Der Abend, als der Schrecken nach Heilbronn zurückkehrte
Am 4. Dezember 1944 wird Alt-Heilbronn zerbombt, 6500 Menschen verlieren ihr Leben. Es ist ein Luftangriff mit Vorgeschichte. Denn die Tragödie war in erster Linie eine Reaktion auf das, was von hier aus in die Welt getragen wurde.

Alle Kirchenglocken von Heilbronn werden heute um 19.20 Uhr läuten. Noch gibt es Menschen, die sich an genau diese Uhrzeit an jenem Abend vor 75 Jahren erinnern.
Der Angriff auf Heilbronn hat nicht nur die Altstadt in Schutt und Asche gelegt, er hat Leid verursacht, Kinder zu Waisen gemacht, Wunden hinterlassen - und sich tief ins Bewusstsein der Region eingebrannt. Doch der 4. Dezember steht in einem größeren Zusammenhang.
Die Versuche, das Unfassbare zu begreifen und zu verarbeiten, sind vielfältig, gerade am 75. Jahrestag. Sie reichen von dem zum Ehrenfriedhof umgestalteten Massengrab im Köpfertal über die Ehrenhalle im Rathaus, Kunstinstallationen, dem traditionellen Gedenkkonzert in der Kilianskirche über Gottesdienste bis hin zu ganz neuen Formen des Gedenkens wie etwa einem Friedensweg durch die Stadt oder einer Gedenk-Kundgebung gegen Rechts auf dem Wartberg.
Fast 75 Jahre braucht die Stadt für einen emotionalen Neuanfang

Manche mögen sich fragen: Muss das alles sein? Übertreiben es die Heilbronner nicht mit ihrer Trauerkultur? Kann man nicht endlich Gras wachsen lassen über die alten Geschichten? Es hat doch ziemlich genau 75 Jahre gebraucht, bis sich das Selbstverständnis der Heilbronner und das Bild, das sie ihren Besuchern von ihrer Stadt vermitteln, wieder ins Positive gewendet hat.
Jetzt, zwei Monate nach der Bundesgartenschau, durch die Stadt und Bürger einen 173-tägigen Frühling erlebten, ist die Euphorie zwar verebbt. Doch das neue Selbstbewusstsein ist geblieben. Und gerade in einem solchen Augenblick gilt es, genauer hinzuschauen, was vor 75 Jahren passiert ist.
Heilbronn war kein lebenswerter Ort mehr

Heilbronn hat nicht erst durch die Zerstörung erfahren, was Krieg und Nazi-Terror in letzter Konsequenz bedeuten. Wer Fotos der wunderschönen Altstadt aus den 1930er und 40er Jahren vor Augen hat, wird die damals allgegenwärtigen Hakenkreuze kaum übersehen.
Schon vor jenem 4. Dezember war die Stadt kein lebenswerter Ort mehr für jene, die durch ihre Herkunft, Religion, durch Krankheit, genetische Veranlagung oder politische Überzeugung dem Idealbild der Nationalsozialisten widersprachen.
Mit dem Kriegsverbrecher Richard Drauz fungierte ausgerechnet ein Sohn der Stadt als einflussreicher Kreisleiter, der sogar in jener grausamen Zeit als besonders rücksichtslos und inhuman galt. Menschen wie er konnten an Einfluss gewinnen, weil ihre Überzeugungen und ihr Weltbild von großen Teilen der deutschen Bevölkerung geteilt wurden. Der Glaube an eine deutsche Überlegenheit, an einen Führer, der sich von viel Beifall begleitet aller demokratischen Fesseln entledigt hatte, bereitete der Schreckensherrschaft und dem Krieg den Boden.
Das Gedankengut von einst ist wieder salonfähig
Erinnerungen eines Zeitzeugen: Auf Anhängern wurden die Toten auf den Heilbronner Ehrenfriedhof gebracht
Vorher-Nachher-Bilder: Aus Ruinen wächst eine neue Stadt
Die Parolen von einst sind heute wieder zu hören. Nicht nur leise, im Verborgenen, in der Anonymität des Internets. Das braune Gedankengut hat über Stammtische und öffentliche Auftritte hinaus längst wieder demokratisch gewählte Gremien erreicht. So wird rechte Propaganda mit ihrer Fremdenfeindlichkeit und der Idealisierung eines letztlich doch nie vorhandenen "Volkswillens" in ihrer ganzen Kompromisslosigkeit wieder salonfähig.
Deshalb sind solche Gedenktage heute wichtiger denn je. Sie zeigen, wie zerbrechlich das Glück ist. Das Glück, in einem Land wie Deutschland, in einer aufblühenden Stadt, in einer dynamischen Region zu leben. Wohin Menschenverachtung und Intoleranz führen, haben die Heilbronner vor 75 Jahren erlebt. Die Fliegerangriffe der Alliierten auf die deutsche Zivilbevölkerung waren eine Reaktion auf die unermesslichen Verbrechen der Nazis. Der Krieg ging von Deutschland in die Welt - und er kam zurück, am Abend des 4. Dezember 1944, nach Heilbronn.
Der Luftangriff vom 4. Dezember 1944
Am 4. Dezember 1944 erlebt Heilbronn den dunkelsten Tag seiner Geschichte. Heute vor genau 75 Jahren, keine fünf Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wird die über Jahrhunderte gewachsene Stadt total zerstört. 282 Lancaster-Flieger der British Air Force werfen zwischen 19.18 Uhr und 19.55 Uhr 1200 Tonnen Bomben über dem Stadtkern und über dem Böckinger Bahnhofsgebiet ab.
Sogenannte Christbäume markieren das Ziel, dann wirbeln Trümmerbomben die Dächer auf. Brandbeschleuniger entfachen schließlich einen Feuersturm, der alles niederwalzt. In der wunderschönen historischen Altstadt bleibt kein Gebäude heil. Mehr als 6500 Menschen kommen ums Leben - die genaue Zahl weiß man bis heute nicht.
Eine Rekonstruktion der Nacht gibt es unter diesem Link.