen. Die sollte es auch nicht geben müssen, aber die Realität sieht leider anders aus.


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Was passiert in solch einem Schutzraum noch?

Paulino: Ich hatte im vergangenen Jahr einen virtuellen Schutzraum an einer Schule in Bad Wimpfen. Meinen queeren Schülerinnen und Schülern dort war gar nicht bewusst, dass sie nicht alleine sind. Damals haben sich zehn Jugendliche allein aus Bad Wimpfen regelmäßig getroffen - wie viele muss es dann in ganz Heilbronn geben?

 

Unter dem Namen „Diverse Brille“ setzt sich Sabrina Paulino für die Sichtbarkeit der LGBTQINA+ in Heilbronn ein.
Unter dem Namen „Diverse Brille“ setzt sich Sabrina Paulino für die Sichtbarkeit der LGBTQINA+ in Heilbronn ein.  Foto: cathrinbronniphotographie

In den Schutzräumen trifft man dann auch Menschen, die sich mit der Thematik auskennen. Fehlendes Wissen ist gerade für Angehörige ein Problem, oder?

Paulino: In der Schulsozialarbeit habe ich mitbekommen, dass die Kinder und Jugendlichen eine Begleitung brauchen. Aber auch die Eltern, die - natürlicherweise - unsicher sind. Diese Unwissenheit führt ganz oft dazu, dass es zu Ablehnungen kommt. Erst wenn Kinder einen Suizidversuch unternehmen, macht es häufig Klick bei den Eltern. Man weiß heute, dass die Rate an Suizidversuchen bei homosexuellen Jugendlichen 50 Prozent und bei Transkindern sogar 70 Prozent höher ist als bei Gleichaltrigen.

 

Eine wirklich hohe Zahl!

Paulino: Umso erschreckender, dass es zu der Thematik in Heilbronn nichts gibt. Ich habe an der Schule angefangen zu gendern, und es kamen Schülerinnen und Schüler direkt zu mir, weil sie sonst mit niemandem darüber reden konnten. Wir muten Kindern immer wieder neue Themen zu, aber über verschiedene Sexualitäten und Geschlechter wird nicht gesprochen und damit entsteht der Eindruck, dass es das nicht geben darf.


Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir vor ein paar Jahren schon viel weiter waren - ich denke unter anderem an den Club Cousteau in Heilbronn. Liege ich richtig?

Paulino: Ja, das beobachten die Interessenverbände auch, dass es einen Rückschritt gibt. Auch was die Feindlichkeiten angeht - ähnlich wie beim Rassismus.


Ziel der Aktion heute um 15 Uhr auf dem Marktplatz ist es auch, die schweigende Mehrheit zu erreichen?

Paulino: Genau. Die meisten Menschen wollen tatsächlich nett sein und niemandem etwas Böses. Genau für diese Leute braucht es Aufklärungsangebote und Möglichkeiten zur Begegnung.

Tolle Aktionen beim "Sommer der Vielfalt"

Der 28. Juni ist für Homosexuelle, Transgender sowie Bisexuelle ein ganz besonderer Tag: Christopher-Street-Day (CSD). Heute, genau vor 53 Jahren, fand in den frühen Morgenstunden in der New Yorker Bar "Stonewall Inn" eine Polizeirazzia statt. Tagelange Straßenschlachten folgten, aus denen die internationale und vor allem friedliche Tradition wurde, im Sommer für die Rechte von queeren Menschen zu demonstrieren. Erstmals organisieren in Heilbronn der Jugendgemeinderat, die Antidiskriminierungsstelle sowie zahlreiche weitere Institutionen am heutigen 28. Juni um 15 Uhr auf dem Marktplatz eine Solidaritätsaktion. Oberbürgermeister Harry Mergel stellt sich den Fragen der queeren Community. Darüberhinaus sind im Rahmen des "Sommers der Vielfalt" weitere Veranstaltungen zum Thema LGBTQINA+ und mehr geplant: www.vielfalt-staerken.de.

Zur Person

Nach ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin studierte Sabrina Paulino (40) Sozialmanagement an der DHBW Heidenheim. Die Bad Wimpfenerin ist zweifache Mutter und Schulsozialarbeiterin mit der Ausbildung zur Fachkraft für geschlechtliche sexuelle Vielfalt und Antidiskriminierung bei Dissens e.V. in Berlin.

 

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