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„Der Schwabe kann den Klang seines Sprechens nicht so leicht verbergen“

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Der erste Teil des Volo-Projektes "So spricht Heilbronn" der Heilbronner Stimme befasst sich mit regionalen Dialekten. Oberstudienrätin Angelika Wessel erzählt von ihren Erfahrungen aus dem Schulalltag, spricht über Mundarten im Lehrplan und erklärt, warum Dialekt-Sprecher ein Talent für Fremdsprachen haben.

"Der Schwabe kann den Klang seines Sprechens nicht so leicht verbergen", sagt Angelika Wessel, Oberstudienrätin am Brackenheimer Zabergäu-Gymnasium aus Erfahrung.
"Der Schwabe kann den Klang seines Sprechens nicht so leicht verbergen", sagt Angelika Wessel, Oberstudienrätin am Brackenheimer Zabergäu-Gymnasium aus Erfahrung.  Foto: privat

Sprache ist Heimat. Das gilt insbesondere für Regionen, in denen mit ausgeprägtem Dialekt gesprochen wird. Doch der demografische Wandel mit Zu- und Fortzügen, mit zunehmend fremdsprachigen Muttersprachlern und dem Heranwachsen einer neuen, digital und global denkenden und vernetzten Generation, verändert auch die Art und Weise des Sprechens. Angelika Wessel, Oberstudienrätin am Brackenheimer Zabergäu-Gymnasium, erkennt diese gesellschaftlichen Veränderungen auch in der Sprache junger Menschen. Die 55-Jährige ist Lehrerin für Deutsch und Französisch am Zabergäu-Gymnasium (ZGB) in Brackenheim. Die Oberstudienrätin und Mutter von drei Töchtern ist in Ludwigsburg aufgewachsen und unterrichtet am ZGB seit Abschluss ihres Referendariats in Südbaden.

 

Frau Wessel, haben Sie ein persönliches Lieblingswort in einem der hiesigen Dialekte?

Angelika Wessel: Da würde mir einiges einfallen. Es gibt aber etwas ganz altes, das ich selbst als Kind durch die ältere Generation kennengelernt habe und einfach niedlich finde: Und zwar kennt der Schwabe ein ‚Maugåneschtle‘ und meint damit ein kleines, geheimes Versteck, in dem er etwas bunkert. Bei Kindern also zum Beispiel Schokolade oder Bonbons. Viele der heutigen Schüler werden den Begriff aber wohl gar nicht mehr kennen.


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Wie präsent sind denn Dialekte in Ihrem schulischen Berufsalltag überhaupt noch?

Wessel: Dialekte werden schon gesprochen, auch wenn man beim Sprecher manchmal nur eine dialektale Färbung feststellen kann. Das Hochdeutsche hat aber inzwischen merklich in den Schulen Einzug gehalten und die Anzahl der sehr stark dialektal gefärbten Sprecher ist eher rückläufig.

 

Stimmt die Vermutung, dass in der Region trotzdem noch verhältnismäßig viele junge Menschen eine dialektale Färbung in ihrer Sprache haben?

Wessel: Eine klangliche Färbung haben auf jeden Fall viele Schüler, die dann bei sehr vielen durchaus auch deutlich hörbar ist. Was ich aber zum Beispiel im Freundeskreis bemerke, ist, dass die junge Generation, die gebürtig aus der Region stammt und aus phonetischer Sicht ein sehr schwäbisches Umfeld hat, dass die trotzdem mit den Jahren immer stärker zum Hochdeutschen tendiert und auch ganz bewusst die dialektale Aussprache meidet. Das wirkt dann manchmal etwas affektiert.

 

Was bedeutet das konkret?

Wessel: Ich erlebe das immer wieder auch bei meinen eigenen Kindern, obwohl bei uns in der Familie nie in breitem Dialekt gesprochen wurde. Aber gerade bei jungen Menschen aus Elternhäusern oder Familien, die seit Generationen hier leben, da taucht plötzlich ein ganz bewusstes Hochdeutsch auf. Da staune ich manchmal. Gerade so ab dem Alter von 15 bis 20 Jahren. Manche bekommen das besser, andere weniger gut hin und bei manchen klingt es dann eben auch ein bisschen künstlich.

 

Welche Rolle spielt der Dialekt unter jungen Menschen? Dient er als Identifikationsmerkmal oder wird er, im Gegenteil, als störend empfunden?

Wessel: Ich denke, dieser bewusste Wechsel zum Hochdeutschen hängt sehr stark mit dem Wunsch zusammen, cool zu sein. Beeinflusst werden sie dabei sicherlich auch durch die modernen Medien und Influencer, denen man als junger Mensch nacheifern möchte. Ich stelle aber gerade auch bei manchen Gruppen fest, wenn sie unter sich sind und sich so verhalten, wie man sich im Teenager-Alter nun einmal verhält, dass es dann sprachlich teilweise schon deutlich schwäbischer zugeht.

 

Eine Karte aus dem «Sprachatlas Nord Baden-Württemberg» zeigt die Verbreitung verschiedener Begriffe für Marmelade bzw. Eingemachtes. Foto: Archiv/dpa
Eine Karte aus dem «Sprachatlas Nord Baden-Württemberg» zeigt die Verbreitung verschiedener Begriffe für Marmelade bzw. Eingemachtes. Foto: Archiv/dpa  Foto: Fabian Sommer (dpa)

Müssen Sie das Dialektsprechen im Unterricht manchmal unterbinden? Und handhaben das alle Ihre Kollegen so?

Wessel: Einen ganz breiten Dialekt wollen wir eigentlich nicht. Wenn mir also ein Schüler eine Antwort gibt, die sehr dialektal daherkommt, dann sage ich ‚Sag’s mal bitte mit einem korrekteren Wort‘ und man verbessert ihn. Was das betrifft, ist die Bandbreite im Kollegium aber wahrscheinlich sehr breit.

 

Das bedeutet also, Dialekte werden nicht (mehr) explizit gelehrt?

Wessel: Der Respekt vor dem Dialekt ist nach wie vor da. In den Bildungsplänen steht, dass man ihn wertschätzen und über die Thematik informieren soll. Einige Schulbücher behandeln verschiedene Dialekte. Das heißt, die Schüler sollen auf Karten nachvollziehen, wo sich etwa Niederrheinisch, Bayrisch oder Alemannisch geografisch verteilen und sie sollen wissen, wie Dialekte entstanden sind. Aber ansonsten ist das ein Randthema im Bildungsplan für das Fach Deutsch; damit wird sich nicht intensiv beschäftigt. Als Lehrer soll man die Schüler gerade in der Oberstufe und bei Fachbegriffen eher zu einer korrekten Sprechweise anhalten.

 

Hat die Dialektnutzung denn im Großen und Ganzen in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen?

Wessel: Ja. Auch wenn noch viele Kinder eine entsprechende Sprachfärbung haben, hat die breite Dialektnutzung insgesamt abgenommen. Ich denke aber, man kann sagen, dass die Kinder, die heute ein Gymnasium besuchen – im Vergleich zu denen vor zehn oder 20 Jahren – aus sprachlicher Sicht weiter sind und früh mit sehr viel Sprache in Berührung kommen. Das Schwäbische hat aber natürlich immer etwas Heimatliches und gerade in einer Situation, in der eigentlich Hochdeutsch gesprochen wird, und in der dann vereinzelt schwäbische Wörter bewusst gewählt werden, wird klar, dass viele Schüler beides können. Und das begrüße ich wirklich sehr.

 

Wie steht es denn dann um die Zukunft des Dialektes? Ist er inzwischen akut vom Aussterben bedroht?

Wessel: Naja, der Schwabe kann den Klang seines Sprechens nicht so leicht verbergen. (lacht) Ich denke, eine Tendenz wird deshalb immer bleiben. Aber insgesamt würde ich vermuten, dass diejenigen Kinder, die vor 30 Jahren noch fast ausschließlich Dialekt gesprochen haben, in der Schule damals mehr Mühen hatten, korrektes Deutsch zu sprechen, auf die korrekte Aussprache zu achten und dialektisches Reden zu vermeiden. Da vermute ich, dass die Schüler heute wendiger sind und sich besser umstellen können. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass das Schwäbische heutzutage vom Image her ein bisschen was ländlich-beschränktes hat.

 

Globalisierung und Digitalisierung führen zwangsläufig zu Kontakt mit anderen Sprachen. Welche Bedeutung haben fremdsprachliche Einflüsse für die Alltagssprache von Jugendlichen?

Wessel: Das Englische hat natürlich einen ganz starken Einfluss, weil aus ihm viele Wörter inzwischen ins Deutsche übernommen wurden oder ‚in‘ sind. Man merkt aber auch einen Einfluss aus der türkischen oder arabischen Welt. Aus diesen Sprachregionen hört man in der Jugendsprache inzwischen immer wieder Wortfetzen oder Formulierungen, die als cool gelten – was eigentlich ganz interessant ist.

 

Stichwort Internationalität: Bremst ein starker Dialekt beim Erlernen oder Sprechen von Fremdsprachen?

Wessel: Nein, das würde ich nicht sagen. Zumal ja beispielsweise das schwäbische ‚no‘ oder ‚nomm‘ dem französischen Nasal ähnelt. Dass es das Erlernen von Fremdsprachen erschwert, würde ich aus lautlicher Sicht also auf keinen Fall sagen. Im Gegenteil: Wenn jemand Dialekte gut nachahmen kann, dann kann er höchstwahrscheinlich auch den Klang einer Fremdsprache gut nachahmen.

 

Das Voloprojekt der Heilbronner Stimme

Dieser Text ist Teil des Volo-Projektes "So spricht Heilbronn" der Heilbronner Stimme. Eine Woche hatten unsere Volontäre Zeit, selbst gewählte Themen anzurecherchieren und die Ergebnisse anschließend in journalistische Darstellungsformen zu gießen. Features, Reportagen, Interviews und Listicles zu den Themen Religion in Zeiten von Corona, Die Polizei und Social Media, Die politische Kommunikation der Bundesgartenschau in Heilbronn, Dialekte in der Region Heilbronn-Franken und den Lebens- und Lernbedingungen von Geflüchteten in der coronabedingten Isolation finden sich unter.

 

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