Samir Ansari aus Teheran: "Du weißt nicht, ob du wieder heimkommst"
Der Deutsch-Iraner Samir Ansari erlebt die Eskalation der Gewalt bei den Protesten im Iran hautnah mit - vor sechs Monaten flog er für einen Job in seine Heimat. Nach dem Tod der Studentin Jina Mahsa Amini hat sich auch für Ansari die Situation radikal verändert. Im Interview spricht er über seine Ängste, die Proteste vor seiner Haustür und über die Hoffnung auf Veränderung.

Sechs Monate ist es her, dass Samir Ansari in seine Heimat Iran geflogen ist, um dort eine befristete Arbeit als Lehrer im Bereich Elektrotechnik anzutreten. Seit 2011 lebt der Deutsch-Iraner und politische Dissident in Heilbronn. Durch den Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September in Teheran veränderte sich alles. Die Tat löste Massenproteste gegen das System der Islamischen Republik aus, die bis heute anhalten. Und veränderte auch die Situation von Samir Ansari radikal.
Herr Ansari, ist es für Sie gefährlich, mit einer Journalistin in Deutschland zu telefonieren?
Samir Ansari: Nicht direkt. Nur wenn andere Personen außerhalb meines Freundes- und Bekanntenkreises davon erfahren, dass ich mit der Presse Kontakt hatte.
Sie sind als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Wie können Sie jetzt wieder so leicht in Ihre Heimat einreisen?
Ansari: Das ist nicht ohne. Als Flüchtling kennt einen die Regierung. Aber nach sieben Jahren werden die Unterlagen vernichtet. Die Gefahr hat sich verringert. In den ersten Jahren habe ich meine Eltern nur in der Türkei getroffen.
Warum sind Sie trotz Ihrer Ängste zurückgeflogen?
Ansari: Ich hatte ein Jobangebot und als politischer Flüchtling sehe ich es als Aufgabe meines Lebens an, etwas in meiner Heimat zu bewegen. Wenn du deine Kultur, deine Landsleute, deine Familie verlässt, dann verlierst du alles. Du bist irgendwann kein Mensch mehr. Das tut weh.
Wie sieht jetzt Ihr Alltag in Teheran aus?
Ansari: Auf die Straße gehen, demonstrieren und die Leute informieren - in Europa und hier. Ich notiere und dokumentiere meine Erlebnisse.
Das klingt jetzt so locker - aber ist es so?
Ansari: Nein, nein, das ist nicht ohne. Jeden Abend gehst du raus und weißt nicht, ob du wieder heimkommst. Es besteht immer die Gefahr, verhaftet zu werden. Es wird auf der Straße geschossen. Nur ein paar Zahlen: In den letzten beiden Monaten sind 13.000 Leute im Iran verhaftet worden. Und fast 500 Menschen gestorben. Wenn du etwas gegen das Regime unternimmst, besteht die Gefahr, dass es hart auf hart kommt.
Sind Freunde von Ihnen verhaftet worden?
Ansari: Von meiner Familie oder engen Freunden zum Glück nicht. Aber ich kenne ein paar Leute.
Woher kommt der Mut, auf die Straße zu gehen?
Ansari: Die ersten Male fragt man sich, ob man rausgehen soll oder nicht lieber den Mund halten sollte. Aber irgendwann wird dein Mut größer als die Angst. Die Angst ist immer dabei. Wer etwas anderes behauptet, erzählt eine große Lüge. Die Angst hilft auch dabei, taktisch und klug vorzugehen. Wer komplett verrückte Sachen macht, ist gleich tot. Das bringt nichts.

Das Regime antwortet mit Gewalt, die Bilder scheinen sich tagtäglich zu wiederholen. Was gibt Ihnen dennoch Hoffnung auf eine Veränderung?
Ansari: Dieses Mal ist es anders. Anders als vor zwei Jahren haben die Proteste jetzt Struktur. Es wird genau überlegt, in welche Straße man geht. Welche Straße man in Ruhe lässt, weil es gefährlich ist. Ich war auch vor drei Jahren im Iran bei Demonstrationen, aber das war komplett wild und durcheinander. Ohne Hand und Fuß.
Irans Regime beschränkt den Zugang zum Internet, immer wieder kommt es zu Blackouts. Trotzdem finden Bilder von den Protesten den Weg ins Netz. Wir sprechen jetzt beispielsweise über Whatsapp - wie funktioniert das?
Ansari: Man braucht etliche Software, aber täglich kommen neue VPN* raus. Das gab es vor zwei, drei Jahren noch nicht. Jeden Tag gibt es neue Möglichkeiten, um in Kontakt zu bleiben.
Weshalb ist es so wichtig, die Verbindung mit Deutschland und Europa nicht zu verlieren?
Ansari: Die Leute müssen wissen, was hier im Iran läuft. Und dann zeigen, dass sie uns sehen und hören. Von der Politik wünschen wir uns Sanktionen gegen das iranische Regime.
Sehen Sie eine Chance für Veränderung?
Ansari: Jede Revolution kostet Zeit, zwei Monate sind nicht lang. Selbst die Französische Revolution dauerte länger. 13.000 Menschen wurden bislang verhaftet. Das tut weh, aber im Vergleich dazu, dass alleine 14 Millionen Menschen in Teheran leben, ist es nicht viel. Für das derzeitige Regime im Iran ist es zu spät. Sie haben seit der Islamischen Revolution 43 Jahre gehabt, um die Dinge richtig zu machen. Trotzdem hoffe ich, dass wir zu Gesprächen an einen Tisch finden. Dieses Mal unterstützen auch Akademiker die Proteste. Es ist sehr beeindruckend, hautnah mitzuerleben, wie Frauen ohne ihr Kopftuch, mit einem Lächeln und scheinbar ohne Angst durch die Straßen Teherans laufen.
Begriffserklärung: *VPN steht für virtuelles privates Netzwerk - eine Netzwerkverbindung, die von Unbeteiligten nicht einsehbar ist.
Zur Person
Im Iran studierte Samir Ansari Industriedesign. Seit 2011 lebt der 38-Jährige in Deutschland. An der Wilhelm-Maybach-Schule in Heilbronn schob er eine Ausbildung zum Maschinenbautechniker hinterher. Dadurch bekam er auch seinen Job im Iran: 35 Kilometer von Teheran entfernt, in Karaj, unterrichtet der Heilbronner an einem Institut Elektrotechnik. Samir Ansari war es wichtig, dieses Interview nicht zu anonymisieren: "Ich habe nichts Schlimmes gemacht. Frau, Leben, Freiheit - wir kämpfen weiter." Seit 2018 besitzt Ansari die deutsche Staatsbürgerschaft.#